Название | Schnulzenroman |
---|---|
Автор произведения | Daniel Borgeldt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955756130 |
Damals, an dem Wintertag 1966, kurz vor Weihnachten, war das Einzige, auf das Amadeus und ich aus waren, ein ordentliches Besäufnis. Im Club Voltaire war allerdings eine Veranstaltung des SDS und der Laden sehr voll. Wir konnten uns kaum den Weg zur Theke bahnen. Schließlich schafften wir es doch und bestellten Bier.
»Und du hast tatsächlich in einem Film mitgespielt?«, fragte mich Amadeus.
»Hab ich dir doch gesagt. Nicht, dass ich stolz darauf wäre. Es war eher der Wille meiner Mutter.«
Amadeus brach in Lachen aus.
»Du bist wahrscheinlich der Erste, der sagt, dass er gezwungen wurde, in einem Film mitzuspielen«, meinte er, »und das auch noch von seiner Mutter.«
Auf dem Podium war gerade ein junger Student, der einen Vortrag hielt. Es ging um Kurt Eisner und die Münchner Räterepublik und was man heutzutage daraus lernen konnte. Er wurde ständig von irgendwelchen Zwischenrufen unterbrochen, während ich von einem Typen angesprochen wurde, der ungefähr so alt war wie ich. Er trug eine Lederjacke und so ein Barett, das später alle Che-Guevara-Fans der Welt trugen. Er erzählte mir, er sei Schriftsteller und ob ich nicht auch schreiben würde, mein Gesicht käme ihm irgendwie bekannt vor. Ich verneinte und sagte ihm, dass ich am Konservatorium studiere. Er schien das zu überhören und redete einfach weiter von sich. Er sagte, wir bräuchten eine neue revolutionäre Kunst in Deutschland, die den deutschen Spießer entlarven würde, so wie die Amerikaner, wie Ginsberg, Burroughs und Kerouac. Dann fragte er mich, was ich von Joyce hielte, ob der nicht trotz seiner bourgeoisen Herkunft revolutionäre Kunst gemacht habe. Ich sagte, ich habe keine Ahnung. Dann fragte er mich, was ich zuletzt gelesen hätte. Ich antwortete ihm, das sei ein Jerry Cotton-Heft gewesen. Er hielt das für einen Witz und lachte. Ich bestellte noch mehr Bier und einen Schnaps und wünschte mir, dass der Typ bald ginge.
Amadeus war im Gespräch mit zwei Studentinnen, die er mir als Anna und Susanna vorstellte.
»Die beiden wollten gerade gehen. Sollen wir nicht mit?«, fragte er mich und blinzelte verräterisch, weil die Antwort für ihn offensichtlich war. Der Typ mit dem Barett, der sich als Andreas vorgestellt hatte, meinte, es würde auch langsam Zeit zu gehen, da käme er einfach mit. Wir stolperten also alle auf die Straße, raus aus der Kneipe in die kalte Winterluft. Anna oder Susanna (ich weiß es nicht mehr) hakte sich bei mir unter und wir machten uns auf den Weg nach Sachsenhausen. Dort wollte eine der beiden zu einer Geburtstagsparty in einer Kneipe.
Anna oder Susanna schaute zum Sternenhimmel hinauf. Es war ein klarer, kalter Dezemberabend und da oben hatte jemand das Kitschpanorama aufgelegt.
Anna oder Susanna erzählte mir davon, dass sie Theologie studierte, dies aber in erster Linie wegen ihrer Familie tat und nächstes Semester das Fach wechseln wollte, um endlich ihren eigenen Weg zu gehen. Ich fragte sie, welches Fach sie denn gerne stattdessen studieren wolle. Sie antwortete Philosophie. Ich habe, um ehrlich zu sein, noch nie so genau den Unterschied verstanden, obwohl bei dem einen wohl das Wort Gott häufiger vorkommt.
Dann sagte sie etwas über den Sternenhimmel, wie weit und groß das alles sei. Ich musste an einen Film denken, den ich vor kurzem gesehen hatte, mit Bud Spencer und Terence Hill. In einer Szene, in der Terence Hill nachts mit einem Mädchen unterm Sternenhimmel liegt, redet die weibliche Darstellerin auch über die Schönheit der Sterne und Hill antwortet so etwas wie: »Ja, ja. Die großen sind ganz schön, die kleinen nicht so.« Seitdem muss ich in solchen Momenten immer daran denken.
An dieser Stelle unterbrach Jessy mich erneut. Sie meinte, dass das nicht stimmen könne. Sie kenne das Zitat auch und der Film sei erst viel später rausgekommen. In den Siebzigern. Sie sei sich da ziemlich sicher. Es entstand ein kurzes Streitgespräch zwischen uns, das damit endete, dass Jessy in diesem verdammten Internet nachschaute und verkündete, dass sie Recht habe. Der Film mit dem deutschen Titel Vier Fäuste für ein Hallelujah kam erst 1972 hier in die Kinos.
Was soll ich sagen? Sie hatte mir damit die Pointe versaut. Aber ich bin eben ein alter Mann und verwechsle manchmal Dinge.
Wir fuhren also nach Sachsenhausen und gingen in irgendeine Kneipe, deren Namen ich wieder vergessen habe. Dort trafen wir Freunde von Anna und Susanna, von denen einer Geburtstag hatte. Ich war schon ziemlich betrunken. Andreas versuchte, mich weiter in ein Gespräch über Literatur zu verwickeln, warum, weiß ich eigentlich nicht.
Er redete davon, dass Grass und Böll abgewirtschaftet hätten und der einzige moderne Schriftsteller in Deutschland Arno Schmidt sei, aber der sei leider kein Kommunist.
Dann erzählte er mir von einem Roman, den er schreiben wollte. Es ging um einen jungen, revolutionären Schriftsteller, der Romane im Stil von James Joyce und Henry James verfasste, dabei aber ständig Ablehnung erfuhr und sich gegen seine Familie und die Gesellschaft durchsetzen musste. Ich bestellte noch ein Bier.
Anna oder Susanna kam und forderte mich zum Tanzen auf. Sie hatten in der Kneipe eine Jukebox und es kam gerade ein Beatles-Song. Da ich schon betrunken genug war und von Andreas loskommen wollte, ließ ich mich darauf ein. Anna oder Susanna schlang die Arme um meinen Hals und wir tanzten, tanzten und dann wurde alles schwarz.
Am nächsten Morgen wurde ich von bohrenden Kopfschmerzen geweckt und stellte fest, dass ich auf dem Boden eines mir unbekannten Zimmers lag. An der Wand hingen verschiedene Fotos mit Personen, die ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen hatte, und ein Kruzifix. Ich war noch vollständig angezogen, aber jemand hatte trotzdem eine Decke über mich gelegt. Ich stand auf und suchte die Toilette, fand aber keine. Stattdessen stolperte ich im Flur über Amadeus. Endlich ein bekanntes Gesicht. Er grunzte kurz, öffnete die Augen und grinste mich an.
»Morgen.«
»Morgen. Wo, zum Teufel, sind wir?«
»Noch in Sachsenhausen. Ein Freund von Anna und Susanna hat uns angeboten, bei ihm zu übernachten.«
»Wo ist das Klo?«
»Draußen. Auf halber Treppe.«
Ich wankte aus der Haustür und die Treppe runter. Dort kotzte ich erst einmal und verrichtete andere Notdurft. Als ich wieder in die Wohnung kam, war Amadeus aus dem Flur verschwunden. Ich stellte fest, dass er es sich in dem Zimmer, in dem ich gelegen hatte, auf dem Boden bequem gemacht hatte und wieder eingeschlafen war. Aus einem anderen Zimmer kamen Geräusche. Es war die Küche. Dort stand ein junger Mann in Unterhosen und war damit beschäftigt, Kaffee zu kochen. Ich grüßte kurz und bedankte mich dafür, dass Amadeus und ich hier hatten übernachten dürfen. Er winkte jovial ab und stellte sich als jemand namens Karl vor, Student der Theologie, ein Kommilitone von Anna oder Susanna oder beiden. Ich sagte ihm, ich hieße Andreas, wäre Schriftsteller und würde Romane schreiben im Stile von James Joyce und Henry James. Dann bot er mir einen Kaffee an.
Es stellte sich heraus, dass Karl hier alleine wohnte. Sein Vater war Theologieprofessor in Tübingen und bezahlte ihm die Wohnung. So etwas wie WGs, die heute bei Studenten allgegenwärtig sind, gab es damals noch nicht.
Wir saßen da und unterhielten uns eine Weile bis Amadeus kam, weil er den Kaffee gerochen hatte. Er erzählte, dass wir nach der Kneipe, in der der Geburtstag gefeiert worden war, noch in drei weiteren gewesen wären. Irgendwann gingen Anna und Susanna, weil sie müde waren, und wir zogen mit Karl und zwei anderen Studenten noch weiter. Ich sagte, dass ich mich an überhaupt nichts erinnern könne, was Amadeus mit schallendem Gelächter honorierte.
Nach dem Frühstück bedankten wir uns nochmal bei Karl und machten uns auf den Weg. Von nun an saßen Amadeus und ich immer nebeneinander im Seminar von Alfred Oppermann und hatten leicht einen im Tee.
4
Wir waren gerade in unseren ersten Stau geraten. Jessy sagte, wir sollten in nächster Zeit eine Pause machen, sie müsse mal für kleine Mädchen. Ich versuchte, über den Verkehrsfunk zu erfahren, wie lange dieser Stau dauern würde. Aber