Medusas Ende. Elisa Scheer

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Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



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regte sich Bernrieder sofort wieder auf. „Ich hab doch deutlich gesagt, dass ich dagegen bin!“

      „Roma locuta, causa finita ?“, ließ sich Jörndl in seiner Ecke vernehmen. „Manchmal gibt es eben wichtigere Erwägungen als Ihre persönlichen Vorlieben, Frau Bernrieder.“ Sie starrte ihn mit einem Blick an, unter dem er eigentlich zu Stein hätte erstarren müssen. Ich erwartete, jeden Moment Schlangen aus der wohltoupierten Frisur züngeln zu sehen. Jörndl schluckte, starrte aber tapfer zurück. Der erste Sklave muckte auf? Das war ja hochinteressant!

      „Das Zimmer ist aber tatsächlich schon ziemlich überfüllt“, gab Kelchow zu bedenken und warf der Ernst, Nadja und mir einen angewiderten Blick zu.

      „Und, was soll ich machen? Alle jungen Kollegen entlassen? Jeder muss hier einen Platz haben. Wenn Sie großzügige Weite wünschen, bauen Sie zu Hause Ihre Arbeitszimmer um. Das Albertinum platzt aus allen Nähten, und das macht vor dem Lehrerzimmer auch nicht Halt. Ich kann´s nicht ändern. Und, Frau Bernrieder -“

      „Was denn jetzt noch? Haben Sie nicht schon genug Unheil angerichtet?“, fauchte die zurück. „Das Sprachlabor wird aufgelöst. Anweisung vom Chef.“ Damit stand er auf und wandte sich zur Tür. „Was?“ Das war ein eindeutiges Kreischen. Bröckelte jetzt die damenhafte Tünche? Ich hatte mir ja immer schon gedacht, dass die Megäre bei der Bernrieder verdammt schnell zum Vorschein kam!

      „Ich geh sofort zum Chef!“ Jörndl grinste in der Tür. „Der ist bis Donnerstag weg. Direktorentagung. Tut mir ehrlich Leid.“

      Wir alle starrten die Bernrieder an und warteten darauf, dass schwarze Wölkchen aus ihren wohlgeformten Ohren quollen, aber wir wurden enttäuscht. Sie straffte sich, packte allerlei Kram in ihren schicken Aktenkoffer und verließ das Lehrerzimmer – in tadelloser Haltung.

      Ich sah auf die Uhr. Noch zwei Minuten. Dann sollte ich wohl auch mal...

      Mit der neunten Klasse hatte ich wie immer viel Spaß. Sie stellten sich zwar bei der Diskussion über die Vor- und Nachteile der Verfassung von 1871 ein bisschen dumm an und hatten von Wahlrecht noch keinen Schimmer, aber sie bemühten sich redlich und stellten eine Menge Fragen, die ich geduldig beantwortete. Wir trugen Mehrheitswahlrecht, Verhältniswahlrecht und Gewaltenteilung ins Grundwissenheft ein, verfassten einen übersichtlichen Hefteintrag und studierten zwei Quellen, dann enteilte ich, um der Siebten die Freuden der Grundherrschaft nahe zu bringen. Keine leichte Aufgabe – einen normalen Zwölfjährigen konnte das eigentlich nicht interessieren.

      Den Fronhof malten sie noch gerne ins Heft. Sie sammelten auch noch willig Einzelheiten zum Leben des abhängigen Bauern aus einem Text im Buch, aber dann kam doch die unvermeidliche Frage: „Wozu brauchen wir´n das?“

      „Stellt euch mal vor, jemand macht euch so ein Angebot. Keine Sorgen mehr, ihr werdet ernährt, aber dafür müsst ihr ab und zu für euren Schutzherrn arbeiten.“

      „So was wie Schutzgeld?“, fragte Tobias.

      „Ja, so ähnlich. Die Mafiastrukturen sind wohl gar nicht so anders. Würdet ihr euch darauf einlassen?“

      Hm... Darüber mussten sie erst nachdenken, was aber sehr schnell nach dem Motto Ich hab da mal ´nen Krimi gesehen, da haben sie lauter Chinalokale abgefackelt, weil die Besitzer nicht zahlen wollten aus dem Ruder lief. Ob die Grundherren ihre Bauern auch abgefackelt hätten, wollten sie dann wissen.

      „Nein. Den Hof konnten sie doch noch brauchen, für einen anderen Bauern, und den ungehorsamen Vorpächter rauswerfen. Dann konnte er verhungern. Oder doch in den Krieg ziehen. Das war ja wohl hart genug.“

      Nein, nicht für die Siebtklässler. Die wollten Blut sehen! Alles in allem eine amüsante Stunde, und sie hatten tatsächlich was zum Nachdenken. Allerdings war ich mir sicher, dass ich bei der nächsten Ausfrage mehr über Chinalokale als über Fronhöfe zu hören kriegen würde. Das Lernziel wohl doch nicht ganz erreicht?

      Bis Viertel nach eins unterhielt ich mich im fast ausgestorbenen Lehrerzimmer mit Nadja, die ebenfalls auf ihren Nachmittagsunterricht wartete, über die Frage, wer das Duell gewinnen würde – Jörndl oder Bernrieder. Nadja setzte auf die Bernrieder: „Die hat bis jetzt noch jeden klein gekriegt. Wie, weiß ich auch nicht.“

      „Die reinste Medusa“, seufzte ich, „aber der Jörndl war doch wirklich tapfer. Ich setze auf ihn.“

      „Um einen Müsliriegel?“

      Das war ein fairer Einsatz. „Medusa ist ein guter Name für die Bernrieder“, fand Nadja dann. „Man braucht hier ohnehin für alle Leute Decknamen, sonst kann man sich das Maul nicht in Ruhe über sie zerreißen.“

      „Was hast du jetzt noch?“

      „K 13, Grundkurs Chemie. Ich hoffe bloß, ich kann noch allen ausreden, ausgerechnet in Chemie schriftlich Abitur zu machen. Die sind so nett, alle miteinander – aber absolut nicht vorzeigbar. Lieb, aber schlicht. Verwechseln Fettsäuren mit Fetten, können kein Periodensystem lesen... ein Trauerspiel. Na, wenigstens tauchen sie im Allgemeinen pünktlich und vollzählig auf.“

      „Meine sind ziemlich gut. Ein paar haben wirklich politisches Interesse und stellen intelligente Fragen. Ein paar Dumpfbacken sitzen natürlich auch in der letzten Reihe. Geschichte ist ja Pflicht.“

      Nadja nickte. „Und Chemie erspart einem Physik. Du schleppst immer ein paar Desinteressierte mit. Die sitzen hier warm und trocken ihre Zeit ab und kassieren am Ende ihr Abitur fast für lau. Irgendwas stimmt am System nicht.“

      Da hatte sie leider nicht ganz Unrecht. Ich sah auf die Uhr und machte mich auf in den obersten Stock, in dem mein Grundkurs auf mich wartete. Die lobenden Worte hätte ich mir sparen können, ärgerte ich mich hinterher, heute hatten die Leistungskurse Mathe und Griechisch Klausur geschrieben, und fast alle meine Teilnehmer waren unkonzentriert und studierten immer noch voller Reue ihre Angaben. An Bismarcks Politik hatten sie heute kein Interesse.

      Hinterher stopfte ich wieder alles in meine Tasche, holte im Lehrerzimmer meinen Anorak und schleppte mich zur Bushaltestelle. Ich war schon wieder reif für ein Mittagschläfchen, aber vorher musste ich unbedingt meine letzten Schätze verkaufen und den Erlös auf mein Konto einzahlen. Und die Aufsätze der Neunten lagen auch noch herum, die wollte ich ihnen doch morgen zurückgeben... Und das Ex aus der Elften... gut, die hatte ich erst wieder am Freitag in der achten Stunde. Hatten andere Leute eigentlich auch so einen unmöglichen Stundenplan?

      Der Bus kam, und sobald ich eingestiegen war, merkte ich, dass in der letzten Reihe ein Penner überwinterte. Es roch mehr als streng, aber der arme Kerl tat mir doch Leid, also beschwerte ich mich nicht. Ich beschränkte mich darauf, mir einen Platz möglichst weit vorne zu suchen und aus der Anoraktasche ein uraltes, aber extrastarkes Pfefferminz zu fischen, das meinen Geruchssinn vorübergehend lahm legte. Wach machte es auch, stellte ich erfreut fest, stieg am Bahnhof mit neuer Munterkeit um und erwischte tatsächlich noch den Zwölfer nach Selling.

      Der Inhaber des Gold- und Silberankaufs betrachtete meine gesammelten Schätze eher verächtlich. „Das ist nur ganz dünnes Gold“, behauptete er von den beiden Ringen. „Und die Steine – das sind ja nur Brösel. Der Zuckerlöffel ist ganz nett, aber Interessenten gibt es dafür zurzeit auch kaum. Sie wissen ja, die Wirtschaftslage. Geht Ihnen wohl selber so?“

      „Nicht direkt. Ich arbeite beim Staat, aber der zahlt nicht.“

      „Dann könnten Sie Ihre Erbstücke doch auch einfach verpfänden und wieder auslösen, wenn Sie Ihr Gehalt gekriegt haben“, schlug er vor.

      Ich überlegte kurz. „Nein. Die bucklige Verwandtschaft hat nie was für mich getan, außer das bisschen Tand abgedrückt, wenn es gar nicht anders ging, und außerdem sind sie alle längst tot und ich mag keinen unnützen Kram rumliegen lassen.“ Ich raffte meine Schätze wieder zusammen. „Können Sie mir jemand anderen empfehlen, der daran Interesse hätte?“

      „Ich habe nicht gesagt, dass ich kein Interesse hätte. Ich kann nur nicht besonders viel zahlen. Der Materialwert ist nicht eben berauschend. Hundertsiebzig, insgesamt?“

      „Zweihundert“,