Medusas Ende. Elisa Scheer

Читать онлайн.
Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



Скачать книгу

herum, als hätte ihr einer was ins Essen gemischt. Total durchgeknallt, die Frau. Und besoffen, meiner Ansicht nach.“

      „Betrunken? Meinen Sie ehrlich?“ Ich erinnerte mich an diesen süßlichen Unterton in ihrer Parfumwolke. „Klar. Die Frau hat sie doch nicht mehr alle. Diese überzogenen Ansprüche an alle anderen, da überfordert sie sich selbst doch auch. Im Moment streitet sie mit Wallner.“

      „Ui, worüber denn?“ Nadja war sofort ganz Ohr und wischte sich hastig die Tränen aus dem Augenwinkel. „Weiß ich auch nicht. Er hat was von hysterisch gesagt, mehr hab ich nicht mitgekriegt. Ich wollte bloß noch an meine Zigaretten, alles andere war mir egal.“

      „Macht ja nichts“, murmelte ich enttäuscht. „Kann man nichts machen“, stimmte Nadja zu. „Aber zur Zeit ist die Bernrieder echt übel drauf. Und woher weiß die eigentlich so viele Einzelheiten über die Leute im Kollegium?“

      Frau Petri lachte spöttisch auf. „Na, weil sie schnüffelt! Die geht an die Personalakten, wenn sie glaubt, dass niemand sie sieht. Hab ich selbst mal mitgekriegt. Und dann versucht sie, Leute aus der Vergangenheit anderer zu finden und die auszuhorchen. Unmöglich finde ich das, ich hab´s dem Chef auch schon gesagt, aber der hat nur hilflos geschaut, wie immer eben.“

      „Es kann doch nicht so schwer sein, die Personalakten besser unter Verschluss zu halten?“, wunderte ich mich.

      „Nichts von dem, was er nicht macht, wäre schwer“, regte sich Frau Petri auf und qualmte erbost, „aber er macht ja gar nichts! Und dass ausgerechnet die versoffene Bernrieder an all diese Fakten rankommt...“

      „Fakten ist gut – bei mir war sie nicht so ganz aktuell. Und bei den anderen, das sind Dinge, die dürften gar nicht in der Personalakte stehen, Jugendsünden, Familiengeschichte und so.“

      „Ich sag´s ja, die schnüffelt auch weiter. Passen Sie auf, bei mir hat sie es auch gemacht. Nicht, dass mir irgendwas peinlich wäre- “ sie legte eine Pause ein, in der wir pflichtschuldigst kicherten, „aber ich hatte mit zwanzig mal eine ziemlich wilde Affäre mit einem Assistenten an der Uni. War toll – so als Erstsemester mit einer Lehrperson... na, davon abgesehen war es auch wieder nicht so besonders“ – sie grinste – „und so was taucht ja auch nicht in der Personalakte auf, oder? Ich hab dann verfolgt, wie sie gearbeitet hat. Aus der Akte hat sie mein Abiturdatum entnommen und die Uni, aus der Scheinliste dann die Veranstaltungen des ersten Semesters, und dann hat sie an der Uni anscheinend eine Teilnehmerliste aufgetan – ich wusste gar nicht, dass die den Krempel so lange aufbewahren, das ist jetzt vielleicht sechs Jahre her! – und sich zwei Leute gesucht, die noch unter dem damaligen Namen hier wohnen. Und denen hat sie weisgemacht, sie sammelt Studienerinnerungen an das Wintersemester 1968/69. Dann müssen die dermaßen ausgepackt haben! Jede Menge Müll, vermute ich mal, aber eben auch die Story von mir und der Lehrperson. So viele Margarethe Petris gibt´s in Leisenberg auch wieder nicht, also wusste sie, dass sie die Richtige am Wickel hatte. Und prompt gab´s Andeutungen über illegale Verhältnisse, erschlafene Scheine – dabei hab ich beim Klausi gar keinen Schein gemacht, damals – und möglicherweise ein erschwindeltes Examen. Ich hab ja schon überlegt, ob ich die Kuh anzeigen soll, aber das war mir dann doch zu blöd.“

      Nadja seufzte. „Kann ich mir denken, wär´s mir wahrscheinlich auch. Aber über meine Familiengeschichte kann sie eigentlich nichts rausgekriegt haben, es sei denn, sie hat geguckt, wo meine Eltern leben, und dann die Nachbarn ausgehorcht.“

      „Und warum soll sie das nicht gemacht haben?“

      Nadja schüttelte den Kopf. „Hat die Frau denn kein sinnvolles Hobby? Alle Thiemigs in Leisenberg abklappern, die Nachbarn kennen lernen, sich Klatsch und Tratsch anhören – und wozu? Um einmal einen Treffer zu landen, der ihr vielleicht zwei Minuten lang Befriedigung bringt? Mir wäre das ja zu bescheuert.“

      „Mir auch“, gab ich vorsichtig zu bedenken, „aber stell dir mal vor, sie findet wirklich was über jemanden raus. Etwas Schwerwiegendes. Meinetwegen jemanden, der sich sein Examen richtig erschwindelt hat. Den hätte sie doch dann total in der Hand. Diese Macht! Das berauscht so eine Frau doch bestimmt.“ Frau Petri nickte. „Genau das dürfte es sein, denke ich mir. Sie findet bestimmt hauptsächlich solchen Blödelkram wie bei uns raus, aber ab und an ist vielleicht wirklich eine Perle im Mist.“

      „Wir müssen Verena warnen“, stellte Nadja fest. „Die erschrickt ja fürchterlich, wenn sie sich erholt hat und wiederkommt und dann hört, wie die Bernrieder rumerzählt, sie sei auf einem Trip gewesen oder so was.“

      „Wir wollten doch eh zu ihr, um zu gucken, wie es ihr geht“, antwortete ich. „Dann packen wir´s jetzt, okay?“

      Frau Petri winkte uns nach und zündete sich noch eine an.

      Verena wohnte tatsächlich in einem richtigen Altbau, mit knarzenden Holztreppen, Vorsicht-frisch-gebohnert-Schildern, hundertmal dick überstrichenen Wohnungstüren und keinem Lift. Wir kletterten in den dritten Stock und klingelten schnaufend bei Ernst/Liebelt, unsere Mitbringsel griffbereit. Es dauerte ein bisschen, bis uns ein gestresst aussehender Mann öffnete.

      „Hallo Arne, wie geht´s der armen Kranken denn?“, fragte Nadja und schob sich an ihm vorbei. „Schwankt“, antwortete er. „Im Moment ist sie mal wieder auf dem Klo. Hallo?“

      Das galt mir. „Hallo, ich bin Eva, auch eine Kollegin von Verena“, stellte ich mich artig vor. „Ach so, ja, die Neue, nicht? Hab schon dir gehört. Am besten wartet ihr im Schlafzimmer auf sie. Wenn sie was braucht, soll sie rufen. Ich versuche gerade, Software zu installieren, und das ist kniffelig, wenn ihr also ohne mich zurechtkommt...“

      „Klar doch“, versicherte Nadja und zog mich in ein winziges Zimmer.

      „Ich dachte immer, Altbauwohnungen hätten riesige hohe Räume mit Parkett und Stuckdecken“, wunderte ich mich.

      „Die besseren schon“, erklärte mir Nadja. „Aber das hier ist eher eine Kleine-Leute-Wohnung von 1904. Viele winzige Zimmer, ein vorsintflutliches Bad – und eine mikroskopisch niedrige Miete.“

      „Auch nicht schlecht“, musste ich zugeben.

      „Finde ich auch. Das Zimmer ist doch putzig, oder?“

      Ich sah mich um. Putzig... es hatte vielleicht zehn Quadratmeter, die von einem großen Doppelbett dominiert wurden. Eine Seite war zerwühlt, die andere ordentlich gemacht. In einer Ecke stand ein altertümlicher, eher kleiner Schrank, daneben zwei über und über mit Klamotten behängte Kleiderständer. Ich hielt das Zimmer in erster Linie für unordentlich und vollgestopft, aber vielleicht fand Verena so etwas ja gemütlich?

      Bevor ich mir ein verlogenes Lob abquälen konnte, klappte eine Tür, man hörte die Klospülung rauschen und Verena kam in Slip und T-Shirt ins Zimmer geschlurft, blass, mit Ringen unter den Augen und zerwühltem Haar.

      „Was – ach, ihr seid es. Mann, geht´s mir beschissen!“

      „Wir haben dir was mitgebracht“, verkündete Nadja und packte Cola, Salzbrezelchen und Durchfalltabletten aus. „Wieso ist dein Arne eigentlich so fit?“

      „Keine Ahnung“, seufzte Verena. „Vielleicht liegt es daran, dass er zu diesem blöden Buffet dermaßen viel Rum gesoffen hat. Das muss ihn von innen desinfiziert haben oder so. Oder vor seinem doofen Rechner kapitulieren alle Viren. Unfair ist es auf jeden Fall.“ Sie spülte zwei Tabletten mit dem Cola herunter. „Hoffentlich nützt es was.“

      „Dein Arne hätte dir ja auch mal was aus der Apotheke holen können“, tadelte Nadja. Verena schaute etwas schuldbewusst drein. „Ich hab ihm nichts gesagt. Weißt du, er muss ja dringend diesen Vortrag fertigmachen, und gestern Abend ist ihm alles abgestürzt, und jetzt hat er dieses Antivirenprogramm...“ Ihre Stimme wurde immer schwächer, wohl aus Verlegenheit.

      „Und von selbst kommt er nicht darauf, dass er dir was besorgen könnte?“

      Verena sah Nadja nachsichtig an. „Von alleine? Wenn ich ihm nicht aufschreibe, was, wie viel, was es kostet und wo die Apotheke ist? Ich bitte dich.“

      „Naja,