Medusas Ende. Elisa Scheer

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Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



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      Alles frei erfunden!

      Imprint Medusas Ende. Kriminalroman

      Elisa Scheer

       published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

       Copyright: © 2015 Elisa Scheer

       ISBN 978-3-7375-6260-7

       1

       MO, 20.10.2003

      Sobald der letzte trödelnde Neuntklässler das Zimmer verlassen hatte (Timo, wer sonst?), schloss ich die Tür ab und schleppte mich die drei Stockwerke hinauf ins Lehrerzimmer. Diese Schule war wirklich der reinste Turm, und natürlich gab es keinen Aufzug. Den hätten die Schüler auch im Handumdrehen kleingekriegt.

      Sechs Stunden Unterricht und dazwischen Pausenaufsicht – ich wusste nach sechs Wochen Arbeit am Albertinum noch nicht, wer hier den Stundenplan machte, aber dass er mir nicht freundlich gesonnen war, war eindeutig. Oder er hatte sich gesagt Drücken wir´s der Neuen aufs Auge, die traut sich schon nicht, sich zu beschweren.

      Recht hatte er! Ich traute mich wirklich nicht. Ich traute mich ja auch kaum, zu fragen, wenn mir ein Ablauf nicht klar war. Nach den ersten drei pampigen Antworten war schon deutlich geworden, dass die meisten Kollegen es nicht gerade schätzten, wenn jemand Neues, Junges, Unerfahrenes kam.

      Nett waren hier eigentlich nur die Schüler, überlegte ich, während ich versuchte, so zu atmen, dass ich nicht dem Herzinfarkt nahe das Lehrerzimmer betreten musste. Und dieser etwas abgehobene Chef, aber der wusste wohl gar nicht, was an seiner Schule so abging. Und Frau Thiemig, die mich ab und zu angrinste. Der Rest mochte mich nicht. Scheißegal, dachte ich wütend, ich mochte die alle auch nicht. Und wenn das so blieb, würde ich eben einen Versetzungsantrag stellen.

      Im Lehrerzimmer herrschte Hochbetrieb – die einen packten ein, die anderen aus, für den Nachmittagsunterricht in der Kollegstufe, und alle jammerten, wie furchtbar undiszipliniert und denkfaul die Schüler gewesen waren. Zu solchen Stunden merkte man, dass das Zimmer zu klein war – ursprünglich für fünfzig Leute ausgelegt, musste es jetzt fast siebzig beherbergen. Leute wie ich, die zu spät gekommen waren, hatten keinen Anteil am großen Tisch in der Mitte, sondern konnten froh sein, wenn ihnen ein Stuhl in der Ecke zugestanden wurde. So einen Stuhl hatte ich auch. Er wackelte, aber als Ablage für Bücher genügte er. Jetzt allerdings lagen die Bücher auf dem Boden und der Stuhl war weg. Typisch! Ich setzte mich neben die Bücher auf den Boden und begann, meine Schultasche, den Jutebeutel und die Plastiktüte so einzuräumen, dass ich im Bus damit zurechtkommen würde. „Soll das ein Sit-in werden?“, fragte mich jemand. Ich sah auf. Der blöde Wallner natürlich!

      „Nein“, antwortete ich knapp.

      „Warum wälzen Sie sich dann auf dem Boden herum?“

      „Ich wälze mich nicht, ich hatte nur nach sechs Stunden Unterricht das Bedürfnis, mich einen Moment hinzusetzen. Aber wenn das hier auch verboten ist...“ Ich stand mit betonter Leidensmiene auf und packte in gebückter Haltung weiter ein.

      „Seien Sie doch nicht so albern!“ Das würdigte ich keiner Antwort mehr. Der Kerl hatte doch sowieso immer was zu meckern! Frau Thiemig feixte und kam näher. „Hat man Ihnen den Stuhl geklaut?“

      „Ja“, seufzte ich. „Wahrscheinlich war er heiliges Eigentum von irgendjemandem. Und auf dem Boden sitzen darf man auch nicht, das passt dem Wallner nicht. Wie man hier in einer Freistunde etwas arbeiten soll, ist mir echt ein Rätsel.“

      „Mir auch. Ich hab ja auch keinen eigenen Platz, aber ich kann mich wenigstens in die Chemie-Vorbereitung verkriechen. Da stinkt es zwar fürchterlich, aber man hat wenigstens seine Ruhe.“

      „Buttersäure?“, erinnerte ich mich an meine eigene Schulzeit.

      „Nö, die Zigarren vom Bremml. Aber was will man gegen den Fachbetreuer schon machen!“

      Von den meinen hatte ich noch nicht viel gesehen. Ich hatte sowohl in Deutsch als auch in Geschichte das Protokoll der Fachsitzung geschrieben, aber Hilfestellung hatten sie mir nicht geleistet. Nein, das war ungerecht – in Deutsch hatte ich einen hektographierten (!) Zettel bekommen, auf dem in wegrutschender Schreibmaschinenschrift stand, welche Schulaufgaben in welcher Klasse in welcher Reihenfolge geschrieben werden sollten. In Geschichte gar nichts. Da musste ich wohl auf die Anschisse warten, wenn meine ersten Arbeiten respiziert waren...

      Learning by doing war hier anscheinend die Devise und Wenn wir Sie ignorieren, ist alles in Ordnung. Das erinnerte mich ein bisschen an den Mann meiner Freundin Silvia. So wie sie ihn zu beschreiben pflegte, bedeutete stummes Hineinschaufeln, dass das Essen okay war.

      Vielleicht war das normal und nur ich blöde Kuh erwartete, dass man auf mich zukam, mich lobte (wofür?) und mir sagte, wie man sich freue, mich in der Mannschaft zu haben. Das war hier doch kein Volleyballspiel!

      Heute Nachmittag sollte ich mal Leonie anrufen. Die war nach München versetzt worden: ob es bei ihr genauso lief? München – ein reizvoller Gedanke, aber ich hätte mir dort nie eine Wohnung leisten können, ich krebste hier ja schon am Existenzminimum herum. Vielleicht hatte Leonie nicht so viele Schulden angehäuft wie ich.

      Die Übungsaufsätze der fünften Klasse passten zwar in den Jutebeutel, aber die Hefte der Neunten überforderten mich. Wieso hatte ich auch gleich über sechzig Übungsaufsätze schreiben lassen? Gleichzeitig? Geniales Timing! Sicher war es Vorschrift, aber nicht so. Eigene Blödheit. Die Hefte mussten eben noch in die Plastiktüte und die beiden Bücher in die Schultasche. Und der Bildband – den brauchte ich heute Nachmittag nicht so dringend, den konnte ich in mein Postfach stecken und beten, dass er morgen noch da war. Nein, der kriegte hier garantiert Beine, und er war ziemlich teuer gewesen, ein Nachkaufen konnte ich mir nicht leisten.

      Ein Schränkchen hatte ich genauso wenig wie einen Anteil am Tisch, es gab eben auch nur fünfzig Schränkchen. Bei den Postfächern hatten sie mal einfach eine Reihe obendrauf gesetzt, man erkannte es an der unterschiedlichen Holzfarbe. Ich sah den Bildband verzweifelt an.

      Frau Thiemig kam wieder zu mir. „Soll ich Ihnen eine Tüte leihen?“

      „Das wäre toll“, antwortete ich erleichtert. „Ich kann den Schmöker ja nirgendwo hier lassen, also muss ich ihn mitschleppen.“

      „Ich hätte auch noch Platz in meinem Fach“, bot sie mir an und ich hätte sie umarmen mögen. „Das wäre natürlich noch besser. Ich hab ja schon drei Taschen dabei.“

      Frau Bernrieder kam vorbei und musterte uns missvergnügt. „Schlechte Organisation?“ Frau Thiemig bekam schmale Augen. „Wenn man Material für den Unterricht mitbringt und in dieser Bruchbude nirgendwo einen Platz hat, wo man es lassen kann, ohne dass es geklaut wird, ist das wohl keine Frage der persönlichen Organisation!“

      Die Bernrieder sah uns von oben herab an. Ganz schöne Leistung, wenn man kein bisschen größer war als wir! „Alles ist eine Frage des persönlichen Missmanagements. Na, sogar Sie werden es eines Tages noch lernen, Frau Prinz.“ Damit segelte sie davon und ich starrte ihr mit offenem Mund nach. „Was heißt denn sogar Sie? Bin ich so bescheuert, dass es sogar hier noch auffällt?“ Ich schlug mir auf den Mund. „Oh, Entschuldigung – ich wollte damit nicht sagen, dass das hier weniger auffallen würde, weil - “

      Die Thiemig grinste. „Keine Sorge. Die Idiotenquote ist hier wirklich auffallend hoch. Aber Sie kriegen das alles bestimmt schneller auf die Reihe als manch anderer. Wenn es Sie tröstet – die meisten sind so stinkig, weil sie Angst vor den Schülern haben und total fertig sind.“

      „Ich finde, die Schüler sind die einzig netten hier“, antwortete ich verwundert und nicht gerade taktvoll, aber sie lachte bloß. „Ich auch! Kann ich Sie übrigens irgendwohin mitnehmen?“

      „Ich glaube nicht“, antwortete ich voller Bedauern. „Ich wohne in Selling, und da müssen Sie garantiert nicht hin.“

      „Nein, aber ich kann da vorbeifahren. Los, kommen Sie schon! Sie wollen doch nicht ernsthaft diesen ganzen Krempel zum Bus schleppen, oder?“

      „Das mach ich doch