Bangkok Oneway. Andreas Tietjen

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Название Bangkok Oneway
Автор произведения Andreas Tietjen
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770660



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      Bangkok Oneway

      © 2016 Begedia Verlag

      © 2013 Andreas Tietjen

      Titelbild – Sabine Grollmus-Tietjen

      Covergestaltung – Harald Giersche/Andreas Tietjen

      Korrektur – Monika Paff

      Lektorat und ebook-Bearbeitung – Harald Giersche

      ISBN – 978-3-95777-066-0 (epub)

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      Eins

      Die Abendsonne tauchte die weite Flussebene in goldgelbes Flimmerlicht. Die Tageshitze wich der umhüllenden Wärme der dunklen Hälfte des Tagesverlaufs. Geräusche und Gerüche nahmen an Intensität zu, Mensch und Tier bereiteten sich auf die erholsamen Nachtstunden vor, die kraftspendende Rast für alle tagaktiven Lebewesen.

      Der kleine Thon, jüngster Sohn des armen Bauernpaares Aran und Sittichai aus dem Dorf Yang Than im Distrikt Krok Phra, machte sich, wie jeden Abend um diese Zeit, auf den Weg zum Flussufer. Er begleitete seinen Freund Tao zu seinem täglichen Bad im seichten Wasser der Sandbank, die sich in der Biegung des Chao Phraya Flusses gebildet hatte. Tao war ein Wasserbüffel. Er war nicht nur Thons Freund, sondern auch treuer Begleiter und eines der wichtigsten Mitglieder der Familie. Der zwölfjährige Junge war mit dem starken Arbeitstier aufgewachsen. So lange, bis er im Alter von fünf Jahren täglich zur Schule ging, hatte er die meiste Zeit des Tages in seiner Nähe verbracht. Die beiden ungleichen Freunde verstanden sich wortlos und einer konnte sich auf den anderen verlassen. Den kleinen Abhang der Uferböschung pflegte Tao im Laufschritt zu nehmen. Erstens freute er sich auf das erfrischende Wasser und zweitens zog ihn sein stattliches Gewicht voran. An diesem Tag jedoch stemmte sich Tao mit aller Kraft gegen den unter seinen Hufen rutschenden Sand. Unten am Ufer angekommen, suchte er nervös den Rückweg, der ihm jedoch von Thon abgeschnitten wurde. Der Junge war überrascht und verwundert über das Verhalten des Büffels.

      »Tao pai loei!«, rief er, »lauf schon, Tao!«

      Doch das Tier reagierte ängstlich und unruhig, so als ob es eine Gefahr witterte.

      »Was ist los, mein Grauer?«, fragte der Junge. »Wovor hast du Angst? Da ist doch gar nichts!«

      Suchend ließ er seinen Blick über den Fluss schweifen.

      »Siehst du? Gar nichts ist auf dem Wasser, nicht einmal eines dieser lärmenden Schnellboote.«

      Tao drehte und wendete sich nervös, schließlich erklomm er die Uferböschung und lief fluchtartig in Richtung Zuhause.

      »Dieser Sturkopf, was hat er nur?«, schimpfte Thon und blickte dem Dickhäuter hinterher. Er warf noch einen prüfenden Blick über den Fluss, bevor er sich aufmachte, dem Büffel zu folgen. Er schüttelte den Kopf – doch da, was war das? Zwischen dem Treibholz, das am oberen Ende der Sandbank angeschwemmt worden war, tauchte ein heller Fleck auf und ab. Es war wie ein Zuwinken. Was immer es war, es war klein, aber es stach intensiv aus seiner Umgebung hervor. Der Junge fixierte es mit seinen Blicken und beobachtete es eine Weile. Er verfolgte sein periodisches Auf- und Abtauchen. Neugierig ging er hinunter zur Sandbank. Er durchwatete das seichte Wasser und stampfte durch den feuchten Sand. Je näher er dem unbekannten Etwas kam, desto weniger konnte er etwas mit den Konturen anfangen. War es ein Tongefäß? Eine Schachtel oder Dose? Nein, jetzt sah es aus wie ein Tier. Vielleicht ein Kanister? Thon erschrak. Einen Meter nur von ihm entfernt ragte ein Fuß aus dem lehmigen Wasser des großen Flusses. Durch die Wellen eines vorbeiziehenden Frachtschiffes aufgetrieben, folgte ein zweiter Fuß, dann die schwachen Konturen eines menschlichen Körpers. Auf und ab, da und wieder verborgen im dunklen Nass. Der Junge erschauderte. Er konnte sich kaum lösen von dem furchtbaren Anblick.

      »Paw, Mae! – Vater, Mutter!«, schrie er und rannte auf kürzestem Wege nach Hause.

      »Was ist los mit dir?«, rief eine Nachbarin. »Hast du den Verstand verloren?«

      »Im Fluss, bei der Sandbank, Füße ...«, stammelte Thon, als ihn seine Großmutter auffing.

      »Im Fluss liegt ein Toter, ein Farang.«

      Es waren alle aus dem Dorf Yang Than zu der Sandbank gekommen. Man hatte um die Füße des Farang eine Schnur geknüpft und diese an einem angetriebenen Baumstamm befestigt. Nun wurde aufgeregt über die fremdartige Leiche diskutiert. Farang nannte man die hellhäutigen Ausländer und ebensolch ein Ausländer soll vor ein paar Tagen mit seinem Motorrad durch das Dorf gefahren sein.

       »Er war viel zu schnell unterwegs«, behauptete die alte Manau, »und er hätte fast die Motorrad-Suppenküche von Arnee gerammt.«

      »Nein, er war so langsam über die Dorfstraße getuckert, dass der Songthaeo mit den Schulkindern auf der Ladefläche stark abbremsen musste und sie alle durcheinandergepurzelt waren«, widersprach der Apotheker. »Außerdem hatte er irgendetwas im Dorf gesucht.«

      Der Fischer Saeng hatte sogar gleich zwei Langnasen durch das Dorf fahren sehen und diese saßen in einem Auto mit Bangkoker Kennzeichen. Sicherlich würde der zweite Farang auch noch von den Fluten des Chao Phraya freigegeben werden, mutmaßte er. Die Gerüchte und Spekulationen entwickelten sich immer wilder und absurder. Die Polizei beendete die Gespräche, indem sie Fragen stellte, wer den Toten gefunden hatte und ob irgendwer aus dem Dorfe den Fremden schon einmal gesehen hätte. Nun konnte sich plötzlich niemand mehr erinnern und alle schwiegen verlegen. Thon schritt gemeinsam mit den Beamten erneut den Weg ab, den er gegangen war, nachdem er diesen unerklärlichen hellen Fleck erstmals gesehen hatte. Das ganze Dorf folgte ihnen. Dann kamen weitere Polizeiautos aus der Stadt Nakhon Sawan herangefahren und immer mehr Polizisten versackten mit ihren Lederstiefeln im feuchten Schlick der Sandbank. An einem Seil wurde die Leiche schließlich aus dem Wasser gezogen und ein entsetztes Raunen ging durch die Menge der Schaulustigen. Dem Toten war der linke Arm unterhalb der Schulter abgetrennt worden, ja man kann sagen, dass er regelrecht abgefetzt wurde. Nun lag ein dicker, aufgequollener weißer Körper bäuchlings im Schlick. Er war bekleidet mit einer schwarzen Badehose oder dergleichen. Keiner der Polizisten wollte der Erste sein, der diesen verwesenden Fleischberg umdrehen und ihm ins Antlitz schauen sollte. Es herrschte eine schaurig gespannte Stille. Die gesamte Dorfbevölkerung starrte den Toten an. Zwei Beamte fassten schließlich allen Mut und drehten die Leiche um. Ein Schrei ging durch die Menge. Der Tote war ein Mann, aber ihm fehlte das Gesicht. An dessen Stelle klaffte eine rote Wunde, aus der vereinzelt Zähne und Knochenteile herausragten.

      Zwei

      Es gibt Augenblicke, in denen man zu sehr mit Nebensächlichkeiten beschäftigt ist, als dass man ein Gespür für die Dramatik des Moments entwickeln könnte. Später, wenn man die Tragweite einer scheinbar belanglosen Szene unwiderruflich vor Augen hat, wird man sich immer und immer wieder fragen: »Warum habe ich nicht bemerkt, dass etwas Tragisches geschehen wird? Warum habe ich mich meiner Müdigkeit, meiner Erschöpfung, meiner Ungeduld hingegeben und nicht darüber nachgedacht, weshalb ich so ein mulmiges Gefühl hatte?«

      Solch ein Schicksalsmoment ereignete sich auch in jenem Hotelzimmer, in dem das Ehepaar Schöller seine erste Nacht in einer fremden Stadt verbrachte.

      Dagmar richtete sich im Bett auf und schob ihre Schlafbrille hoch. Sie schaltete die Leselampe an, nahm den Wecker in die Hand und erkannte mit kneisternden Augen, dass es eben erst elf Uhr war. Elf Uhr nachts, Bangkoker Zeit wohlgemerkt. Aus dem angrenzenden Bad drangen leise Geräusche.

      »Heinz?«, rief sie. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

      Heinz Schöller öffnete die Tür und trat in deren keilförmigen Lichtkegel.

      »Ich kann nicht schlafen«, sagte er mit resignierendem Unterton.

      »Ist ja auch kein Wunder. Du hast den ganzen elfstündigen Flug über geschlafen«, antwortete seine Frau nasal.

      »Deinem Geschnarche verdanken alle anderen Passagiere, dass wenigstens sie jetzt hundemüde sind.«

      »Die Tabletten!«, erwiderte Heinz entschuldigend. »Ich glaube, eine Schlaftablette hätte