Bangkok Oneway. Andreas Tietjen

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Название Bangkok Oneway
Автор произведения Andreas Tietjen
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770660



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sprang von ihrem riesigen Ledersessel auf und ging auf die Frau zu. Diese stellte sich als Ute Radok vor; auch sie wirkte leicht unterkühlt und abweisend. Der gleiche Schlag von Mensch wie die unverschämte Reiseleiterin, Fräulein Klöpper, dachte Dagmar enttäuscht. Frau Radok nahm Dagmar mit in einen kleinen Büroraum direkt neben der Rezeption. Im Vorbeigehen orderte sie eine Tasse Kaffee, und noch bevor die beiden Frauen Platz genommen hatten, begann sie mehrere Telefongespräche zu führen, die mit dem eigentlichen Grund ihres Kommens nichts zu tun hatten.

      »Frau Schöller«, eröffnete sie anschließend das Gespräch in strengem Ton. »Sie haben ein Problem; schildern Sie mir bitte, was vorgefallen ist.«

      »Mein Mann ist verschwunden. Er konnte gestern Abend nicht einschlafen und wollte noch kurz an die Hotelbar gehen. Das ist das Letzte, was ich von ihm gehört habe, und das ist inzwischen mehr als zwölf Stunden her.«

      »Ist das Ihre erste Thailandreise?«, fragte Frau Radok.

      »Nein, wir waren vor sechs Jahren schon einmal mit Martan Travel hier, aber die Rundreise mussten wir abbrechen, weil ich eine Magen-Darm-Infektion bekommen hatte. Wir sind dann damals direkt nach Koh Samui geflogen, wo es mir schließlich besser ging. Mein Mann ist vor einem Jahr alleine für zwei Wochen nach Jomtien geflogen. Das war so eine Art Rehamaßnahme nach einem Zusammenbruch, den er erlitten hatte.«

      Frau Radok sah von ihrem Schreibblock auf, in dem sie eifrig Notizen zu dem Gespräch machte.

      »Jomtien, ja?! Und hat er dort jemanden kennengelernt?«

      »Wie meinen Sie das – jemanden kennengelernt?«, fragte Dagmar entrüstet.

      »Frau Schöller, wir wollen uns doch nichts vormachen. Ihr Mann hat indessen gewisse Thailanderfahrung. Wenn er nach einem Barbesuch nicht sofort zurückkommt, dann kann das alle möglichen Gründe haben. Die Stadt ist groß – wo sollen wir da anfangen zu suchen?«

      Dagmar verschlug es die Sprache. Nicht genug, dass sich das Schicksal im Moment gegen sie gewandt zu haben schien, waren auch noch die Menschen, die sie um Hilfe ersuchte, an Unverschämtheit und Frechheit nicht zu überbieten.

      »Ich verstehe Ihre Anspielung«, antwortete sie mit bebender Stimme. »Aber glauben Sie mir, wenn Sie einmal in eine ähnliche Situation kommen sollten wie ich jetzt, dann werden Sie sich wünschen, nicht noch obendrein mit Leuten wie Ihnen konfrontiert zu werden.«

      »Ich bin seit heute Morgen um Viertel vor fünf Uhr in ganz Bangkok unterwegs, um mich um verlorene Taschen, verlorene Schlüssel, verlorene Pässe und dergleichen zu kümmern. Sie sehen also, dass ich alle Hände voll zu tun habe.«

      »Mit anderen Worten«, antwortete Dagmar verbittert, »Sie haben keine Lust mehr, sich auch noch um einen verloren gegangenen Menschen zu kümmern, ja?!«

      Frau Radok schwieg einen Moment lang. Sie rückte die unordentlich gepackte Aktenmappe vor sich auf dem Tisch zurecht, bevor sie Dagmar ernst ansah und sich entschuldigte.

      »So habe ich das nicht gemeint, verzeihen Sie mir bitte. Ich werde hier von einem Fall zum nächsten geschickt und komme nicht einmal dazu, in Ruhe eine Tasse Kaffee zu trinken. Sie glauben nicht, was da draußen auf den Straßen los ist um diese Zeit.«

      Sie nahm einen hastigen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und blickte Dagmar erwartungsvoll an.

      »Wenn Sie einverstanden sind, beginnen wir unser Gespräch noch einmal ganz von vorne.«

      Frau Radok ließ zwei weitere Tassen Kaffee in den Konferenzraum bringen und widmete sich nun mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit Dagmars Problem. Die beiden Frauen sprachen so mehr als eine Stunde miteinander und Frau Radok machte sich eifrig Notizen. Sogar ihr ständig piependes Mobiltelefon schaltete sie für die Dauer der Unterhaltung stumm. Anschließend schlug sie vor, dass sie gemeinsam erste Nachforschungen unternehmen sollten, da die Polizei mit Sicherheit bei der mehr als dürftigen Informationslage keine große Hilfe sein würde.

      Als Dagmar in ihrem Zimmer nach einem Foto ihres Mannes suchte, stellte sie fest, dass dessen Pass nicht aufzufinden war. Zunächst schenkte sie diesem Umstand keine weitere Beachtung, doch die Frage, wann und warum Heinz das Dokument mitgenommen hatte, beschäftigte sie hintergründig. Die beiden Damen suchten die Hotelbar auf, um das Personal zu befragen. Hier oben herrschte Einschichtbetrieb und so hatten sie Glück, gleich mehr als die Hälfte der Bediensteten anzutreffen, die am vorherigen Abend dort gearbeitet hatten. Frau Radok unterhielt sich mit dem Chef der Bar auf Thailändisch und Englisch. Zwischendurch gab sie Dagmar kurze Zusammenfassungen davon in deutscher Sprache. Der Barkeeper konnte sich noch sehr gut an Heinz erinnern und auch daran, dass er die Bar zusammen mit einem fremden Mann verlassen hatte. Sogar die genaue Uhrzeit, nämlich ein Uhr zweiundvierzig, konnte sich anhand des elektronischen Kassenbeleges ermitteln lassen. Wohin die beiden jedoch gegangen waren, wusste niemand der Bediensteten zu sagen. Auch eine brauchbare Beschreibung des anderen Gastes war nicht aus ihnen herauszubekommen. Der Mann musste ungefähr die gleiche Statur, ein vergleichbares Aussehen und Alter wie Heinz gehabt haben. Dies alles ergab ein ähnliches Bild, als wenn ein Europäer einen Asiaten in der Art beschreiben würde, dass dieser eine gelbliche Hautfarbe, schwarze Haare und Schlitzaugen hätte. Für jegliche Nachforschungen war das unbrauchbar. Frau Radok fragte den Barmann, ob er irgendeine Idee hätte, wo zwei Männer, die noch relativ wenig Alkohol zu sich genommen hatten, um diese späte Zeit hingegangen sein könnten, woraufhin die Hotelangestellten verlegen zu grinsen anfingen. Auf Frau Radoks weiteres Drängen hin erwähnte der Barchef, dass einige Gäste gelegentlich in ein Barviertel gingen, das sich in einer Seitenstraße der Sukkhumvit Road befände. Dieses Viertel hieß Nana Plaza. Dort würden aber überwiegend Touristen verkehren, die nicht der feineren Gesellschaft angehörten, und das Personal würde keinesfalls die guten thailändischen Umgangsformen beherrschen. Frau Radok verstand diesen Fingerzeig und sie suchte nach Worten, wie sie ihrem Schützling schonend beibringen konnte, welche Vermutung der Thailänder da eben geäußert hatte.

      Die beiden Frauen bestellten sich je einen alkoholfreien Cocktail und beratschlagten das weitere Vorgehen.

      »Die einzigen Hinweise, denen wir im Moment nachgehen können, sind die dürftige Beschreibung eines Unbekannten, mit dem Ihr Mann zusammen gesehen worden ist, und die vage Annahme, dass die beiden in ein Barviertel hier in der Nähe gegangen sein könnten«, sagte Frau Radok. »Das ist nicht viel für den Anfang! Uns bleibt nichts anderes übrig, als mit Ihrem Foto in der Hand im Nana Plaza die Barmädchen zu befragen. Dafür ist es aber jetzt noch zu früh. Ich schlage vor, dass Sie eine Tablette nehmen und sich für fünf Stunden schlafen legen. Danach essen wir eine Kleinigkeit und machen uns anschließend auf den Weg. Was halten Sie davon?«

      Dagmar war einverstanden und erleichtert, in dieser Situation nicht selbst die Initiative ergreifen zu müssen. Um Punkt achtzehn Uhr wurde sie von Frau Radok telefonisch geweckt. Sie nahmen gemeinsam ein sehr schmackhaftes Essen im Hotelrestaurant ein. Frau Radok hatte sich legerer, aber dennoch elegant gekleidet. Dagmar fühlte sich hohl und matt, obwohl sie tief und fest geschlafen hatte. Die Vorstellung, dass ihrem Heinz etwas Schreckliches zugestoßen sein könnte, ließ sie nicht los.

      »Meinen Sie wirklich, wir haben eine Chance, meinen Mann ohne die Hilfe der Polizei zu finden?«, fragte sie.

      »Die Polizei wird auch nichts anderes tun als wir, höchstens, dass sie mit ihrem elefantösen Feingefühl noch die letzten möglichen Spuren zertrampeln würde. Nein, nein, wir müssen erst einmal genügend Hinweise bekommen, dass wir der Polizei eine Richtung vorgeben können. Erst dann macht es Sinn, sie um Hilfe zu bitten.«

      Als die beiden Damen das Eingangsportal des Nana Plaza betraten, fühlte sich Dagmar an eine Kirmes erinnert. Aus unzähligen Buden drang unterschiedliche Musik an ihre Ohren. Alles war bunt, schrill und laut. Nur waren die Marktschreier hier ordinär-aufreizende Teenager und junge Frauen in kaum vorhandener, geschmackloser Kleidung. An diesen Buden drängten sich auch keine Kinder und Jugendlichen, die die farbenfrohen Verlockungen der Auslagen anschmachteten, sondern erwachsene Männer in meist fortgeschrittenem Alter. Es war schwer auszumachen, auf welcher Seite der Bartresen es ordinärer zuging. Und hierher sollte Heinz zusammen mit einem fremden Mann auf Vergnügungstour gegangen sein? Unmöglich! Eigentlich wollte