Название | Bangkok Oneway |
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Автор произведения | Andreas Tietjen |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957770660 |
»Ich habe übermorgen Geburtstag«, flüsterte Dagmar. »Den wollten wir in Nordthailand feiern.«
Die nächsten Tage brachte Dagmar damit zu, den Besichtigungsplan abzuarbeiten. Sie litt unter der Hitze und der schlechten Großstadtluft. Die Menschenmassen machten ihr zu schaffen und oft stand sie ratlos an irgendeiner Ecke und fand keine Orientierung. Meist wurde sie dann nach kurzer Zeit von Thailändern angesprochen, die ihr weiterhalfen, ihr gut gemeinte Tipps gaben und ihr eine schöne Zeit in Bangkok wünschten. Niemals fühlte sie sich dabei bedrängt oder genötigt und so erlangte sie langsam Selbstvertrauen und ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Allmählich gelang es ihr sogar, die Schönheit der Dinge einfach zu genießen und sich ein wenig treiben zu lassen. An Hunderten von geparkten Reisebussen vorbei, gelangte sie vom Sanam Luang Platz zum Grand Palace. Im goldbunt glitzernden Wat Phra Kaeo war es ihr deutlich zu voll und zu hektisch, so brach sie ihre Besichtigung dort ab und suchte auf der Karte das nächste Ziel, den Wat Po. Ute hatte ihr aufgeschrieben, dass sie bei ausreichender Kondition ruhig das Stück zwischen den beiden Sehenswürdigkeiten zu Fuß gehen sollte. Vorbei an einem Amulett-Flohmarkt, ging sie parallel zum großen Fluss im spärlichen Schatten der jungen Alleebäume. Der Schweiß lief ihr den Nacken herunter und die Sonne blendete. Im Tempel bewunderte sie den riesigen liegenden Buddha, der reich mit filigranen Ornamenten verziert war. Auch hier drängten sich viele Menschen, im Vergleich zum Smaragd-Buddha-Tempel Phra Kaeo ging es hier jedoch ruhig und besinnlich zu. Die so ganz andere Geräuschkulisse fiel ihr auf. Hier kann man die Leute lächeln hören, dachte sie fasziniert. Auf dem Rückweg von der Toilette, die unerwartet sauber und modern war, wurde sie von einer jungen Thailänderin abgefangen.
»Madame, do you want Thai-Massage?«, fragte sie lächelnd. Dann stellte sie die verschiedenen Angebote anhand einer Schautafel vor. Sie bedrängte Dagmar auf eine so freundliche und dezente Art, dass diese sich schließlich breitschlagen ließ. Sie wählte eine einstündige Ölmassage. Nur mit einem Handtuch bedeckt, lag sie auf einer Liege und genoss die sanfte Quälerei. Auf dem Weg ins Reich der Träume hörte sie die kräftige Masseuse schimpfen, dass sie zu sehr verspannt wäre. Als sie schließlich behutsam von der Frau wieder geweckt wurde, konnte sie kaum glauben, dass bereits etwas mehr als eine Stunde verstrichen war. Ach, war das herrlich, dachte Dagmar und bedankte sich bei der Masseuse. Sie streckte ihre Glieder und kleidete sich an.
»Could I have a coffe anywhere?«, fragte sie, erleichtert darüber, dass ihre rudimentären Englischkenntnisse in dieser Stadt völlig ausreichten, um über die Runden zu kommen.
Die Frau schickte sie in ein kleines Straßencafé schräg gegenüber des Eingangs. Dagmar setzte sich an einen Tisch direkt am Straßenrand und bestellte ein Sandwich und einen Kaffee. Es war Jahre her, dass sie einmal in einem Straßencafé gesessen hatte. Diesen Luxus verband sie mit Urlaub, Ungebundenheit, Pause von den täglichen Verpflichtungen als Ehefrau und Angestellte im eigenen Betrieb. Doch genießen konnte sie dieses Privileg an diesem Tag nicht. Sie beobachtete die Menschen, die in großen Scharen an ihr vorbeischlenderten. Es waren sehr viele Touristen, aber auch Thailänder, die meist deutlich besser gekleidet waren als die Ausländer in ihrer betont legeren Ferienbekleidung. Eine große Zahl der jungen Thailänder trug Schuluniformen. Sie führten Schreibmappen, Bücher und Laptoptaschen mit sich und unterhielten sich fröhlich miteinander. Was für ein Unterschied zu den Jugendlichen daheim, mit ihrem aggressiven Gehabe und deren Aversion gegen alles, was mit Bildung und kultiviertem Verhalten zu tun hat, dachte sie. Wie zur Bestätigung setzte sich eine Gruppe von vier jungen Leuten an einen Nachbartisch. Sie sprachen lautstark auf Englisch miteinander, wobei sie erkennbar verschiedenartige Akzente hatten und somit offensichtlich aus unterschiedlichen Ländern kamen. Es waren zwei Mädchen und zwei Jungen. Sie waren mit sehr kurzen Hosen und Trägershirts bekleidet; bei den beiden Mädchen quollen die üppig gefüllten BHs aus den knappen Shirts. Die jungen Leute hatten sich alle Zigaretten angezündet und sie nahmen keinerlei Rücksicht darauf, dass ihr Qualm die anderen Gäste belästigte. Als ein Mann aufstand und höflich darum bat, dass sie doch bitte den Rauch woandershin blasen sollten, wurde er von der Gruppe angepöbelt. Sie tranken ihre Biere aus, legten ein paar Geldscheine auf den Tisch und verschwanden. Im Vorbeigehen raunte einer der Jungs dem Mann »Babbitt! – Spießer!«, zu und drückte seine Zigarette auf dessen mit Curryhuhn gefülltem Teller aus.
Dagmar hatte sich eine weitere Tasse Kaffee bestellt und saß nun alleine an ihrem Tisch vor dem Café. Sie wechselte ihren Sitzplatz, um auch einmal das Geschehen in anderer Richtung betrachten zu können. Vor dem Nebengebäude saß im Schatten eines Straßenbaumes eine hagere Thailänderin auf einem Schemel. Vor sich hatte sie einen kleinen Stand mit Seifen aufgebaut. Sie saß kerzengerade da und betrachtete die Vorbeigehenden stumm lächelnd. Sie hatte ein überschaubares Angebot an intensiv duftenden Seifenstücken, aber auch zu Blüten geschnitzte und modellierte Seifen in dekorativer Klarsichtverpackung und Blechdöschen. Die Seifen waren überwiegend mit Extrakten tropischer Früchte, Blüten und Heilpflanzen versehen. So gab es Lotus-Seife, Frangipani-Blüte, Tamarinde und Granatapfel. Wenn gerade einmal kein Mensch den Bürgersteig entlangkam, sortierte sie ihre kleinen Gläser, Schächtelchen und Döschen neu, richtete sie in einer Linie aus, drehte die Etiketten säuberlich nach vorne. Dagmar beobachtete die Frau eine Weile lang gerührt. Irgendwann bemerkte die Verkäuferin dies und lächelte Dagmar an. Die beiden Damen kamen ins Gespräch und schnell hatte Dagmar auch ihre momentane Situation thematisiert. Die Frau, die dem Aussehen nach etwa in Dagmars Alter war, reagierte mit Bestürzung. Dagmar sah ihr an, dass sie das Verschwinden ihres Ehemannes sehr betroffen machte. Nach einer Weile schenkte sie Dagmar eine Schachtel, in der eine frisch duftende Rambutan-Seife steckte.
»Kennen Sie Rambutan?«, fragte sie die Deutsche, als sie beobachtete, wie die mit zusammengekniffenen Augen die Beschriftung las.
»Nein, ehrlich gesagt nicht«, gab Dagmar zu. »Meine Bekannte hat mir davon erzählt, aber gesehen oder gar gegessen habe ich sie noch nie.«
»Rambutan sind kleine Früchte mit Stacheln, wie ... ähm, wie, wie Hetschhock, verstehen Sie?«
Dagmar schüttelte bedauernd den Kopf.
Als Dagmar ihre Rechnung bei der Cafébedienung orderte, packte die Seifenverkäuferin flugs ihre Ware zusammen, verstaute alles sorgfältig in einer Holzkiste, klappte den Stand zu und stellte ihre Sachen in einem Nebengebäude unter.
»I will help you be happy again!«, sagte sie und nahm Dagmar entschlossen an die Hand. Die beiden Frauen gingen gemessenen Schrittes die Straße hinunter, bogen ein paar Mal in immer schmaler werdende Gassen und gelangten schließlich zu einem kleinen Tempel, der sich unscheinbar zwischen zwei hohe Häuser duckte. Sie zogen die Schuhe vor dem Betreten des Tempelgebäudes aus. Die Frau nahm von einem Tisch neben dem Eingang drei Lotusblumen, ein Bündel Räucherstäbchen und zwei kleine, gelbe Kerzen, steckte hierfür einen zusammengefalteten Geldschein in die dafür vorgesehene Box.
»Luang Pho, have much power!«, sagte sie und führte Dagmar vor einen Altar, auf dem ein großer, goldglänzender Buddha, umrahmt von mehreren kleineren Statuen, thronte. Der Tempel bestand aus einem einzigen Raum. Im Inneren war es angenehm kühl, es duftete nach Räucherstäbchen. Die Wände zeugten von jahrzehntelangem regen Besuch dieser geweihten Halle, doch gleichwohl verströmte jeder Winkel eine persönliche, vertraute Atmosphäre. Dagmar war sich in ihrem Auftreten unsicher und gehemmt, versuchte jedoch, der Frau alles hinlänglich gleichzutun, in der Hoffnung, sich angemessen zu verhalten.
Die Seifenfrau legte die Lotusknospen vor den großen Buddha, brachte die Räucherstäbchen an einer verkrusteten Öllampe zum Glühen und steckte diese dann in eine längliche, mit Sand gefüllte Schale. Sie lächelte Dagmar an und überreichte ihr eine der beiden brennenden Kerzen. Sie hielt diese zwischen den Handflächen vor ihre Stirn, deutete eine Verbeugung an und steckte sie neben die Räucherstäbchen in den Sand. Dann verneigte sie sich dreimal tief vor dem Buddha, wobei sie die Hände flach seitlich ihres Kopfes auf den Boden presste. Dagmar folgte ihr ungelenk. Die Frau bedeutete Dagmar zu warten. Sie holte aus einer Ecke einen Bambusköcher, in dem mehrere Holzstäbe steckten. Sie schüttelte den Köcher kräftig und lärmend, bis eines der Holzstäbchen daraus auf den Boden fiel. Nun war Dagmar an der Reihe. Ungeschickt purzelten ihr gleich mehr als die Hälfte der Stöckchen zu Boden.