Medusas Ende. Elisa Scheer

Читать онлайн.
Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



Скачать книгу

Farbe. Ist die ehrlich echt?“

      „Echt echt“, bestätigte ich. „Wahrscheinlich von meinem Vater geerbt. Meinst du, ich sollte sie braun färben, damit die Leute sich nicht aufregen?“

      „Wer regt sich denn auf? Bloß die Bernrieder, und die ist nur sauer, weil sie den Schülern eben nichts beibringt. Sie knallt ihnen den Stoff hin und prüft sie dann zu Tode. Du musst dir mal anhören, was die Kids so erzählen! Auch wenn man die üblichen Übertreibungen abzieht, bleibt noch verdammt viel übrig. Und hast du die Sache mit der Schulaufgabe vergessen?“

      „Natürlich nicht. Was glaubst du, warum ich das mit dem Beibringen gesagt habe. Ich wollte ja freundlich sein, weil sie doch vor den Ferien schon so einen Ärger hatte, aber die will´s ja nicht anders haben.“ Nadja gluckste. „Und ich hab mich schon gewundert, warum du so nett zu ihr bist!“

      „Nie wieder“, ärgerte ich mich. „Ab jetzt bin ich bei denen, die ihr noch einen Tritt versetzen, wenn sie schon auf dem Boden liegt. Die Alte soll sich noch wundern!“ Ein missbilligendes Räuspern ließ mich aufsehen. Wallner starrte mich an. „Sehr kollegial, Frau Prinz!“

      „Halten Sie sich doch da raus“, entgegnete ich patzig. „Wenn Frau Bernrieder zu mir unverschämt ist, muss ich mir das nicht gefallen lassen.“

      „Guter Stil ist das nicht“, rügte er und schritt an uns vorbei, der Zoll Ablehnung ausstrahlend. Ich streckte seinem Rücken die Zunge heraus.

      „Der kann dir doch wirklich egal sein“, fand Nadja. „Der hat dir überhaupt nichts zu sagen. Auch bloß ein Studienrat.“

      Ich musste lachen. „Ganz unten in der Hackordnung?“

      „Ja, genau wie wir. Der soll sich nicht so aufmandeln. Und ob er den guten Stil gepachtet hat... ich hab mal gehört, wie er den Kelchow runtergeputzt hat, auch wegen irgendwelchem Englischkram. Gut, er hat nicht so rumgezetert wie die Bernrieder, es war mehr so leise und eiskalt, aber glücklich hat der Kelchow hinterher nicht ausgesehen.“

      „Dabei macht der Kelchow gar keinen so üblen Eindruck.“

      „Nur komisch, dass er so oft der Bernrieder Recht gibt“, wandte Nadja ein. „Und ich bin immer ein bisschen misstrauisch, wenn ein Mann gar so schön ist. Er wirkt ein bisschen unecht. Ich muss mich mal unauffällig umhören, was die Schüler von ihm denken. Die haben oft ein sehr gesundes Urteil.“

      „Wenn er ihnen nicht gerade eine Fünf reingesemmelt hat.“

      Es läutete zum ersten Mal, und ich begann, den Inhalt meiner Tasche zu sortieren. Das gab noch einen harten Tag!

      Hart, aber erfolgreich. Müde und zufrieden kam ich um eins ins Lehrerzimmer zurück, wo ich erfuhr, dass Verena gleich nach der ersten Stunde wieder nach Hause gegangen war, um sich in der Nähe ihres Badezimmers aufzuhalten. Die Arme, Durchfall war wirklich das Blödeste, was einem in der Schule passieren konnte! „Ich werde nachher mal bei ihr vorbeischauen“, verkündete Nadja, „kommst du mit?“

      „Gerne. Bringen wir ihr Cola und Salzstangen mit, damit ihr Mineralhaushalt wieder auf die Beine kommt.“

      „Ich hab eher an dieses Medikament aus der Werbung gedacht, das mit der Ballonfahrt, wie heißt es doch gleich?“

      „Ich weiß, was du meinst. Okay, Apotheke und Supermarkt.“

      „Typisch“, fand die Bernrieder mal wieder in Hörweite. „Beim kleinsten Wehwehchen werfen diese Girlies alles hin. Keine Ausdauer. Und dafür noch ein Gehalt haben wollen!“

      „Verena fehlt heute zum ersten Mal in diesem Schuljahr“, zischte Nadja sie an, „und Sie waren, wenn mich nicht alles täuscht, schon eine ganze Woche krank und mussten vertreten werden!“

      „Ich war auch erkältet!“, verteidigte die Bernrieder sich.

      „Eben! Mit ein bisschen Schnupfen kann man doch nun wirklich arbeiten. Keine Ausdauer, was?“

      „Werden Sie nicht unverschämt, Frau Thiemig!“, blaffte die Bernrieder.

      „Wieso nicht? Ist das etwa Ihr Privileg?“ Nadjas dunkle Augen blitzten gefährlich. „Vielleicht ist dieses rüde Benehmen bei Ihnen genetisch bedingt“, überlegte die Bernrieder und beobachtete scharf, wie dieser – für mich rätselhafte – Satz bei Nadja ankam. Die wurde blass und bekam ganz schmale Augen. „Was soll das heißen?“

      „Das wissen Sie ganz genau“, behauptete die Bernrieder und wandte sich mir zu. Sie kam mir so nahe, dass ich ihre eigenartige Mischung aus einem penetranten Parfum und etwas undefinierbar Süßlichem riechen konnte. Unwillkürlich trat ich angewidert einen Schritt zurück. „Und Sie sollten erst einmal Ihre prekäre Finanzlage in den Griff kriegen, bevor Sie hier große Töne spucken! Von der Freundschaft mit dieser doch eher – hm – belasteten Person kann ich Ihnen jedenfalls nur dringend abraten, genauso wie vor zu engem Kontakt zu Kolleginnen mit mehr als zweifelhafter Vergangenheit. Ich sage nur – Drogen!“

      Damit verließ sie hastig das Zimmer, und ich starrte ihr perplex nach. „Was meint sie denn jetzt? Und was soll das mit der prekären Finanzlage bedeuten? Mein Konto ist im Plus! Außerdem waren nur die Schnarchsäcke von der Bezügestelle daran schuld und meine geizige Mutter! So eine blöde Kuh!“ Ich warf Nadja einen Blick zu und registrierte überrascht, dass sie Tränen in den Augen hatte.

      „Was ist denn? Was hat sie gemeint? Komm, jetzt reg dich doch nicht so auf!“

      Nadja zitterte immer noch, dann packte sie mich am Arm und zerrte mich durch eine Tür in einen Nebenraum, den ich noch nie betreten hatte. Dort sank sie auf ein völlig durchgesessenes Sofa und zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette aus einer herumliegenden Schachtel an, inhalierte, hustete und schluchzte auf.

      Ich setzte mich neben sie und fühlte mich ganz hilflos. Schließlich umarmte ich sie schüchtern. „Sag schon. Dieser Giftzahn hat bei dir doch irgendeinen Nerv getroffen, oder?“

      „Diese miese Schlampe“, stieß sie hervor. „Ich weiß nicht, woher sie es weiß – sie muss heimlich die Personalakten lesen, aber da kann es eigentlich auch nicht drinstehen. Ich hatte einen jüngeren Bruder, der – der behindert war.“

      „Was hat ihm denn gefehlt?“, erkundigte ich mich teilnehmend.

      Nadja zog an der Zigarette und stieß dichte Qualmwolken aus.

      „So was wie Autismus. Und ein schwerer Herzfehler. Er war in einer speziellen Therapiegruppe. Da war er auch gerne, soweit man das sagen konnte. Damals war ich ja selber erst zwölf – und er zehn. Und eines Morgens hab ich ihn dort abgeliefert, er hat sich zufrieden an seinen Tisch gesetzt und irgendwas gespielt, alleine natürlich, und irgendwann im Laufe des Vormittags ist er aufgestanden, rausgegangen und davon gewandert. Und an der übernächsten Kreuzung ist er unter einen Lastwagen gekommen. Wahrscheinlich hatte er ihn gar nicht bemerkt, weil ihn irgendetwas anderes fasziniert hat. Er war sofort tot.“

      „Das ist ja furchtbar traurig. Aber dafür kannst du doch nichts! Und warum tut die Bernrieder so, als sei das erblich?“

      Nadja zuckte die Achseln, schniefte und drückte die Zigarette wieder aus. „Um mich zu verletzen. Es hat unsere Familie sehr belastet, meine Eltern haben sich bald darauf getrennt. Aber verdammt, woher weiß sie das?“

      „Ich weiß ja auch nicht, woher sie wissen will, dass ich pleite bin. Aber da ist sie schief gewickelt, das sind überholte Informationen. Diese miese alte Schnüffelnase!“

      „Und Verena hat sich einmal mit fünfzehn mit einem Joint erwischen lassen! Mein Gott, sie ist nicht einmal bestraft worden, wenn man von einem verschärften Verweis und einer Ohrfeige von ihrer Mutter absieht. So was ist doch nicht aktenkundig!“

      „Ob die über alle so was weiß? Und woher kriegt sie die Informationen bloß?“

      Frau Petri kam herein, eine burschikose Mittfünfzigerin, Mathematikerin und anscheinend Dauerbewohnerin des Raucherkämmerchens. „Ach, Frau Petri, ich hab ihnen eine Kippe geklaut“, entschuldigte sich Nadja verlegen.