Medusas Ende. Elisa Scheer

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Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



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wie oft er schon die Scheißerei hatte? Mit vielen schönen Details?“

      Nadja gab auf. „Können wir denn noch was für dich tun?“

      „Nein, danke. Genießt ihr nur euren Nachmittag. Ich glaube, dieses Zeug wirkt schon, jedenfalls war ich jetzt“ – sie sah auf die Uhr – „schon seit fast elf Minuten nicht mehr auf dem Klo. Die Lage scheint sich zu entspannen. Morgen kann ich bestimmt wieder kommen, ohne mitten in der Stunde aus dem Klassenzimmer stürzen zu müssen.“

      Ich warf noch einen letzten Blick durch offen stehende Türen, als ich Nadja zur Wohnungstür folgte. Eine unordentliche Küche, ein Bad, in dem die Wanne noch auf Füßchen stand, ein Zimmer, das fast nur aus Kabelsalat am Boden, einem gebeugten Rücken und einer Flut von leisen Flüchen bestand, und in dem relativ großen, quadratischen Flur (ein richtiges Vorzimmer) Mantel und Jacken für mindestens zehn Leute.

      „Wer wohnt denn da noch?“, fragte ich Nadja im Treppenhaus.

      „Noch? Wieso noch? Verena und Arne, sonst niemand. Ach, du meinst, wegen der Jackenkollektion? Die haben zu wenig Schränke und wollen seit mindestens zwei Jahren demnächst mal zu IKEA fahren, aber sie kriegen nichts geregelt.“ Sie lachte und stieß die schwere Haustür auf; die eisige Luft draußen und der Lärm trafen mich wie ein Schlag. „Verena und Arne kriegen nie was auf die Reihe, was außerhalb ihrer Berufe liegt. Das wirst du schon noch merken.“

      „Was macht dieser Arne?“

      „Softwareentwicklung, soweit ich weiß. Freiberuflich, mehr oder weniger. Mal landet er einen Erfolg, mal läuft gar nichts, dann zoffen sich die beiden, weil sie ja ein festes Gehalt hat.“

      „Das stelle ich mir ziemlich anstrengend vor“, bemerkte ich.

      Nadja schloss ihr Auto auf und wischte prüfend über die Windschutzscheibe. „Gott sei Dank, nicht schon wieder angefroren! Ja, ich auch – aber Verena scheint das zu mögen. Oder besser ihn zu mögen. Und er ist meistens ein ganz netter Kerl.“ Ein ganz netter Kerl – und dafür Chaos und finanzielle Unsicherheiten? Mir wäre es das nicht wert, überlegte ich, während Nadja nach Selling kurvte. Aber wo die Liebe hinfällt... Mit Liebe hatte ich es eigentlich nicht so, die machte blöde, fand ich.

      Nadja parkte vor unserem Haus. „So, und jetzt zeigst du mir dein Zimmerchen!“ Ich überlegte hastig. Doch, alles vorzeigbar! Sie lachte über das Lachsrosa im fünften Stock. „Im Sechsten ist alles veilchenfarben“, relativierte ich den schrägen Eindruck und schloss meine Tür auf. „Hier, bitte – alles auf einen Blick. Tritt ein und trink einen Tee.“

      „Tee ist gut“, stimmte sie zu und sah sich um. „Echt praktisch eingerichtet. Und – Teufel, ist es hier ordentlich! Hast du überhaupt keinen Schnickschnack, der rumliegt?“

      „Nö. Erstens kostet der bloß Geld“, argumentierte ich, während ich den Wasserkocher im Bad füllte, „und zweitens hast du hier im Handumdrehen ein fürchterliches Chaos. Das Zeug kann sich ja nicht richtig verteilen! Ordnung ist hier die blanke Notwehr. Aber wenn man sich mal an den Minimalismus gewöhnt hat, ist es ganz angenehm.“ Ich stöpselte den Wasserkocher ein und schüttete Kekse auf einen meiner drei kleinen Teller, dann stellte ich zwei Becher und den Zuckernapf dazu.

      „Milch hab ich keine, weil ich keine mag. Tut mir Leid.“

      „Ich mag auch keine, jedenfalls nicht im Tee.“ Nadja setzte sich aufs Bett und nahm sich einen Keks. „Eigentlich ist es saugemütlich hier.“ Ich lachte. „Danke. Mir gefällt es auch ganz gut. Aber auf die Dauer wären ein paar Quadratmeter mehr auch nicht schlecht.“

      „Na, jetzt, wo der Rubel rollt...“

      „Eben. Wenn jetzt noch die Bernrieder aufhören würde zu nerven, wäre alles perfekt. Und bei dir?“ Nadja zuckte die Achseln. „Geht schon. So anstrengend ist die Schule ja nicht mehr, ich hab schließlich schon sechs Jahre Erfahrung.“

      „Dann warst du aber früh fertig?“

      „Mit sechsundzwanzig. Vorher konnte ich nicht von meiner Mutter weg, kein Geld. Du kennst das ja. Und meine Mutter... gut, sie hat es bestimmt nicht leicht gehabt mit Florian... und dann die Scheidung... und mein Vater, der ganz schnell wieder geheiratet und sich zwei bessere Kinder zugelegt hat... das hat sie bestimmt hart getroffen. Aber wenn man sich täglich diese Jammerlitaneien anhören muss... und sie auch nach Jahren da gar nicht rausfinden will und sich auch nicht helfen lassen will. Irgendwann hab ich die Geduld verloren und gedacht Bloß noch fertig werden, was verdienen und raus hier! Und du?"

      „Das Problem hatte ich schon mal nicht. Meine Mutter hat mich am Tag der Abifeier rausgeschmissen. Sie hätte jetzt ihre Pflicht erfüllt und genügend Jahre an mich verschwendet. Ihre besten Jahre... Komisch bloß, soweit ich weiß, hat sie sich danach keinen Kerl geangelt, dabei war sie noch keine vierzig. Seitdem telefonieren wir bloß noch ab und zu miteinander. Ich bin völlig frei von Familienbanden.“

      „Geschwister? Vater? Nichts?“

      „Nichts. Mein Vater ist einen Tag nach meiner Geburt verunglückt, und ich war das erste Kind. Er hat mich gar nicht mehr zu sehen gekriegt, und das nimmt meine Mutter der ganzen Welt übel. Vor allem ihm und mir. Zur Strafe erzählt sie mir nichts über ihn, ich weiß bloß seinen Namen und seine Geburtsdaten, weil die ja auf dem Grabstein stehen und ich mich um das Grab kümmern muss. Vermutlich hatte er rote Haare, meine Mutter hat jedenfalls keine. Die ist eher der dunkle Typ.“

      „Daher die braunen Augen?“

      Ich nickte. „Hauptsache, ich hab ihren Charakter nicht geerbt, der Rest ist mir egal. Hast du Kontakt zu deinem Vater?“

      „Selten. Man muss immer die Kinder bewundern, und die wären ja vielleicht ganz nett, aber er hat sie dermaßen verzogen, dass sie ganz schön nerven. Und dann schwingt immer so was mit wie Guck, so sehen gesunde Kinder aus. Nicht solche Flops wie ihr.

      „Wieso bist du ein Flop?“, fragte ich empört.

      Sie machte eine ratlose Geste. „Weiß ich auch nicht. Weil ich ein Mädchen war? Jetzt hat er zwei Söhne. Ansonsten könnte er ganz zufrieden sein, finde ich. Hast du eigentlich einen Freund?“

      Der rasche Themenwechsel verblüffte mich. „Nein, du?“

      „Nö. Zu viele Frösche.“

      „Und sie stehlen einem viel zu viel Zeit“, stimmte ich zu, erfreut, eine Gesinnungsgenossin gefunden zu haben.

      „Ach, Zeit hätte ich schon, aber immer wenn ich einen kennen lerne, zeigt er binnen Kurzem dermaßene Macken, dass ich mich nur noch mit Grausen wenden kann.“ Sie nahm einen Becher Tee entgegen.

      „Zum Beispiel?“, fragte ich neugierig.

      „Naja – einer wollte möglichst schnell sieben Kinder, weil er das für die optimale Anzahl hielt, um das Rentensystem zu retten. Und ich sollte die liebe Mutti dazu sein. Einer wollte jeden Sonntag in die Berge und war stinkbeleidigt, als ich nach dem ersten Mal nicht mehr mitwollte. Einer wollte sofort mein Auto mal anständig tunen, aber das wollte ich nicht, ich will´s ja schließlich noch verkaufen können. Einer war sauer, weil ich ihm keine Knöpfe annähen wollte, einer suchte im Bett eine Sklavin – nicht mit mir, da steh ich nicht so drauf – und mit vielen kann man sich ja nicht einmal auf das Fernsehprogramm einigen. Gut, das ließe sich mit zwei Fernsehern lösen“, fügte sie schnell hinzu, als ich den Mund öffnete, „aber da sind Geschmacksverirrungen zutage getreten... bloß Fußball oder bloß RTL II. Aber einer hat Fernsehen prinzipiell abgelehnt, als Ausgeburt des Bösen. Der hat mein altes Ding gesehen und sofort fieberhaft gebetet. Da hab ich ihn rausgeschmissen, ich glaube, der hat bis heute nicht verstanden, warum.“

      „Oder er hält dich für eine Abgesandte der Hölle“, schlug ich vor.

      „Ja, kann auch sein. Himmel, wie hat der Kerl bloß geheißen? Arnold? Alfred? Irgendwas mit A. Als er beim Essengehen schon so komisch drauf war, ob ich wirklich die Leiche eines Tieres, eines Mitgeschöpfes, essen kann, hätte ich mir ja denken können, dass das nichts wird. Dabei bin gar keine fanatische Fleischesserin,