Ernst Kuzorra. Thomas Bertram

Читать онлайн.
Название Ernst Kuzorra
Автор произведения Thomas Bertram
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730705728



Скачать книгу

mehr Training und häufigere Spiele auf Kosten des ausgeübten „normalen“ Berufs erforderte, stellte sich von Anfang an die Frage nach einem finanziellen Ausgleich. Da mit der Wandlung des Fußballsports zum Massenvergnügen, für das man bereit war, Geld zu bezahlen, auch die Erwartungshaltung der Zuschauer an eine entsprechende Gegenleistung wuchs, führte am Profispieler kein Weg vorbei. Was der DFB auch längst erkannt hatte: „Der Berufsspieler wird das Spiel technisch auf eine Höhe der Vollendung bringen, die der Herrenspieler nur in seltenen Fällen erreichen kann“ (DFB-Jahrbuch 1918/19). Ohne geregeltes Training und viele Spiele war diese „Vollendung“ nicht zu erreichen. Dass DFB-Vizepräsident Felix Linnemann dennoch unverdrossen das „Schreckensszenario vom kapitalisierten Sport“ an die Wand malte, „in dem Spieler zu reinen ,Spekultaionsobjekten‘ verkommen würden“ (Grüne/Schulze-Marmeling), zeigt, mit welchen ideologischen Scheuklappen die Profidebatte in den 1920er-Jahren geführt wurde. Man wollte guten Fußball, war aber nicht bereit, die notwendigen Vorbedingungen zu schaffen, frei nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! Und dann waren da noch jene Verfechter des Amateurideals, die der Kommerzialisierung des Fußballsports mit der Moralkeule beizukommen suchten: „Was nützen mir die ungeheuren äußere Erfolge ... der ungeheure Mitgliederzuwachs, die überfüllten Sportplätze, das Interesse der Öffentlichkeit? Was nützt uns das, wenn der Geist krank ist?“ In diesem Zusammenhang wurde schließlich die Frage diskutiert, ob eine „deutsche Dominanz“ im internationalen Vergleich überhaupt erstrebenswert sei. Dem WS V-Funktionär Guido von Mengden war es 1926 lieber, „zehn Millionen Deutsche sind waschechte Sportsleute und unsere Nationalelf verliert gegen die halbe Welt, als zehn Millionen schauen nur zu, wie die deutsche Profi-Über-Ober-Extraklasse die ganze Welt verprügelt“.

      „Dass die Spieler als selbstlose ,Helden“ fürs Vaterland und nicht für Geld kämpfen sollten, war der Hauptgrund für die Unterdrückung der unübersehbaren Tendenz zur Kommenzialisierung des Fußballs durch den DFB und seine Landesverbände“,

      lautet das Fazit, zu dem die Sozialhistorikerin Christiane Eisenberg in ihrer Studie „English Sports“ und deutsche Bürger kommt.

      Vor diesem Hintergrund war es leicht, die Schalker Spieler, die „dem tristen Arbeitsalltag zu entfliehen und das Geld für das tägliche Überleben (und vielleicht ein kleines bisschen ,Reichtum‘ nebenbei) auf etwas angenehmere Art zu verdienen“ suchten (Grüne/Schulze-Marmeling), zu „Sündern“ und „bösen Buben“ zu erklären. Dabei hatten die Schalker Fußballer, wie viele ihrer Kameraden auch, lediglich ein System genutzt, das ihnen hinter vorgehaltener Hand schon seit Langem die Möglichkeit des Zusatzverdienstes bot. Sie nun an den Pranger zu stellen, mochte das Gewissen manches Amateurapostels beruhigen, war aber realitätsfremd und zeugte von einer gehörigen Portion Scheinheiligkeit. Die Verwandlung des Fußballs zu einem Bestandteil der Unterhaltungsindustrie eröflnete allen Beteiligten die Chance, Geld zu verdienen, und der Versuch der Spieler, sich ein Stück vom kommerziellen Kuchen abzuschneiden, war umso weniger verwerflich, als dahinter der Wunsch stand, die sozialen und materiellen Schranken der eigenen Existenz zu überwinden.

      Zurück zu Schalke. Unter der Überschrift „Wo bleibt Gerechtigkeit für Schalke 04?“ befasste sich die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 7. Dezember 1930 mit den wirtschaftlichen Folgen der Schalker Sperre, die über den Fußball hinausgingen. Der zweifache Westmeister galt als attraktives Team, das die Massen anlockte und seinen Gegnern volle Kassen bescherte. Auch die Geschäftswelt und die Verkehrsbetriebe freuten sich über die vielen Zuschauer und die wertvollen Einnahmen. Eine Auftebung der Sperre war daher nicht nur eine sportliche, sondern auch eine ökonomische Notwendigkeit.

      Während sich der Verein um einen Ausgleich mit dem WSV bemühte, setzten einige der gesperrten Spieler auf eine professionelle Karriere, die einen Vereinswechsel nicht ausschloss: Wir Spieler wussten aber nicht, wie es weitergehen sollte. Da haben der Fritz [Szepan] und ich einen Vertrag bei Wiener Managern unterschrieben.

      Der Vertrag mit dem Wiener Klub Vienna FC wurde am Sonntag, den 5. Oktober, in der Wohnung von Kuzorra unterzeichnet. Der Vertreter des Klubs, Herr Friedmann, hatte mehrere Tage lang in Gelsenkirchen mit den beiden Schalker Stars verhandelt. Die Gelsenkirchener Zeitung berichtete am 6. Oktober 1930 in ihrer Sportbeilage unter der Überschrift „Zwei berühmte Fußballspieler verlassen Deutschland!“ ausführlich über den bevorstehenden Wechsel von Kuzorra und Szepan ins österreichische Profilager:

      „Unser Mitarbeiter hatte Sonntagvormittag während der Zusammenkunft Gelegenheit, sowohl mit Herrn Friedmann als auch mit Kuzorra und Zepan zu sprechen. Zu diesem Zeitpunkt war eine bindende Zusage von Seiten der Spieler noch nicht gemacht worden. Ein später geführtes Telephongespräch brachte dann die Bestätigung. Herr Friedmann betonte, daß er keineswegs gekommen sei, um die beiden Innenstürmer zum Berufssport zu ,keilen. Man habe von Seiten seines Vereins den Verlauf der Dinge abgewartet, aber da jetzt nach Lage der Verhältnisse kaum noch mit einer Lösung zu rechnen sei, die den Spielern Gelegenheit gebe, innerhalb der Reichsgrenzen ihren Sport zu treiben, sei Vienna mit einem Angebot hervorgekommen. Kuzorra und Zepan betonten immer wieder, daß, wenn sie auch nur noch eine einzige Möglichkeit sähen, hier wieder Sport treiben zu können, so wäre das Wiener Angebot von vornherein für sie undiskutabel. Man habe ihnen aber verschiedentlich Hoffnungen gemacht, die sich nicht erfüllten. Mit Bezug auf das Wiener Angebot war selbst Notar Jersch bei Zepan vorstellig geworden, um das Wiener Angebot zu isolieren. Der erste Vorsitzende habe auch Hoffnungen erweckt.

      Der von Kuzorra und Zepan unterzeichnete Vertrag ist hinsichtlich seiner finanziellen Seite - soweit wir uns unterrichten konnten - günstig. Mit Rücksicht darauf, daß beide noch geschäftliche Angelegenheiten in Gelsenkirchen abzuwickeln haben, gilt die Verpflichtung für die ,Vienna‘ erst vom 1. November ab. Die beiden Schalker haben sich aber - ihrer Hoffnung gehorchend - noch eine Möglichkeit gelassen: falls bis zum 1. November Ereignisse eintreten, die ihnen das Spielen wieder in Deutschland gestatten, so haben sie das Recht, vom Vertrage mit der Vienna zurückzutreten.“

      Der Vertrag, den die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung am 6. Oktober in ihrer Sportbeilage abdruckte, hatte folgenden Wortlaut:

      „Vertrag.

      Herrn Ernst Kuzorra und Fritz Szepan.

      Ich verpflichte mich, Ihnen für die Dauer Ihres dreimonatlichen Vertrages mit dem 1. Vienna FC Wien zur Zahlung von monatlich Falls Sie nach drei Monaten eine Vertragslösung vornehmen, zahle ich Ihnen die Spesen der Rückfahrt. Haben Sie bis zum 1. November 1930 die Spielerlaubnis für Deutschland bekommen, ist der Vertrag hinfällig. gez. Friedmann“

      Andere europäische Länder waren Deutschland in der Profifrage längst voraus. In Österreich gab es seit 1924 Berufsfußballer: Zu der vom Wiener FußballVerband (WFB), der Vereinigung der Fußballvereine des Bundeslandes Wien, ausgerichteten Österreichischen Fußballmeisterschaft waren in der Saison 1924/25 erstmals nur Profiklubs zugelassen. In den Industriestädten im nordenglischen Lancashire wurde schon seit 1885 professionell gekickt, legalisiert wurde der Spielbetrieb in England dann „nach einer erbitterten Debatte um die moralische Rechtmäßigkeit des Berufsfußballs“ (Grüne/Schulze-Marmeling) 1888 mit der Gründung der zunächst aus einer, ab 1892 aus zwei Divisionen bestehenden Football League. Italien führte 1898 eine Fußballmeisterschaft ein, die bis 1928 zwischen den Siegern diverser Regionalverbände in einem Turnier ausgespielt wurde. Seit der Spielzeit 1928/29 wurde der italienische Meister nicht mehr unter den Regionalsiegern, sondern unter sämtlichen teilnehmenden Mannschaften ermittelt. Professionell gespielt wurde in Italien schon seit den 1920er-Jahren, als erster Profispieler gilt Virginio Rosetta, der 1923 für 50.0 Lire vom F.C. Pro Vercelli zu Juventus Turin wechselte. Eine gesamtitalienische Profiliga konstituierte sich 1946 mit der Lega Calcio. Nach einer Reform und der Einführung einer zweiten Liga trägt die erste italienische Liga seit der Spielzeit 1948/49 den Namen Serie A. Ungarn und die Tschechoslowakei beschritten in den 1920er-Jahren den Weg zum bezahlten Fußball. Angesichts dieser Entwicklung und der längst auch in Deutschland (unter der Hand) fließenden Gelder für Spieler wirkte das von den deutschen Fußballverbänden hochgehaltene Amateurideal ein wenig aus der Zeit gefallen.

      Noch aber liefen Kuzorra und Szepan weiter in Deutschland auf. Am 12. Oktober bestritten wir unser erstes Spiel