Название | Medusas Ende |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737562607 |
„Lange nicht mehr gehört“, kommentierte ich auch, ohne nachzudenken.
„Du könntest mich ja auch mal anrufen“, konterte sie sofort. Hätte ich bloß den Mund gehalten! „Ich hatte total viel zu tun“, redete ich mich schwächlich heraus. „Ach was! Ich denke, du bist Lehrerin? Dann hast du doch nachmittags schon frei, oder?“
„Nein, hab ich nicht“, antwortete ich zornig. Blödes altes Vorurteil! „Was glaubst du eigentlich, wann ich korrigiere und wann ich mich vorbereite?“
„Vorbereiten? Das macht man doch auch bloß einmal für jede Klasse, und dann hat man das schönste Leben. Aber die Lehrer jammern ja immer, und jetzt fängst du auch noch damit an.“
„Wenn das so toll ist, warum bist du nicht Lehrerin geworden?“
„Das weißt du doch ganz genau! Wie hätte ich mit einem Baby am Hals studieren sollen?“
„Das haben andere auch geschafft. Aber egal. Was gibt´s denn?“
„Wieso muss es etwas geben?“
„Weil du nicht anrufst, wenn nichts anliegt“, erklärte ich mühsam beherrscht.
„Ach so, ja. Du müsstest mal auf den Friedhof gehen, das Grab schaut unmöglich aus. Kauf ein paar Eisbegonien und bepflanze es neu. Du weißt ja, bald ist Allerheiligen, und ich will mich nicht schämen müssen.“
„Das Grab schaut nicht unmöglich aus“, widersprach ich, „ich war doch erst vor zwei Monaten da.“
„Hast du den trockenen Sommer vergessen?“
Ach ja. Was kosteten wohl Eisbegonien? Und warum musste immer ich das machen? Weil es dein Vater ist, ich kannte die Antwort zur Genüge.
Und dein Mann war keine gute Replik, denn dann folgte unweigerlich Davon hab ich auch gerade viel gehabt.
Ich seufzte. „Gut, am Samstag. Vorher kann ich nicht, ich muss noch überall ein Ex schreiben. Und gucken, wo Eisbegonien günstig sind.“
„Sei nicht so geizig, immerhin war er dein Vater, auch wenn du ihn nicht gekannt hast!“
„Ich bin nicht geizig, ich bin pleite. Der Staat hat mir noch kein Gehalt gezahlt.“
„Tja – du wolltest ja unbedingt Beamtin werden!“ Sie legte auf. Ich schnitt dem Telefon eine wütende Grimasse und wühlte im Schrank nach der Plastiktüte mit meinen Mini-Gartengeräten, die ich nur für den Friedhof brauchte.
Mich hätte ja schon mal interessiert, wie mein Vater so gewesen war. Und wie er ausgesehen hatte. Aber meine Mutter war nach seinem Tod so wütend gewesen, dass sie alle Fotos vernichtet hatte. Und Großeltern hatte ich schon lange keine mehr. Ich wusste gerade mal, dass er Roland geheißen hatte und Polizeianwärter gewesen war. Einundzwanzig und meine Mutter noch nicht ganz zwanzig, als ich zur Welt kam. Sie waren gerade zwei Monate verheiratet gewesen, und als bei meiner Mutter die Wehen einsetzten (an der schweren Geburt war sowieso ich schuld), hatte er Dienst. Danach wollte er ins Krankenhaus fahren, um mich zu besichtigen, aber er war auf der eisglatten Straße – es war Januar – ins Schleudern gekommen und gegen einen Baum geprallt. Jede Hilfe war zu spät gekommen. Das hatte meine Mutter ihm nie verziehen.
Überhaupt, alle waren immerzu an allem schuld. Mein Vater hatte sich aus purer Bosheit das Genick gebrochen, und ich war aus purer Bosheit zur Welt gekommen. Als sie mir das am Tag meiner Abiturfeier schon wieder vorgeworfen hatte, hatte ich gekontert: „Hättest du eben Kondome gekauft!“
Daraufhin war sie wenigstens so lange still gewesen, dass ich in Ruhe meine paar Sachen packen konnte. Seitdem verkehrten wir nur noch telefonisch miteinander. Ich durfte mein „Elternhaus“ nicht betreten (das Reihenhäuschen, das sie von ihren Schwiegereltern geerbt hatte) und ich hätte sie bei mir auch nicht reingelassen, sie hätte ohnehin nur alles in Grund und Boden kritisiert und mir die Laune verdorben. Aber ihre Art, so zu tun, als hätte ich ihr das ganze Leben verdorben – Himmel, sie war noch keine fünfzig und sah bestimmt immer noch gut aus! – nagte doch an mir. Was konnte ich schließlich dafür, ich hatte nicht darum gebettelt, gezeugt zu werden!
Warum sie nichts arbeitete, verstand ich auch nicht. Um mich hatte sie sich nie viel gekümmert, ich wurde sehr schnell zur Selbständigkeit erzogen. Sicher, sie bezog eine Rente von der Polizei, ihre Eltern schossen etwas zu, die Eltern meines Vaters ebenfalls – aber dass sie sich nicht langweilte?
Also musste ich am Freitag irgendwo günstige Eisbegonien erstehen (und einen kleinen Sack Erde vielleicht auch) und am Samstag gärtnern. Zum Friedhof fuhr auch bloß ein ziemlich umständlicher Bus. Das ärgerte mich jetzt wieder. Typisch Mutter, kaum fühlte man sich mal so richtig wohl und zufrieden, versaute sie einem die Laune. Das konnte sie wirklich gut!
Um mich wieder aufzumuntern, zog ich die Fondspropekte aus der Tasche, studierte sie gründlich und schaute mir diejenigen, die sich vernünftig anhörten (und das waren beileibe nicht alle) im Internet an. Manche waren in den letzten Jahren böse abgestürzt, aber jetzt schien sich die Lage trotz aller politischen Unkerei wieder etwas zu entspannen.
Ich kritzelte herum und schrieb mir zum tausendsten Mal auf, wie hoch meine Fixkosten waren, wie viel ich jeden Monat von meinem Dispo abzahlen wollte und wie viel mir nach Adam Riese von den vermuteten zweitausend Euro übrig bleiben musste. Für zweihundert Euro im Monat konnte ich mir schon etwas leisten, vielleicht einen internationalen Aktienfonds und einen gemischten, teils Renten, teils Aktien, teils Termingelder. Klang vernünftig. An zehn Prozent Rendite im Jahr glaubte ich zwar auch nicht, aber seinen Wert würde das Geld doch wohl wenigstens behalten?
Konnte ich sonst noch etwas verkaufen? Ich sah mich in meiner bescheidenen Bude um – putzen sollte ich mal wieder – und fand nichts mehr. Flohmarktkram hatte ich ohnehin nicht, was da war, brauchte ich wirklich, und zumeist war es für einen Verkauf auch schon zu schäbig.
Okay, sobald das Geld da wäre, würde ich immer zu Monatsanfang die Fonds ordern und dann versuchen, weiterhin mit vier Euro am Tag auszukommen. Heute hatte ich verbraucht... zwei Euro vierzehn, Kekse und Mandarinen. Ich aß zwei Mandarinen und kochte mir eins der Sofort-fertig-Süppchen in einem Teebecher, dazu gab es eine Scheibe Vollkornbrot und sicherheitshalber eine Vitamintablette. Offenbar war ich die einzige Neue an der Schule, die bis jetzt noch keinen Tag krank gewesen war (aber schon zwölf Vertretungen gehalten hatte) – und das sollte auch so bleiben. Wenn sie mich schon nicht mochten, sollten sie mich wenigstens respektieren!
Die heiße Tomatensuppe war recht lecker, wenn man die versprochenen Croutons auch mit der Lupe suchen musste.
Gesättigt und wieder einigermaßen mit meinem Leben versöhnt lehnte ich mich zurück. In ein paar Jahren hätte ich ein solides kleines Polster auf der Bank und dann konnte ich auch über so etwas wie eine Rentenversicherung nachdenken. Und sobald ich gut bei Kasse war, würde meine Mutter wahrscheinlich auf meine Kosten in ein teures Pflegeheim wollen... Na, das hatte noch Zeit! Und konnte man nicht sagen Sie hat mich meine Ausbildung alleine finanzieren lassen, jetzt soll sie gefälligst in ein Städtisches Heim?
Nein, wahrscheinlich nicht, dann stünde ich beim Sozialamt wie eine Rabentochter da. Ich verbannte den Gedanken energisch aus meinem Kopf, um mir die Laune nicht auch noch selbst zu verderben.
DO, 23.10. 2003
Welch ein Genuss, in die Schule zu kommen und seinen Krempel sofort auf seinen eigenen Tisch zu knallen, in Ruhe den Anorak loszuwerden und sich dann auf einen Stuhl zu setzen, bei dem niemand sagte He, da sitzt aber seit zehn Jahren Dr. Sowieso, da dürfen Sie sich doch nicht einfach hinsetzen! Die Bernrieder schaute zwar muffig, als ich fröhlich – und ziemlich laut – einen guten Morgen wünschte und dann zum Kopierer eilte, um das Blatt für die Achte durchzunudeln, aber sie sagte nichts. Auch Kelchow, der gerade neben ihrem Tisch stand, warf mir einen eher düsteren Blick zu, bevor sie sich wieder eine recht interessanten Aktion widmeten: Hunderteuroscheine zählen.
Während ich dem Kopierer zusah,