Medusas Ende. Elisa Scheer

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Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



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Schultasche hinein.

      „Wissen Sie, ich bin ja so froh, einmal ein richtiges Fachgespräch führen zu dürfen! Kinder sind ja wirklich was Entzückendes – hab ich Ihnen überhaupt schon Fotos von meinen vier Süßen gezeigt? – aber immer bloß zu Hause, ich hab´s ja nicht mehr ausgehalten, und jetzt, wo sogar Annika in den Kindergarten gekommen ist – mit knapp zweidreiviertel, stellen Sie sich vor, so ein weit entwickeltes Kind! Und schon völlig sauber! – kann ich doch endlich wieder wissenschaftlich arbeiten. Gut, bloß elf Stunden, aber ich kann ja jedes Jahr ein bisschen was draufsatteln, nicht, und in paar Jahren bin ich dann wieder eine richtige Vollzeitkraft. Mein Mann unterstützt mich dabei ja auch, er ist wirklich ein Schatz. So was ist ja total wichtig, meinen Sie nicht auch? Das haben Sie doch sicher auch früher schon erlebt.“

      Oh, oh, dachte ich, böser Patzer! Aber die Schwarz quasselte weiter, ohne den Fettnapf auch nur wahrzunehmen, wobei ihre winzigen braunen Löckchen aufgeregt zitterten. „... und ich dachte, wir könnten doch sicher mal bei einem Projekt zusammen arbeiten. Zum Beispiel was mit Lyrikübersetzungen in der Oberstufe, Shakespearesonette vielleicht. Oder etwas über Anglizismen und Germanismen, da gibt´s ja so viel. Im Spiegel war erst ein Artikel darüber, dass die Leute diese englischen Werbeslogans zum Teil gar nicht verstehen und dann denken Come in and find out heißt Komm rein und find auch wieder raus. Zum Schießen, was? Ich hab den Artikel aufgehoben, wenn Sie wollen, leg ich Ihnen eine Kopie ins Fach. Ja? Oder bei den kleineren – Übersetzungsübungen zu Harry Potter, die sind doch eh total scharf auf den neuen Band, und im Internet gibt´s doch diese Übersetzungswebsite...“

      Wieder ein Fettnapf. Sie latschte vergnügt quer hindurch und stieg wieder an Land: „... das wäre dann mal wirklich was Aktuelles, bloß halt nur einmal verwendbar, und wir müssten schnell sein, denn wenn der neue Band erstmal raus ist, interessiert sich höchstens noch die Oberstufe für das Original. Wir könnten uns aber auch mit Französisch zusammentun, etwas Dreisprachiges, meinen Sie nicht? Das wäre doch mal wirklich eine tolle Idee, oder? Ach, Frau Bernrieder, ich bin Ihnen ja für dieses Gespräch so dankbar – und Sie haben ja auch schon so viele Jahre Erfahrung, da kann ich doch noch richtig was lernen, gerade weil ich jetzt doch fast zehn Jahre raus war aus dem Geschäft und vorher bloß zwei Jahre im Schuldienst geschafft habe.“

      Ich rechnete kurz nach und kam zu dem Ergebnis, dass die beiden mindestens gleichaltrig sein mussten, wenn die Schwarz nicht sogar älter war. Aber die Art, wie sie die Bernrieder immerzu als ältere, erfahrenere Kollegin respektierte, war regelrecht subtil. War die Frau so raffiniert oder so naiv? Dazu der Hinweis auf die nicht vorhandenen Kinder (dass die Bernrieder solo war, wusste ich von Nadja) und – am allerbesten – auf ein Internet-Projekt... göttlich!

      Die Bernrieder schluckte kurz. „Sehr nett, ja. Ich fürchte, ich muss jetzt dringend -“ Damit entfloh sie, die Kopien immer noch in der Hand. Die Schwarz bemerkte meinen Blick und zwinkerte mir unmissverständlich zu. Von wegen naiv!

      Bevor ich sie ansprechen konnte, kam Nadja herein, der ich natürlich unbedingt hastig und halblaut berichten musste, was sich eben ereignet hatte, und mitten in ihre begeisterte Reaktion hinein läutete es zur Pause und das Zimmer füllte sich – die Schwarz aber verschwand, wahrscheinlich hatte sie Aufsicht. Danach enteilte ich in die Fünfte, mit denen ich weiter übte, wie man den Höhepunkt ausschmückte und dass es nicht notwendig war, Telefonklingeln mit „Ring, ring“ wörtlich zu zitieren, und marschierte dann weiter in meine beiden neunten Klassen, wo ich zwei Exen einheimste und mit neunundfünfzig Ergüssen zum Kaiserreich in die Ferien entschwand. Nadja stand im Lehrerzimmer, als ich kam, um meinen Anorak zu holen, und erzählte, sie würde die ganze Woche in London verbringen, Verena wollte mit ihrem Freund eine Woche an irgendeinem Strand herumliegen, DomRep wahrscheinlich. Auch gut, ich musste mich erst einmal in Ruhe an meine neuerdings so geordneten Verhältnisse gewöhnen. Ich wünschte beiden schöne Ferien, winkte Theo zu, der verloren herumstand und wahrscheinlich nach einer weiteren Keksschachtel Ausschau hielt, kassierte einen düsteren Blick von Wallner, den ich mit gerümpfter Nase quittierte, und ließ beim Hinausgehen der Bernrieder fast die Tür ins Gesicht fallen. „Oh, Verzeihung, ich hatte Sie gar nicht gesehen... Schöne Ferien, Frau Bernrieder!“ Ich grinste breit und harmlos und registrierte zufrieden, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Merkwürdigerweise sagte sie aber nichts Bissiges. Ob Verena Recht hatte – dass sie nur boshaft wurde, wo sie Schwäche witterte?

      Fast konnte sie einem leidtun, überlegte ich auf dem Weg zum Bus, eben noch die allmächtige Königin des Lehrerzimmers, alles zitterte vor ihr, und dann überreizte sie einmal ihr Blatt und alles fiel über sie her. Ich war mir nicht sicher, ob ihr Fehler darin bestanden hatte, so vehement das überflüssige Sprachlabor zu verteidigen und damit Jörndl in eine Ecke zu drängen, oder ob die überzogene Schulaufgabe, die Silberbauer zum Handeln gezwungen hatte, der größere Fehler gewesen war. Tiefer Fall. Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen... der Deutschlehrer an sich verfügt ja über einen reichen Schatz an Plattitüden!

      Ich stieg in Selling aus, sah auf die Uhr – exakt Viertel vor zwei, perfekt! – und marschierte siegessicher in die Bank. Die Sachbearbeiterin, bei der ich erst vorgestern weinerlich meinen Dispo hatte erweitern lassen, lümmelte unbeschäftigt am Tresen herum. Ich fischte meinen Gehaltsnachweis aus der Tasche und verkündete großspurig, ich wollte ein Depot eröffnen. Immerhin grinste sie nicht, sondern blieb ganz sachlich.

      „Und woran hatten Sie da so gedacht?“

      „An Fondssparpläne, und zwar New Sciences, Geldmarkt 1 und den Sorglos-Fonds. Jeweils für hundert Euro im Monat.“

      Sie nickte. „Eine ausgewogene Mischung. Nun gut....“ Sie wuchtete doch tatsächlich eine kleine Reiseschreibmaschine auf den Tresen und spannte ein Formular ein. Ich wunderte mich ein bisschen über das altmodische Equipment. Sie schien das zu spüren, denn sie lächelte verlegen. „Unser Server spinnt heute leider. Ich übertrage das, sobald er wieder läuft, natürlich sofort ins System.“ Sie tippte eifrig, fragte nach meinen persönlichen Daten, erbat drei Unterschriften und veranlasste sofort den ersten Ankauf. Ich musste mir einen längeren Vortrag über den Unterschied zwischen Ankauf- und Rückkaufpreis, Ausgabeaufschläge, Classic Fonds und Trading Fonds und die Vorzüge der hauseigenen Fondsgesellschaften anhören. Bevor sie mir auch noch erklären konnte, was Hedgefonds waren (wer wollte das wissen?), stoppte ich sie. „Danke, das ist mir alles klar. Und wenn ich Fragen habe, kann ich ja vorbeikommen.“

      „Jederzeit. Schön, dass Ihre Geldsorgen jetzt ein Ende haben. Sie könnten den Überschuss auf Ihrem Konto auch in einen Sparvertrag überführen – wir hätten da ein Angebot... ab dreitausend Euro vier Prozent Zinsen...“

      Ja, und wenn ich wieder ins Minus rutsche, kassiert ihr zwölf. Bin ich blöd?

      „Nein, danke“, antwortete ich süß. „Ich bin so ganz zufrieden.“

      „Und möchten Sie noch etwas mitnehmen?“

      „Nicht nötig, ich hab noch genug“, wehrte ich ab. Für den Aldi reichte es allemal. Hochzufrieden deckte ich mich mit Streichwurst, Streichkäse, Obst, Vollkornbrot, zwei Tüten Chips (Sonderangebot, nur 49 Cent!) und weil Ferien waren und ich es mir verdient hatte, einer Tafel Rahmschokolade mit ganzen Mandeln ein. Ach ja, Klopapier und Waschpulver nahm ich auch noch mit. Mit der Schultasche und dem unvermeidlichen Jutebeutel wurde das etwas unhandlich, und ich war ziemlich froh, als ich meine Wohnungstür aufschließen und wenigstens das Klopapier fallen lassen konnte.

      Zehn vor drei – und vor mir lag eine ganze freie Woche!

      Was sollte ich bloß alles tun? Andere verreisten oder kümmerten sich um Eltern, Geschwister und/oder Liebhaber, richteten ihre Wohnung neu ein oder leisteten sich eine neue Garderobe.

      Und ich? Himmel, kam jetzt etwa ein Anfall von Selbstmitleid? Verdammt, ich hatte Ferien, ein Dach über dem Kopf, zwei volle Einkaufstüten, ein Konto im Plus, sogar ein mickriges Depot und nette Kolleginnen. Was wollte ich denn noch? Das wusste ich auch nicht so recht, aber nachdem ich noch schnell brav meine Einkäufe verräumt hatte, hatte ich so richtig Lust, mir ein bisschen Leid zu tun.

      Vielleicht konnte mir ein Mittagsschläfchen gut tun? Das hatte ich mir doch eigentlich verdient, oder?