Название | Medusas Ende |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737562607 |
„Gleich fertig. Was machen die Bernrieder und der Kelchow mit der ganzen Kohle? Die zählen da, als müssten sie die Beute aus einem Bankraub teilen.“
„Wahrscheinlich Geld für den USA-Austausch. Der Kelchow fliegt im Februar mit dreißig Elftklässlern nach Little Rock. Und die Bernrieder koordiniert hier den ganzen Austausch, egal, wohin. Im Juni kommen dann die Amis zu uns.“
„Interessant!“ Ich fischte meine Vorlage von der Glasplatte und stellte alles auf Standard. „Hier, bitte! Wohin gibt´s denn noch Austauschfahrten?“
Sie legte ihre Vorlage ein, tippte die Anzahl ein und startete. Dann überlegte sie. „Nach Versailles, nach Allessandria – das ist irgendwo bei Mailand – und nach Brno. Da will aber immer keiner hin.“
„Brünn? Tschechien? Nicht übel. Das würde mich mal reizen, ich war noch nie im ehemaligen Ostblock.“
„Mensch, dann sag´s dem Silberbauer, der adoptiert dich auf der Stelle!“
„Wenn ich endlich meinen Eid leisten darf. Wann findet die Fahrt denn da statt?“
„Ich glaube, kurz nach Ostern. Und ihr kommt praktisch gleich mit den Tschechen zurück. Vor Pfingsten ist alles überstanden. Elfte Klassen, glaube ich. Oder zehnte. Frag den Silberbauer. Scheiße, schon zwanzig vor acht, ich hab ja Frühaufsicht! Ciao!“
Die Idee gefiel mir, auch wenn ich dann sicher mehr mit der Bernrieder zu tun hätte, als mir lieb sein konnte. Aber vielleicht war sie ja froh und dankbar, wenn sich jemand den Brünn-Austausch freiwillig ans Bein band. Und aus meiner 11 b würden sicher einige gerne mitfahren.
Ich absolvierte die ersten drei Stunden routiniert – schade, dass niemand zu einem Unterrichtsbesuch gekommen war, die Stunden waren richtig vorzeigbar gewesen, was ja schließlich nicht täglich vorkam.
Als ich in der großen Pause ins Lehrerzimmer zurückkehrte und mich hastig auf meinen Platz stürzte, damit ihn mir keiner streitig machen konnte, merkte ich erst, als ich die Nusskekse auf den Tisch stellte, dass ich mitten in einen gewaltigen Krach geraten war. Die Bernrieder natürlich – im Clinch mit der Englisch-Fachbetreuerin, Frau Reimes. Worum es ging, war mir trotz eifrigem Lauschen zunächst nicht recht klar, nur, dass beide Damen nicht mit persönlichen Spitzen sparten, was Frau Bernrieders soziale Defizite und Frau Reimes´ Übergewicht betraf. Ich war nicht die einzige, die begeistert zuhörte – auch alle anderen saßen, ihre Brotzeit in der Hand, da, als säßen sie mit Popcorn im Kino.
„Aber von Disziplin verstehen Sie natürlich nichts“, schoss die Bernrieder den nächsten Pfeil ab, „Sie haben ja nicht einmal Selbstdisziplin genug, um für einen erträglichen Anblick zu sorgen.“
Das war schon heftig – die Reimes war etwas pummelig, gut, aber sie kleidete sich geschickt und wirkte sehr gepflegt. Während ich noch überlegte, ob ich etwas sagen sollte, und mich über meine Feigheit ärgerte, hielt Nadja ein bordeauxfarbenes Notenbüchlein hoch und rief „Rote Karte! Tiefschlag!“
Die Reimes feixte kurz, die Bernrieder schnauzte: „Halten Sie sich bloß da raus!“
„Wenn Sie unter Disziplin Ihren Kasernenhofton verstehen, damit kann ich wirklich nichts anfangen“, fuhr die Reimes dann die Bernrieder an. „Vor Ihnen haben die Schüler bloß einen Heidenschiss, und damit schafft man auch keine gedeihliche Lernatmosphäre. Oder glauben Sie, es ist Zufall, dass bei Ihnen reihenweise ansonsten erfolgreiche und fleißige Schüler wegen Englisch durchfallen – Schüler, die bis dato keinerlei Schwierigkeiten mit diesem Fach hatten? Ich habe mir diese Schulaufgabe angesehen, und das Niveau wäre schon für einen Leistungskurs happig. Für eine Zehnte ist es absolut übertrieben. Der Text ist jenseits des Weltverständnisses von Sechzehnjährigen, und die Aufgaben sind nahezu unlösbar. Dazu haben Sie noch dermaßen gnadenlos korrigiert, dass mich der Durchschnitt von 5, 31 nicht wundert. Sie werden diese Schulaufgabe zurückziehen, Frau Bernrieder, und bevor Sie sie wiederholen, legen Sie mir die Angabe bitte vor.“
„Ich denke nicht daran! Ich geh zum Chef!“
„Erstens ist der immer noch auf der Direktorentagung, und zweitens hat er mich gestern Morgen vor seiner Abfahrt gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Glauben Sie, er legt Wert darauf, dass ihm erboste Eltern die Bude einrennen, wenn er überhaupt nichts in der Hand hat?“
„Eltern!“, schnaubte die Bernrieder. „Erst setzen sie dämliche Kinder in die Welt, und dann glauben sie, sie könnten das Abitur auf dem Beschwerdeweg einklagen.“
„Mit solchen Vorlagen könnten sie das auch. Die Schulaufgabe war wirklich voll daneben. Sie wird kassiert, und wenn Sie es der Klasse nicht sagen, tue ich´s. Ob das Ihre Position in der Klasse natürlich festigt...“
„Das wagen Sie nicht!“
„Wollen Sie´s drauf ankommen lassen?“ Die Reimes lächelte gelassen, aber man merkte, dass sie einen eisenharten Kern hatte. Mit zornrotem Gesicht stürzte die Bernrieder nach draußen. Ich grinste versonnen. „Hätte ich nicht gedacht, dass jemand der Frau mal so kräftig eins auf die Nase gibt. Klasse!“
Nadja grinste auch. „Die Reimes traut sich eben. Aber offenbar war die Schulaufgabe dermaßen über dem Niveau, dass ihr gar nichts anderes übrig geblieben ist. Die Bernrieder ist furchtbar, ich warte immer darauf, dass irgendein Schüler mal eine Dummheit macht, weil er nicht mehr weiter weiß. Wir lassen uns ja schon alles raushängen, dass sie zu jedem von uns kommen können, wenn sie von der Bernrieder schikaniert werden, aber ob sie sich das trauen? Und der Silberbauer selber – der delegiert so was an jeden, der sich über diesen Feldwebel beschwert. Dann sprechen Sie doch selbst mal mit ihr, das ist seine ständige Antwort. Dabei müsste er mal ran. Und einen Eintrag in die Personalakte! Sie bringt Unfrieden ins Kollegium, sie hat das Sozialverhalten eines wütenden Nilpferds und die pädagogischen Talente eines Schleifers bei den Marines. So kann es doch nicht weiter gehen!“
„Hat sie denn gar keine Fans?“
„Der Kelchow verteidigt sie manchmal etwas matt. Der Jörndl hat Angst vor ihr, aber die Sache mit den Tischen zeigt doch, dass er sich auch nicht alles gefallen lässt. He, Nusskekse! Die guten von Aldi! Die ess ich auch am liebsten!“ Sie griff zu, und ich schämte mich nicht länger meines preisbewussten Einkaufsverhaltens. Theo stieß wie eine Mastgans, die sich für einen Raubvogel hält, auf unseren Tisch hernieder und langte in die Keksschachtel. „Super! Ich hab grad so einen Hunger!“
„He, friss die nicht alle auf“, schimpfte Nadja lachend, „Verena und Bea wollen vielleicht auch noch welche!“
„Dann sollen sie nicht herumtrödeln.“
„Die haben Aufsicht!“ Sie schlug ihm auf die Finger. „Außerdem sitzt dein Pulli schon ganz schön stramm. Apropos, eben hast du vielleicht was verpasst...“ Sie tratschte ihm mit gesenkter Stimme alles über den eben gehörten Streit, fast wörtlich. Ich staunte über ihr perfektes Gedächtnis und assistierte, wo es nötig war – meist musste ich nur bestätigen, dass es wirklich so gewesen war.
Theo schaffte es, beim Zuhören fast alle Kekse zu verdrücken, ich konnte nur staunend zusehen. „Ob ihre Macht jetzt gebrochen ist?“, überlegte Verena, die mittendrin hereingekommen war und Theo jetzt auf die Hand schlug, bevor er sich auch noch den letzten Keks nahm. „Das ist meiner!“
„Wäre ja zu schön“, meinte Nadja versonnen. „Eva, irgendwie hast du das ausgelöst. Wie du vorgestern so waisenkindartig hier herumgestanden bist – das muss in Jörndl verschüttete Beschützerinstinkte geweckt haben. Na, und wenn einer aufmuckt, werden die anderen natürlich auch frech.“
Ich kicherte. „Meinst du ehrlich?“
„Wer weiß?“
Theo verzog sich wieder, um noch etwas nachzuschlagen. „Was machst du heute Abend?“, fragte Verena mich, kaum, dass er außer Hörweite war.
Ich zuckte die Achseln. „Zu korrigieren habe ich ausnahmsweise nichts. Putzen könnte ich mal, aber das dauert höchstens zehn Minuten. Warum?“