Bangkok Oneway. Andreas Tietjen

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Название Bangkok Oneway
Автор произведения Andreas Tietjen
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770660



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Bardame begonnen. Sie bedeutete Dagmar, sich ebenfalls auf einen der Schemel zu setzen. Ein höchstens zwanzigjähriges Mädchen trat an Dagmar heran und hielt ihr schüchtern lächelnd eine Getränkekarte entgegen. Nachdem Dagmar einen Blick auf die laminierte und an den Ecken schon stark ausgefranste Karte geworfen und sich unschlüssig die Getränke der anderen Besucher dieses Etablissements betrachtet hatte, bestellte sie ein Singha-Bier. Das Barmädchen deutete eine Verbeugung an und stellte ihr wenig später eine Flasche, die bis zum Hals in einem bunt beklebten Styroporkühler steckte, auf den Tisch. In einen Plastikbecher stopfte sie die dazugehörige Rechnung über hundert Baht. Dagmar nahm einen Schluck und stellte fest, dass das Getränk für diese Tageszeit exakt richtig temperiert war. Gierig nahm sie einen weiteren, und erst jetzt bemerkte sie, wie durstig sie inzwischen durch das ungewohnt heiße Klima geworden war.

      Frau Radok hatte das Gespräch mit der Bardame beendet und drehte sich nun zu Dagmar herüber.

      »Ich würde Sie bitten, hier einen Moment auf mich zu warten«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Ich habe da gerade einen Hinweis bekommen, dem ich gerne nachgehen möchte. Ich weiß nicht genau, aber es könnte ein paar Minütchen dauern. Ich muss dort drüben in diese Gogo-Bar gehen und versuchen, etwas in Erfahrung zu bringen.«

      Schnell sprang Dagmar von ihrem Hocker auf.

      »Aber ich kann doch eben mitkommen ...«

      »Nein, bitte nicht«, wies sie Frau Radok zurück. »Es wird Ihnen erstens nicht besonders gut dort gefallen, und zweitens möchte ich da nicht mit einer Übermacht auftreten. Mir wäre es sehr lieb, wenn Sie mich das kurz alleine machen lassen würden.«

      Also blieb Dagmar an ihrem Platz an der Bar zurück und stierte betrübt vor sich hin. Sie orderte ihr zweites Bier und trank davon einen großen Schluck. Ein weiteres Mädchen, etwas älter als die Kleine, die sie verträumt und unroutiniert bediente, gesellte sich dazu. Sie grüßte mit einem fröhlichen »Hello« und stellte vor Dagmars Nase eine Holzschatulle hochkant auf den Bartresen. Geschickt zog sie den Kasten nach oben hin weg und zum Vorschein kam der Turm eines Jengaspiels. Das Mädchen zog gekonnt eines der Holzklötzchen aus der untersten Reihe hervor und legte es seitlich oben auf den Stapel.

      »It´s your turn«, ermunterte sie Dagmar.

      Dagmar bemühte sich redlich, eine gute Figur bei diesem Spiel zu machen. Es war Jahre her, dass sie zuletzt mit ihrer Tochter und deren damaligen Freundinnen dieses Geschicklichkeitsspiel gespielt hatte. Als der wackelige Turm schließlich laut krachend unter den Fingern des Barmädchens zusammenfiel, brach ein lauter Jubel und schallendes Gelächter bei den anwesenden Mädchen aus.

      »One more, one more!«, drängelte Phu, das Barmädchen, und baute geschwind einen neuen Turm auf. Nun schlossen sich zwei weitere Mädchen an, Nok und Nu, und Dagmar bekam eine frische Flasche Bier auf den Tresen gestellt.

      Ute Radok betrat den dunklen Raum der Gogo-Bar. Sechs nur mit knappen weißen Bikinis bekleidete junge Mädchen hielten sich an chromglänzenden Stangen auf einem Catwalk fest und bewegten sich kaum sichtbar zum Takt der Musik. Keine von ihnen lächelte, keine nahm wirklich Notiz von ihr. An Bistrotischen auf Barhockern saßen einige Männer und befummelten ordinär kreischende Frauen. Ute bahnte sich einen Weg zu dem Bartresen in der hinteren rechten Ecke. Sie sprach die nicht mehr ganz taufrische Bardame an, die dort mit dem Wegräumen von Gläsern beschäftigt war, und fragte sie auf Thai nach Nid. Die Frau, die bei näherem Hinsehen puppenhaft gepudert und geschminkt war, sah Ute misstrauisch an. Sie war nicht besonders redselig und antwortete ausweichend, dass Nid heute nicht da wäre. Ute setzte sich auf einen Hocker und bestellte einen thailändischen Rum mit Cola. Dann bemühte sie sich, mit der Barfrau ins Gespräch zu kommen, was bei der herrschenden Lautstärke gar nicht so einfach war. Zunächst erwähnte sie beiläufig, dass in der gestrigen Nacht zwei Männer hier gewesen sein müssen, die anschließend in Begleitung zweier Mädchen, unter ihnen Nid, das Etablissement verlassen hatten. Auch sprach sie darüber, dass einer der Männer, der der Ehemann ihrer Freundin sei, seither vermisst wurde und dass sich die beiden Frauen sehr große Sorgen seinetwegen machen würden. Ohne eine Antwort abzuwarten, wechselte Ute dann aber das Thema und fragte die Bardame nach ihrer Herkunft. Als diese ein Dorf in der Nähe von Tat Phanom als ihre Heimat nannte, fing Ute an, vom Isaan, dem Nordosten Thailands, zu schwärmen. Sie erzählte von einem Wan Loi Krathong, dem Lichterfest, das sie in der Kleinstadt Tat Phanom erlebt hatte. Während Frau Radok lächelnd von dem lichterschimmernden Zierteich schwärmte, in den die festlich gekleideten Menschen ihre Krathongs, die tellergroßen, selbst gebastelten und fantasievoll dekorierten Schiffchen, die mit brennenden Kerzen bestückt waren, ins Wasser gleiten ließen, und während sie die prunkvollen traditionellen Kostüme schilderte, in welchen die Schönsten der umliegenden Dörfer um den Titel der Miss Loi Krathong antraten, sie die fröhlichen Tänze bei Morlam und klassischer Trommelmusik beschrieb, bekam die Bardame glasige Augen. Gedankenverloren polierte sie unnötigerweise ein völlig sauberes Glas und sah Ute Radok unsicher an.

      »Du sprichst gutes Thai«, sagte sie.

      Ute erklärte ihr, dass sie seit vielen Jahren in Thailand arbeitete und dass sie sich in diesem Land glücklich und zu Hause fühlte.

      »Hast du keinen Mann?«, wollte die Thailänderin wissen, denn ein Mensch ohne Familie ist für Thailänder eine bemitleidenswerte Kreatur.

      »Ich hatte einen Mann, aber der war schlecht zu mir. Ich habe ihn vor neunzehn Jahren verlassen«, antwortete Ute in resigniertem Tonfall und fügte hinzu: »Männer bereiten uns Frauen nur Kummer und Sorgen.«

      Die Frau hinter dem Tresen nickte zustimmend und stellte Ute wortlos ein weiteres Glas Mekong-Cola auf die Bar. Dann kritzelte sie ein paar thailändische Schriftzeichen und eine Telefonnummer auf einen Zettel und schob ihn Ute unter vorgehaltener Hand zu.

      »Nid wohnt normalerweise bei einer Freundin«, raunte sie Ute zu. »Sie hatte heute Morgen Krach mit dem Chef und der hat sie anschließend rausgeworfen. Wenn du Glück hast, findest du sie bei der Adresse, die ich dir aufgeschrieben habe. Sag ihr, dass ich sie dir gegeben habe, dann wird sie dir vielleicht weiterhelfen können.«

      Als Ute zurückkam und gut gelaunt den Innenhof des Nana Plaza betrat, fand sie Dagmar umringt von Barmädchen. Alle schienen bester Dinge zu sein und sich gut und laut lachend zu unterhalten.

      »Ich habe Würmer und Heuschrecken gegessen und die haben gar nicht mal übel geschmeckt!«, begrüßte Dagmar ihre Begleiterin lallend.

      »Frau Schöller, Sie sind ja betrunken!«, gab Ute Empörung vor. Insgeheim amüsierte sie sich über den Anblick dieses angeheiterten Häufchens Elend.

      »Ich werde Sie jetzt besser zurück zu Ihrem Hotel bringen, bevor Sie mir hier noch vom Stuhl fallen.«

      Dagmar verzog das Gesicht und schob ihre Unterlippe vor.

      »Nein, ich will noch nicht gehen«, maulte sie. »Das sind alles meine Freundinnen. Das sind gaaanz süße Mädchen – alle. Das isss meine Freundin Phu, die anderen Namen kann ich mir nicht merken. Phu, one more Schinga for everybody, pleeeeese!«

      »Ich glaube, wir sollten jetzt wirklich besser gehen«, bemühte sich Frau Radok. »Sehen Sie mal, die Leute schauen schon ...«

      »Die sind ja alle zum Schauen hierhergekommen! To look all the sexy ladies!«

      Die Barmädchen juchzten bei Dagmars Worten, beantwortet von fröhlichen Rufen und Schreien aus den Nachbarbars.

      »Siehst du, Frau Radok? I am also sexy lady – thirty years ago! Hahaha, wenn ich beschwipst bin, kann ich richtig gut Englisch sprechen, mir fallen immer mehr Vokabeln ein. Ist das nicht zum Piepen, Frau Radok? Wie heißt du eigentlich mit Vornamen? Ich heiße Dagmar oder ist das jetzt unhöflich so von mir? Ach egal, ich hab heute meinen Mann verloren – nee – gestern meinen Mann verloren, aber jetzt habe ich eins, zwei, drei, vier, viele Freundinnen. Getsern hatte ich überhaupt keine Freundin. Hab ich getsern gesagt? Getsern. Wie heißt das noch mal? Getstern. Geststern. Geststern?«

      Indessen konnte sich Ute ein ganz offenes Lachen nicht mehr verkneifen. Sie bezahlte die Zeche aus ihrer eigenen Tasche und schob die laustark lamentierende Urlauberin vor sich her, bis