Schnulzenroman. Daniel Borgeldt

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Название Schnulzenroman
Автор произведения Daniel Borgeldt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955756130



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Klosterbruders. Ich wusste eigentlich nicht genau, was ich damit sollte, habe sie auch nie gelesen, besitze das Buch aber noch heute.

      Während der älteste Bruder das elterliche Weingut übernehmen sollte, wurde mein Vater nach der Schule nach Frankfurt geschickt, um eine Lehrstelle in einer Bank anzutreten. Aber die Arbeit langweilte ihn. Er interessierte sich mehr für Theater und Oper und nahm privat Schauspielunterricht. Es gelang ihm, mit zwanzig Jahren Komparse am Frankfurter Schauspielhaus zu werden. Einer der Regisseure bemerkte, dass mein Vater ein gewisses Charisma besaß und ließ ihn einmal eine Nebenrolle übernehmen. Von da an ging es bergauf mit seiner Karriere. Er kündigte in der Bank, nachdem er seine erste Hauptrolle in einer Komödie namens Die Kommunionsfeier bekommen hatte. Nebenbei feierte er große Erfolge im rheinischen Karneval, wo er regelmäßig bei Sitzungen auftrat. Aber die lokale Berühmtheit, die er geworden war, reichte ihm nicht. Als 1933 alle Theater gleichgeschaltet wurden, witterte Georg Fraunhofer seine große Chance. Er biederte sich bei dem neuen Intendanten Hans Meissner an und wurde der Star des völkischen Theaters in Frankfurt.

      Ungefähr zu diesem Zeitpunkt muss Joseph Goebbels, der immer auf der Suche nach neuen deutschen Talenten war, auf ihn aufmerksam geworden sein. Kann sein, dass er ihn einmal bei den Römerberg-Festspielen auf der Bühne gesehen hatte, jedenfalls holte er meinen Vater nach Berlin und brachte ihn bei der UFA unter. Dort stieg Georg Fraunhofer als Gesangstalent und Schauspieler in der Propaganda-Maschinerie kometenhaft zu einer Berühmtheit auf. Er betörte die Reichsdeutschen über den Volksempfänger mit einer Mischung aus Heimatkitsch und melancholischen Sehnsuchtsliedern nach Liebe und Vaterland, aber sein Hauptgeschäft wurde der Film. Ab 1934 spielte er in vielen schnulzigen Liebesfilmen mit, in denen er immer den jungen Liebhaber mimte. Seichte Unterhaltung ist also gewissermaßen bei uns eine Familientradition.

      Meine Mutter, Margarete Hammerstein, sang in einem Berliner Varieté, als mein Vater sie 1938 kennenlernte. Sie war fünf Jahre jünger als er und stammte aus einer Textilfabrikantenfamilie. Ihr Vater hatte sie vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin gegründet und war schnell zu Wohlstand gelangt. Die Gesinnung in der Familie meiner Mutter war deutsch-national. Mein Großvater empfand den Vertrag von Versailles als großes Unrecht und sympathisierte mit den sogenannten Freikorps, die einen Bürgerkrieg gegen die Regierung in Weimar führten. Er muss schon sehr früh ein Anhänger Hitlers gewesen sein, jedenfalls weiß ich, dass er ein Exemplar von Mein Kampf in erster Auflage besaß.

      Diese politische Haltung übertrug sich auf meine Mutter. Da ihr Vater mit den Nazis sympathisierte, tat sie es eben auch. Wie sie als Bürgerstochter aus gutem Hause auf den Gedanken gekommen war, in einem etwas zwielichtigen Amüsierlokal zu arbeiten, weiß ich nicht. Aber sie tat es, sang Chansons, tanzte dazu und träumte von einer Karriere in einem großen Varieté in Paris. Mein Vater zerstörte diese Träume meiner Mutter auf seine Art: Er heiratete sie.

      Bis zu seinem Tod war sie lediglich seine Ehefrau und begann eine Karriere als Alkoholikerin.

      Ich wurde 1945 geboren, knapp vier Wochen nach Kriegsende, nachdem die Deutschen es geschafft hatten, dass ihr eigenes Land in Trümmern lag. Man könnte meinen, der verlorene Krieg hätte für meinen Vater das Ende seiner Karriere bedeutet. Er war einer jener Unterhaltungskünstler, die im Dritten Reich ein behagliches Leben geführt hatten und von ihrem Übervater Goebbels wie kleine Kinder, denen jeder Wunsch erfüllt wird, gehätschelt worden waren.

      Georg Fraunhofer wirkte zusammen mit Stars wie Willy Birgel, Johannes Heesters, Marika Röck oder Willy Fritsch besser als die ausgefeilteste Propaganda-Rede. Joseph Goebbels, Doktor der Germanistik und den Künsten zugewandt, war sich dieser Leistung seiner Schützlinge bewusst und förderte sie, wo er nur konnte, wenn ihm nicht Hermann Göring, der zweite Mann in Hitlers Reich und ein weiterer bedeutender Kunstexperte der Nazis, dazwischen funkte. Aber meistens gab es keine Probleme.

      Mein Vater jedenfalls lebte wie ein Fürst und wie alle anderen Stars dieses Staates, ohne sich darum zu kümmern, dass er durch seinen raschen Aufstieg nur die Lücke gefüllt hatte, die durch die verschleppten, exilierten und verhafteten Regimegegner und jüdischen Künstler entstanden war.

      Er sagte später, dass er sich nie sonderlich für Politik interessiert habe, sondern für Kunst und schöne Frauen. Letzteres ist wörtlich zu nehmen. Er hatte bei jedem seiner Filme eine andere Geliebte vor und hinter der Kamera. Meine Mutter schwieg stets dazu und trank.

      Goebbels, der ebenfalls an Schauspielerinnen interessiert war und deshalb hinter vorgehaltener Hand »der Bock von Babelsberg« genannt wurde, war meinem Vater ganz besonders zugetan. Bei offiziellen Anlässen war Georg Fraunhofer häufig in der Menschentraube zu sehen, die den Propaganda-Minister umgab. Er begleitete ihn auch oft ins Theater oder ins Kino. Mein Vater sagte später, er habe das nur für seine Karriere getan, die ja auch seiner Familie zugute kam, so wie sich heutzutage auch Künstler mit ihren Mäzenen aus Politik und Wirtschaft öffentlich zeigten. »Aber diese Verbrecher habe ich eigentlich immer verabscheut.« Diese Verbrecher verschafften meinem Vater eine feste Anstellung bei der UFA. Mehr noch, die UFA behielt eine bestimmte Summe der Gage in Absprache mit ihm ein und legte das Geld für ihn an, kaufte Immobilien, Aktien, sorgte für ihn wie eine gute Mutter.

      Als ich zur Welt kam, war Joseph Goebbels bereits tot und mir blieb ein Propaganda-Minister als Patenonkel erspart. Ich wuchs in Mainz auf, wo meine Eltern eine Wohnung bezogen hatten, in einem Haus, das von den Bombardierungen verschont geblieben war. Es stand in der Oberstadt. Für ein paar Jahre wohnte im Nebenhaus der Arzt und Schriftsteller Alfred Döblin, was meinen Vater wahrscheinlich genauso wenig interessierte wie unseren berühmten Nachbarn. Georg Fraunhofer konnte mit moderner Kunst nichts anfangen und mit Literatur noch weniger. Abgesehen von den Gedichten der Romantiker habe ich ihn nur einmal Ludwig Ganghofer lesen sehen. Allerdings hatte ich auch nie Gelegenheit, mit ihm über Kunst zu sprechen.

      Das große schauspielerische Vorbild meines Vaters war Buster Keaton. Warum er, der sein Leben lang in Schnulzen die Hauptrollen gespielt hatte, sich einen der größten Stars der Filmgeschichte zum Vorbild auserkor, weiß Gott allein. Wahrscheinlich braucht jeder Mensch jemanden, zu dem er aufblicken kann. Ich erinnere mich an einen Film von Keaton, in dem er, der die männliche Hauptrolle spielt, sieht, wie ein Mann seine Frau misshandelt. Keaton will einschreiten und die Frau beschützen, die ihn aber wegstößt und sich bereitwillig weiter von ihrem Mann schlagen lässt. So ähnlich könnte man die Beziehung zwischen meinem Vater und meiner Mutter beschreiben. Mit dem Unterschied, dass er sich in der Rolle Keatons sah, während ich, und wahrscheinlich auch meine Mutter, in ihm nur den schlagenden Mann wahrnahmen.

      Die Karriere meines Vaters ging nach dem Krieg einfach weiter, weil er als Künstler nicht direkt in die Verbrechen des Regimes involviert gewesen war und immer noch über die alten Kontakte verfügte. Bis auf eine kurze Episode in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, an die ich mich nicht erinnern kann, ging es uns finanziell immer sehr gut.

      Mein Vater drehte in den Fünfzigern noch zehn Filme. Damit brachte er es insgesamt auf 43, bei denen er Haupt- und Nebenrollen gespielt hatte, nicht mitgezählt seine Theaterauftritte. Die Themen der Filme waren stets dieselben. Es ging um Heimat, Liebe und klar definierte Geschlechterrollen, nur dass mein Vater aufgrund seines Alters nicht mehr den jugendlichen Liebhaber sondern den liebenden und gütigen Vater spielte.

      Dass ich in Mainz geboren wurde und aufwuchs, hatte mehrere Gründe. Meine Eltern glaubten, sie seien bei den Amerikanern besser aufgehoben als bei den Russen und ihnen gelang, natürlich mit Hilfe alter Kameraden, im März 1945 die Flucht aus Berlin. Goebbels hatte meinen Vater auf die sogenannte »Gottbegnadeten-Liste« gesetzt, auf der die Leute aufgeführt waren, die im Reich unentbehrlich waren und nicht an der immer enger werdenden Front eingesetzt werden durften. Hinzu kam, dass Georg Fraunhofer nicht nur vor und während des Krieges einer der beliebtesten Schauspieler Deutschlands war, sondern auch noch danach, eigentlich bis zu seinem Tod. Er rangierte an oberster Stelle in der Publikumsgunst. Nur Heinz Rühmann und Willy Fritsch konnten sich mit ihm messen. Dementsprechend hatte er nicht nur viele Bewunderer, sondern auch viele Freunde, besonders im Rhein-Main-Gebiet, aus dem er in die Welt ausgezogen war und wo er ja so große Erfolge in der Fastnacht gefeiert hatte.

      Georg Fraunhofer, der sein Leben lang nur Komödien drehte, verstand ein echtes menschliches Drama nicht, wenn er