Schnulzenroman. Daniel Borgeldt

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Название Schnulzenroman
Автор произведения Daniel Borgeldt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955756130



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Heide lieber. Schon zu Lebzeiten wurde er als Naturschützer und Heidedichter sehr berühmt. 1914 wollte er sich gerne, wie viele andere Leute, für Deutschland töten lassen. Das gelang ihm auch.

      Viel später ist mir mal ein Filmlexikon in die Hände gefallen, in dem auch Grüß mir die Heide! aufgeführt war. Dort wurde eine Filmkritik zitiert: »Die an erfolgreiche Liebeskomödien angelehnte Handlung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass man es hier mit einer typisch nachkriegsdeutschen Weltfluchtphantasie zu tun hat. Die Heide- und Heidschnuckenbilder wirken entsetzlich flach und kitschig, passen aber zum Rest der Handlung. Gleichzeitig spiegelt sich hier das Frauenbild der Adenauer-Ära wider. Den Frauen werden von den Männern die Hosen angezogen und am Ende wieder weggenommen, damit sie zurück an den Herd können. Dort sind Kittelschürzen ja sowieso viel praktischer.«

      Der Film hatte das Potential, ein Kassenschlager zu werden, floppte jedoch bereits bei der Premiere. Der Regisseur wollte an Publikumserfolge wie Grün ist die Heide anknüpfen. Warum gerade unser Film floppte, weiß ich eigentlich bis heute nicht, vielleicht, weil in ähnlichen Schnulzen bekanntere Schauspieler wie Willy Fritsch mitspielten. Ich bekam als Gage dreihundert Mark, was mir wie ein kleines Vermögen vorkam. Das Geld wurde natürlich meiner Mutter ausbezahlt.

      Nachdem der Film gefloppt war, meinte sie, dass Schauspielerei vielleicht doch nicht das Richtige für mich sei. Sie erinnerte sich wohl an die Empfehlung meiner Musiklehrer und verfügte, dass ich wieder professionellen Gesangs- und Klavierunterricht nehmen sollte, um dann nach der Schule aufs Konservatorium zu gehen. Dafür brauchte ich zwar kein Abitur, meine Mutter bestand aber darauf. Für mich hieß das, wie ein Wahnsinniger zu büffeln und nachmittags noch zum Musikunterricht zu gehen. Ich musste die Schule wechseln. Meine Mutter schickte mich auf ein humanistisches Gymnasium, wo die Musik besonders gefördert wurde. Leider wurde ich auch gezwungen, Latein und Altgriechisch zu lernen.

      Generationen von jungen Künstlern mussten sich vom Zwang der Familie befreien, die wollte, dass sie einen bürgerlichen Beruf erlernten. Bei meiner Mutter war es umgekehrt. Ich sollte Berufsmusiker werden. Damals wünschte ich mir nichts anderes als die Schule abzubrechen und einen normalen Beruf zu ergreifen. »Mama, ich will kein Künstler werden. Ich möchte in einer Bank arbeiten.« »Was? Das kannst du deinem toten Vater und mir nicht antun. Du wirst Künstler! Und das ist mein letztes Wort!«

      Das Weltgeschehen zog an mir vorbei auf flackernden Fernsehgeräten. Die Israelis verurteilten Eichmann zum Tode und richteten ihn hin, die Russen versuchten, auf Kuba Atomraketen zu stationieren und lösten damit beinahe den Dritten Weltkrieg aus. Während ich Abiturprüfungen hatte, liefen in Frankfurt die Auschwitz-Prozesse, die geisterhaften Gesichter der Angeklagten auf der Mattscheibe: Boger, Kaduk, Mulka.

      Schließlich hatte die Quälerei ein Ende. Ich bestand das Abitur, zwar schlecht, aber es hatte gereicht. Das bedeutete aber nur eine kurze Verschnaufpause, denn meine Mutter hatte meinen Lebensweg ja schon vorherbestimmt. Im Herbst hatte sie mir ein Vorspielen im Konservatorium in Frankfurt organisiert, für das ich den ganzen Sommer üben sollte. Danke, Mama!

      Der deutsche Staat jedoch sollte meiner Mutter vorerst einen Strich durch die Rechnung machen. Ich bekam nämlich meinen Musterungsbescheid. Ich wollte alles, nur nicht zur Bundeswehr. Also entschied ich mich zu verweigern. Ich erspare mir jetzt den ganzen Sermon über die Torturen, die man über sich ergehen lassen musste, wenn man 1964 den Kriegsdienst verweigern wollte: die Musterung, die Anhörung, das Wartenlassen, die nochmalige Anhörung, der ganze moralische Mist a là: »Wie, Sie können sich nicht vorstellen auf einen anderen Menschen zu schießen? Was machen Sie denn, wenn ihre Freundin von drei Russen vergewaltigt wird und sie haben gerade zufällig ein Maschinengewehr? Würden Sie das nicht benutzen?« Meine Mutter stand dem ganzen relativ neutral gegenüber. Sie sagte einmal zu Anna, meinem Kindermädchen: »Na ja, der Junge hat eben eine musische Natur. Er ist nicht zum Soldaten geboren.« Eines Tages kam endlich der Brief. Ich musste nicht zur Bundeswehr. Stattdessen leistete ich Wehrersatzdienst in einem Krankenhaus, das von Nonnen geleitet wurde. Bei dem ersten Gespräch mit der Schwester Oberin fragte sie mich, welcher Glaubensrichtung ich denn angehöre. Ich war Evangelisch. Die Oberin meinte, das sei kein Problem, das sei hier zwar ein katholisches Haus, aber sie seien anderen Religionen gegenüber sehr offen. Sie sagte wirklich »anderen Religionen«.

      Zusammen mit mir traten vier oder fünf andere junge Männer ihren Zivildienst an: ein Lehrersohn aus dem Sauerland und einer, der aus Bingen kam und dessen Eltern eine Kneipe hatten. An die anderen kann ich mich nicht mehr erinnern. Der aus dem Sauerland erzählte ständig, dass er nach dem Zivildienst auf Lehramt studieren wollte, der aus Bingen hatte vor, die Kneipe seiner Eltern zu übernehmen. Irgendwie frustrierte mich das gewaltig!

      Unsere Arbeit bestand darin, die schmutzigen Betten von den Stationen zu holen, unten im Keller zu reinigen und dann wieder zurückzubringen, wahnsinnig dumm und monoton. Offensichtlich wollten sie uns zeigen, was mit denen geschah, die sich weigerten ihrem Vaterland als Soldaten zu dienen. Das einzig Gute war, dass wir im Keller unseren eigenen Waschraum hatten. Dort im Schrank versteckten wir heimlich eine Flasche Schnaps und genehmigten uns zwischendurch einen Schluck.

      So vergingen die Monate. Meistens tat ich nichts, außer leicht angetrunken Betten zu reinigen und neu zu beziehen. Ich erinnere mich allerdings noch sehr gut an einen Arzt von der Onkologie, Dr. Klaus Rickert, der sich mehr oder weniger heimlich Opiate spritzte. Er schwankte immer mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht über die Krankenhausflure. Und alle mochten ihn, seine Kollegen, die Nonnen, die Schwestern, auch wir Zivildienstleistende. Würde ich zu Esoterik neigen, würde ich sagen, er hatte eine sehr positive Aura. Einmal meinte der Lehrersohn zu mir: »Ich weiß nicht wieso, aber immer wenn ich Dr. Rickert sehe, kriege ich gute Laune.«

      Entweder störte es niemanden oder keiner bemerkte, dass er die Opiatbestände plünderte, die eigentlich für die Krebspatienten vorgesehen waren. Das ging soweit, dass ich sogar einmal, als ich mich mit ihm unterhielt, in der Tasche seines Arztkittels eine Packung Dolantin entdeckte, die halb hervorschaute. Anscheinend hatte ihn niemand darauf angesprochen. Ich fragte einen anderen Arzt, was genau Dolantin denn sei und der meinte, es handle sich um ein sehr starkes Opiat, ein Syntheticum mit Nebenwirkungen von Muskelkrämpfen bis zu Gallenkolik. Allerdings habe ich bei Dr. Rickert so etwas nie feststellen können.

      Meine Mutter verlangte, dass ich trotz Zivildienst weiterhin Klavier- und Gesangsunterricht nahm, um mich aufs Konservatorium vorzubereiten. Der Druck wurde unerträglich und ich trank auf der Arbeit immer mehr. Die Stunden fanden zu Hause bei einem pensionierten Musiklehrer statt. Ich wankte immer schon halb betrunken vom Krankenhaus zu seiner Wohnung. Der Zivildienst ging so schneller vorüber als gedacht. Es war inzwischen 1966 und ich wurde volljährig.

      Da nun keine Arbeit mehr im Weg stand, übte ich also mit Verspätung den ganzen Sommer, bis zur Aufnahmeprüfung im Herbst am Konservatorium. Ich, oder besser meine Mutter, hatte mich für Gesang und Klavier angemeldet. Ich übte wie ein Wahnsinniger und es gelang mir tatsächlich die Aufnahmeprüfung zu bestehen und angenommen zu werden. Die Prüfer waren zwar nicht gerade begeistert von meinem Können, aber sie erklärten, es gebe Potential und sie wollten es einmal mit mir versuchen.

      Als ich das erzählte, meinte Jessy, der eigentliche Witz meines Lebens sei ja, dass ich wirklich Berufsmusiker wurde, nur nicht so, wie meine Mutter es gewollt hatte. Das war das erste, was sie seit langer Zeit gesagt hatte. Den Schwarzwald hatten wir hinter uns gelassen und fuhren nun durchs nördliche Baden-Württemberg. Das Radio lief. Plötzlich eine Meldung: Angeblich haben die Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten in Frankreich weniger Integrationsprobleme, da viele von ihnen bereits Französisch sprechen. Die Leute müssen also nicht, wie in Deutschland, erst eine Fremdsprache lernen, um sich zu integrieren. Und die zynische Moral von der Geschichte? Hätten die Deutschen sich vor über hundert Jahren um mehr Kolonien bemüht und das Wettrennen gegen Frankreich und England nicht verloren und sich noch mehr als gewissenlose Arschlöcher aufgeführt, dann hätten die Flüchtlinge heute weniger Probleme, sprich: keine Sprachbarriere.

      Ich sollte nun wohl etwas über das Konservatorium in Frankfurt erzählen, wie es damals dort aussah oder zuging, aber das kann man auch woanders nachlesen. Also spare ich mir das. Ich bezog eine möblierte Wohnung im Westend, die meine Mutter mir standesgemäß ausgesucht hatte und die sie