Bangkok Oneway. Andreas Tietjen

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Название Bangkok Oneway
Автор произведения Andreas Tietjen
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770660



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die Thailänderin fürsorglich: »Sie müsse besser gehe Polizei. Dort helfe. Un wenn Polizei dann gehe Botschafter in der South Sathorn Road Number nine.«

      Sie diktierte noch die Telefonnummer der Botschaft und wies darauf hin, dass diese nur in der Zeit von acht Uhr dreißig bis elf Uhr dreißig geöffnet wäre. Das war für Dagmar natürlich nicht mehr zu schaffen, zumindest nicht an diesem Tag. Trotzdem rief sie dort an und schilderte ihr Problem. Nachdem sie mehrmals weitergeleitet worden war, sprach sie mit einem Botschaftsattaché, der sehr verständnisvoll und bemüht war. Er bat Dagmar, umgehend in die South Sathorn Road zu kommen, er würde sich heute noch um ihr Anliegen kümmern. Dagmar stieg in ein Taxi und knapp eine Stunde später saß sie in einem großen, hallenartigen Warteraum. Außer einer jungen Thailänderin, die damit beschäftigt war, die Sitzmöbel mit einem feuchten Lappen abzuwischen, war sie die einzige anwesende Person. Dagmar saß regungslos auf ihrem kunstlederbezogenen Sessel und beobachtete die Frau bei ihrer Arbeit. Diese wischte mit einer unvorstellbaren Langsamkeit Möbelstück für Möbelstück mit dem grauen, halb zerfetzten Lappen ab, ohne das Tuch ein einziges Mal in den bereitstehenden Wassereimer zu tauchen. Genauso wischte sie die Lampen, die an den Wänden angebracht waren, ab, dann das Fensterbrett, indem sie den Lappen großzügig um die darauf stehenden Blumentöpfe herumführte. Wenn sie mich jetzt auch gleich noch abfeudelt, dann haue ich ihr eine runter, dachte Dagmar. Doch die Putzfrau übersprang sowohl Dagmar als auch den Stuhl, auf dem sie saß, mit einem zuckersüßen Lächeln, das sie der Deutschen schenkte. Als Dagmar schließlich von einem Botschaftsmitarbeiter abgeholt wurde, hatte die Thailänderin gerade damit begonnen, den gefliesten Fußboden in aller Seelenruhe, und natürlich mit dem gleichen Lappen, zu wischen.

      »Goodbye Madam«, rief sie ihr mit einem Strahlen im Gesicht hinterher.

      Gedankenverloren rührte Ute ihren Caffè Latte um, leckte den langen Stiellöffel ab und legte ihn neben ihr iPhone auf den Bistrotisch. Das Café und Bistro Siam Coffee World in der Silom Road war einer der Orte, an den sie sich zurückzog, wenn sie einmal keine bekannte Menschenseele sehen wollte. Hier wurde dezente Musik gespielt, aufmerksame, aber unaufdringliche Bedienstete servierten ausgezeichnete Kaffee- und Gebäckspezialitäten und ansonsten hatte man dort einfach seine Ruhe. Nachdem Ute einen Brownie verzehrt und einen weiteren Caffè Latte bestellt hatte, nahm sie ihr Mobiltelefon entschlossen in die Hand und wählte die Nummer ihres ehemaligen Kollegen Rainer Holl. Sie blickte auf ihre Armbanduhr und wartete ab, bis dieser sich endlich meldete.

      »Ute hier. Hab ich dich gerade geweckt?«, fragte sie schuldbewusst.

      »Ute! Ist schon okay. Es wird sowieso höchste Zeit für mich«, kam als Antwort. »Wo brennt es denn? Ich habe ja eine Ewigkeit nichts mehr von dir gehört.«

      »Die Party letzte Woche ...«

      »Oh nein! Erinnere mich nicht daran!«

      Rainer gähnte laut ins Telefon hinein.

      »Bin ich dir neulich etwas schuldig geblieben oder habe ich mich unflätig benommen? Ich weiß, dass ich keinen guten Eindruck gemacht habe, aber ...«

      Ute unterbrach ihn: »Können wir uns treffen?«

      »Treffen? Ja natürlich. Wir könnten morgen Abend zusammen mit ...«

      »Jetzt!« Sie atmete tief ein. »Ich brauche deinen Rat. Ich könnte zu dir kommen, sagen wir in einer Viertelstunde.«

      »Zu mir?! Ausgeschlossen! Das geht nicht, ich meine, ich habe nicht aufgeräumt. Sieht zurzeit nicht so besonders ordentlich in meiner Wohnung aus. Ich hatte Besuch und so. Wir könnten uns irgendwo treffen, sagen wir in einer Stunde.«

      Ute war erleichtert. Sie bezahlte, verließ das Café und machte noch ein paar kleinere Besorgungen. Dann kehrte sie zurück in die Siam Coffee World und wartete weitere zehn Minuten, bis Rainer gehetzt das Lokal betrat.

      »Hast du den Sky-Train hierher genommen?«, begrüßte sie ihren Freund.

      »Bist du verrückt? Gleich nach dem Duschen in die BTS, da kommst du ja als Eisblock an deinem Ziel an.

      Nein, ich bin mit einem Motorrad-Taxi gekommen.«

      Ute erzählte von den Ereignissen der letzten Tage. Sie schilderte den Fall des vermissten Gastes Heinz Schöller und die Eskalation im Verhältnis zu ihrer Vorgesetzten Stefanie Conner.

      »Ich schmeiße meinen Job hin«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ich trete dieser Person nur noch in Gegenwart eines Anwalts unter die Augen.«

      Rainer war mehrere Jahre lang Kollege Ute Radoks. Als Stefanie Conner die Leitung von Martan Travel übernommen hatte, war er glücklicherweise schon längst dort ausgestiegen. Er hatte vor gut zwei Jahren als Gebietsleiter bei Südwind-Reisen angeheuert. Er und Ute hatten sich bereits vor Jahren angefreundet und oft in verschiedenen Reisebelangen kooperiert. Während der Asienkrise wurde ihm bei Südwind erst Personal abgezogen und schließlich ein wesentlich jüngerer Mitarbeiter zur Seite gestellt, der ihm nach seinem Job trachtete. Rainer kündigte auch dort und lebte seither als Gelegenheits-Geschäftsmann in Thailand. Er war Lebemann und Stammgast in allen möglichen Bars und Bordellen. Er war zwar ein Müßig- und Partygänger und seine Einstellung zu Frauen war mehr als grenzwertig, doch war er Ute ein guter und zuverlässiger Freund geblieben. Im Grunde genommen war er ihr einziger Freund in Asien.

      »Wenn ich jetzt kündige, dann werde ich vielleicht noch ein halbes Jahr mit meinen Ersparnissen auskommen können«, fuhr Ute fort. »Ich brauche also dringend einen Job. Hast du nicht eine Idee für mich?«

      Rainer runzelte die Stirn und überlegte.

      »Du solltest nicht selbst kündigen, sondern dich von der Conner rausschmeißen lassen. Das ist arbeitsrechtlich günstiger für dich. Außerdem solltest du dir so bald wie möglich einen Anwalt nehmen. Dabei könnte ich dir auf jeden Fall helfen. Du musst versuchen, eine fette Abfindung zu bekommen, damit du deine finanziellen Reserven strecken kannst. Mit dem Job wird das gar nicht so einfach werden. Das kann dauern, ich werde aber auf jeden Fall meine Fühler ausstrecken.«

      Rainer bestellte sich einen weiteren Bagel und einen Becher Kaffee.

      »Du hast es gut, du bist schon über fünfzig. Ich bin erst siebenundvierzig und ich muss mich noch drei Jahre lang durchtricksen, bis ich ein Dauervisum bekommen kann. Aber irgendetwas geht immer. Lass den Kopf nicht hängen, wir schaukeln das schon!«

      Dagmar fühlte sich nach dem einstündigen Gespräch mit dem Botschaftsattaché getröstet, aber nicht beruhigt. Man hatte ihr versprochen, sich um alle notwendigen administrativen Belange zu kümmern. Die Botschaft würde sich mit der Polizei in Verbindung setzen. Zunächst sollte Dagmar in Bangkok zur Verfügung bleiben. Sie wurde gebeten, ihr Mobiltelefon empfangsbereit zu lassen, ansonsten aber versuchen, in der Großstadt ein wenig Zerstreuung und Entspannung zu finden. Auch eine Mappe mit Prospekten und einen Stadtplan hatte man ihr mitgegeben. Von einem Verbrechen oder einer Gewalttat wollten weder der Attaché noch der anwesende Mitarbeiter sprechen.

      »Vertrauen Sie auf unsere Erfahrung«, hatte er zu trösten versucht. »In mehr als neunzig Prozent aller Fälle gibt es eine harmlose Erklärung für das Verschwinden von Personen.«

      »Harmlos aus Sicht der Behörden oder aus Sicht der Betroffenen?«, hatte sie bitter gefragt.

      Der Mann hatte ihr aufmunternd auf die Schulter geklopft.

      »Lassen Sie den Kopf nicht hängen, es wird sich schon alles fügen.«

      Nun schlenderte sie die Sathorn Tai Road entlang in Richtung BTS Sky-Train Station und dachte darüber nach, was sie jetzt mit ihrer ewig lang erscheinenden Zeit anfangen sollte. Es war brütend heiß, der Verkehr war schnell, heftig und laut. Auf dem breiten Gehweg waren kaum Menschen unterwegs. Die Stadt war gigantisch groß und sie fühlte sich darin wie ein Staubkorn im Universum. Dagmar hatte nach so kurzer Zeit in Bangkok noch kein Gefühl für diese Riesenmetropole entwickeln können. Sie war immer noch nicht dort angekommen, ihr fehlte jeglicher Ansatzpunkt, um sich zu orientieren. Ach, wenn sie doch Ute Radok erreichen würde. Die könnte ihr doch wenigstens sagen, was sie hier in Bangkok machen sollte.

      Dagmar blieb