Название | Medusas Ende |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737562607 |
„Wie alt ist sie denn eigentlich? Ich schätze sie auf Anfang vierzig, aber ob das stimmt...“ Ich zuckte die Achseln.
„Lässt sich alles feststellen“, antwortete Nadja, ging zum Bücherregal, das mit einer erstaunlichen Sammlung von veralteter Literatur aufwarten konnte, und holte ein dickes blaues Buch heraus.
„Hier, das Philologenjahrbuch. Gucken wir mal nach...“
Sie blätterte ein wenig herum. „Da haben wir sie ja!“ Sie zeigte erst Verena, dann mir die Seite, auf der alle Lehrer am Leisenberger Albertinum aufgelistet waren.
Bernrieder, Christa D G E 13.09.1964
„Die Frau ist erst neununddreißig?“, zischte ich entrüstet. „Dann geht sie ja erst in fünfundzwanzig Jahren in Pension. Das überleb ich nicht!“
„In dreißig“, verbesserte Verena. „Bis dahin werden die unsere Arbeitszeit kräftig verlängert haben. Danach hast du dann noch zehn stressfreie Jahre vor dir.“
„Und am Tag nach der Pensionierung kratze ich ab“, fügte ich düster hinzu.
„Das wäre der Bezügestelle natürlich am liebsten“, gab Nadja mir Recht, „es ist aber noch keine Vorschrift.“
„Ich werde hundert und lass die bluten“, nahm Verena sich vor.
Nach der Pause saß ich wieder glücklich an unserem Tisch und wartete darauf, dass jemand in meine Sprechstunde kam. Am liebsten hätte ich die Tischplatte gestreichelt, so sehr freute ich mich darüber, endlich in dieser Schule einen festen Platz zu haben. Ich legte das Material von der ersten Stunde dekorativ vor mich hin und aß in aller Ruhe mein Leberwurstbrot.
Jetzt hätte ich mit dem Geschichtsex anfangen können, jetzt hatte ich einen Arbeitsplatz! Aber jetzt hatte ich es natürlich zu Hause gelassen. Dann erfand ich eben ein neues Ex, für die Neunte am Freitag. Vielleicht für beide Neunten? Nein, die anderen rechneten nicht damit, das fand ich dann doch gemein. Ich wollte sie für ihr Diskutieren nicht auch noch bestrafen. Obwohl, das Grundwissen hatten wir ja aufgeschrieben. Und bei der Diskussion hatten sie auch gut aufgepasst, also warum eigentlich nicht? Wenn ich die Fragen so formulierte, dass sie auch ihre Meinung schreiben konnten? Ich holte mir ein vergilbtes Schulaufgabenblatt aus dem Vorraum und machte mir Notizen.
Schön, dass die Bernrieder gerade mal nicht da war, die Atmosphäre war richtig friedlich. Und wenn ich jetzt wirklich für meine Arbeit auch noch bezahlt wurde – dann war doch alles gut!
Theo setzte sich zu mir. „Hast du mal einen Euro?“ Ich fischte die Einkaufswagenmünze aus meiner Jeanstasche. „Wozu brauchst du den?“
„Bloß zum Rubbeln.“ Er legte einen geöffneten Umschlag vor sich hin und fischte allerlei Werbeunterlagen heraus. „Da kann man ein Mercedes-Cabrio gewinnen, wenn die frei gerubbelten Zahlen zu dem passen, was auf diesem Pappautoschlüssel steht.“
„Wetten, sie passen?“
„Meinst du?“
„Machst du das zum ersten Mal? Die passen immer, schließlich wollen die Leute doch, dass du den Kram einschickst, womöglich auch noch was bestellst, um deine Gewinnchancen zu erhöhen. Welche Firma ist das eigentlich?“
Theo hielt im Rubbeln inne und drehte den kleinen Prospekt um. „Men´s World. Irgendwelche Klamotten. Aber das Sweatshirt ist gar nicht so schlecht, oder?“
Er hielt mir die Titelseite hin: Ein ganz normales dunkelblaues Sweatshirt ohne alles, 50 % Baumwolle, 50 % Polyester – für neununddreißig Euro.
„Standard. Und dafür ziemlich teuer“, kritisierte ich. „So was kriegst du im Horizont für fünfzehn. Dann hast du zwei und immer noch neun Euro übrig, für fünf Paar Socken oder so. Oder fürs Sparschwein.“
Theo verzog das Gesicht und rubbelte weiter. „Tatsächlich, die Nummer passt! Klasse!“
Er trennte die Karte heraus und füllte sie in perfekter Lehrerschrift aus, klebte den Pappschlüssel und das freigerubbelte Feld auf und holte sich einen Umschlag aus dem Vorraum. Ich sah fasziniert zu, wie er den Umschlag adressierte. „Hast du zufällig auch noch eine Briefmarke?“ Damit konnte ich leider nicht dienen, aber Frau Tetzner hatte eine. „Jetzt musst du bloß noch daran denken, den Umschlag auch rechtzeitig einzuwerfen.“
„Kein Problem, das mach ich gleich auf dem Heimweg. Neben unserem Parkplatz ist ein Briefkasten. Meinst du, man kann mit so einem Mercedes auch in die Schule fahren?“
„Warum nicht?“, fragte ich erstaunt. „Naja – erstens fährt der Chef bloß einen Opel – und was, wenn Schüler auf mich sauer sind und mir den Lack zerkratzen? Schau mal, was das für ein schöner Lack ist!“
Ich bewunderte pflichtgemäß die schwarz schimmernde Schönheit auf dem Foto und wunderte mich insgeheim: Glaubte Theo wirklich, er habe den Wagen schon so gut wie in der Tasche? Wahrscheinlich gewann er einen Packen Geschirrtücher oder gar nichts! Ganz schön naiv, der Gute. Er verwahrte den Umschlag in der Sakkotasche und steckte den herumliegenden Euro ein.
„Hey!“, begehrte ich auf. „Das war aber mein Euro!“
„Echt?“ Er guckte erstaunt. „Na gut, stimmt wohl.“
„Was heißt hier wohl?“, fragte ich und beeilte mich, die Münze zu verstauen. „Du hast ihn dir doch erst vor ein paar Minuten ausgeborgt, um dieses Feld frei zu rubbeln. Schon vergessen?“
„Nein, nein, stimmt schon. Jetzt mach keinen Stress, wegen einem Euro!“
Kelchow, der gerade vorbei ging, warf mir einen prüfenden Blick zu. War ich jetzt hier als Geiznickel verschrien? Aber solange ich noch keine Einnahmen hatte, zählte wirklich jeder Euro, und wieso sollte ich Theo durchfüttern? Der sah sowieso gut genährt aus. So ein Schusselkopf, bestimmt hatte er auch schon wieder vergessen, dass er der Tetzner eine Briefmarke schuldete.
„Ich mach doch keinen Stress“, behauptete ich deshalb bloß. Jetzt hätte ich schon Kekse dabei haben sollen, um ihn zu besänftigen, aber dazu musste ich erst einkaufen. Ich rechnete im Kopf kurz nach – vier Euro durfte ich heute wieder ausgeben, Leberwurst und Vollkornbrot hatte ich noch, Süppchen auch noch... für Mandarinen und eine Schachtel Kekse musste es locker reichen, da musste sogar noch etwas für meine Blechdose übrig bleiben.
Ich schrieb meine Notizen für die beiden Exen noch einmal säuberlich ab und steckte sie in die Tasche, dann warf ich die Entwürfe weg und steckte meine Notenlisten wieder ein. Da kam ja doch keine Mutter mehr, die Stunde war schon fast vorbei.
Ich ließ mir von Herrn Drehm, dem Systembetreuer, mein Passwort geben und loggte mich zum ersten Mal ins Schulsystem ein. Wie nicht anders zu erwarten, war meine Mailbox gähnend leer, aber der Gedanke, etwas zu können, was die blöde Bernrieder nicht konnte, begeisterte mich. Als ich an diesem Tag nach Hause kam, fühlte ich mich schon deutlich besser. Mit der kostbaren Schulbescheinigung eilte ich sofort nach der Öffnung zur Bank und schaffte es, der Sachbearbeiterin klar zu machen, dass ich bestimmt zweitausend Euro netto verdienen würde. Daraufhin erweiterte sie meinen Dispokredit – mit Genehmigung des Filialleiters – auf sechstausend Euro, und ich nahm mir im Stillen vor, so schnell wie möglich das Konto ins Plus zu bringen, um denen keinen Cent Zinsen zu schenken. Im Gegenteil, ich wollte ja auch etwas verdienen! Also erkundigte ich mich nach den hauseigenen Fonds, ließ mir reichlich Prospekte geben und kehrte zufrieden mit mir – nach einem kleinen Umweg zu Aldi – nach Hause zurück.
Die 11 b war nicht ganz so gut in Geschichte, wie ich es nach den Unterrichtsbeiträgen vermutet hatte – auch hier gab es einige Leute, die nicht imstande zu sein schienen, sich eine Frage richtig durchzulesen und zu überlegen, welche Faktenauswahl als Antwort passte. Von den Leuten, die mir mein eigenes Tafelbild hinklatschten, anstatt eigene Erklärungen zu liefern, ganz zu schweigen! Ich korrigierte bis fünf, rechnete ab (Durchschnitt 3,41, nicht so toll, fand ich) und bereitete die Stunden für Donnerstag vor. Die Packung Nusskekse (günstig, nur 79 Cent) war dabei das wichtigste Utensil, als zweitwichtigstes folgte ein Arbeitsblatt für die