Schnulzenroman. Daniel Borgeldt

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Название Schnulzenroman
Автор произведения Daniel Borgeldt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955756130



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      DANIEL BORGELDT

       Schnulzenroman

      Die Autobiografie

      des Heinrich Fraunhofer

      aka Danny Silver

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      Daniel Borgeldt ist ausgebildeter Buchhändler, studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Italienisch und lehrt Deutsch als Zweitsprache an einer Berufsschule. 1982 in Melle (Niedersachsen) geboren, kehrte er seiner Heimatstadt den Rücken, um in Bielefeld sein Abitur nachzuholen. Heute lebt er mit seiner Familie in Mainz und schreibt Rezensionen für »testcard« und »literaturkritik.de«. Und jetzt auch Romane.

      1. Auflage November 2020

      © Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz, 2020

      Abdruck, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher

      Erlaubnis des Verlages. Alle Rechte vorbehalten.

      ISBN 978-3-95575-135-7

      eISBN 978-3-95575-613-0

      Lektorat: Jonas Engelmann

      Gestaltung und Satz: Oliver Schmitt

      Ventil Verlag, Boppstraße 25, 55118 Mainz

      www.ventil-verlag.de

       Für Judith und Wolfgang

       INHALT

       Teil I: Die Fahrt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Teil II: Das Haus

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Kapitel 15

       Kapitel 16

       Kapitel 17

       Kapitel 18

       Kapitel 19

       Teil III: Die Bühne

       Kapitel 20

       Kapitel 21

       Kapitel 22

       Epilog

TEIL I

      »Wenn Sie Ihre Eltern wirklich kränken wollen

      und nicht den Nerv haben, homosexuell zu

      werden, könnten Sie wenigstens eine künstlerische

      Laufbahn einschlagen.«

      Kurt Vonnegut

       1

      Ich wachte fünf Minuten vor dem Klingeln des Weckers auf. Mit so einer Situation ist jeder alleine. Es war kurz vor sechs. Ich richtete mich im Bett auf, drehte meinen Unterkörper zur Seite und rutschte bis an den Rand der Matratze, so dass meine Beine aus dem Bett herausreichten, winkelte die Knie an und stellte die Füße auf den Boden, um wach zu werden. In meinem Alter braucht man dafür einen Augenblick. Es funktioniert nicht mehr alles so wie früher. Wie ein blinder Maulwurf tastete ich auf dem Nachttisch nach meiner Brille. Ich musste mich nach dem Schlafen erst einmal zurechtfinden. Dazu rief ich mir ein paar Daten ins Gedächtnis. Mein Geburtstag? 6. Juni 1945. Der heutige Tag? Freitag, der 30. Juni 2017. Wann ist mein Vater gestorben? 1960. Wann meine Mutter? 1999. Wann ist meine Tochter geboren? 1982. Gut, das genügte. Ich schaute mich in meinem 30-Quadratmeter-Zimmer um. Eigentlich war es zu groß für eine Person. Aber im Lerchenhof waren alle Zimmer gleich geschnitten, mit einem kleinen Balkon, von dem aus man einen herrlichen Blick auf den südlichen Schwarzwald hatte und auf dem absolutes Rauchverbot herrschte, das ich aber häufiger brach und mir dabei vorkam wie ein Teenager, der heimlich in der Schule auf dem Klo raucht. Ich war mir im Lerchenhof häufig wie ein Teenager vorgekommen. Teenager mit 72 Jahren. So könnte der Titel meiner Autobiografie lauten.

      Was Frau Dr. Müller-Bach wohl dazu sagen würde? Sie ist die Chefärztin der Klinik und hat alle Patienten dazu animiert, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Sie sagte, man solle keine Kunstwerke verfassen, nur kurz und knapp notieren, was man für wichtig halte. Als wenn das so einfach wäre!

      Zufällig fiel mein Blick auf den Abreißkalender, der über meinem Bett hing. Als ich hierherkam, hieß es, wir sollten uns ein Morgenritual aus mehreren kleinen Schritten überlegen, das unserem Tag von Anfang an ein wenig Struktur gebe. Also hatte ich mir in der Buchhandlung des nächsten Ortes ein schwarzes Notizbuch und einen kleinen Abreißkalender besorgt, auf dem für jeden Tag der Spruch eines prominenten Intellektuellen stand. So etwas wie: »Ein Haus ohne Bücher ist arm«, Hermann Hesse, »Der Schwache kann nicht verzeihen«, Mahatma Gandhi usw. Mein Morgenritual bestand nun darin, das Blatt vom Vortag abzureißen, in dem Notizbuch alles, was wichtig war, festzuhalten und manchmal das Rauchverbot zu brechen. Als ich nun beim Morgenlicht auf den Kalender schaute und das Blatt abriss, stand dort: »Wer seine Memoiren schreibt, hat etwas zu verheimlichen«, Kurt Tucholsky.

      Ich heiße Heinrich Fraunhofer, aber dieser Name wird Ihnen nichts sagen. Besser bekannt bin ich unter meinem Künstlernamen Danny Silver. In den Siebzigern habe ich Millionen mit Hits wie Nur du und Nachts träume ich nur von dir