Ernst Kuzorra. Thomas Bertram

Читать онлайн.
Название Ernst Kuzorra
Автор произведения Thomas Bertram
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730705728



Скачать книгу

,,vergiftete[n] Atmosphäre“ (zit. nach: Königsblau, S. 105), welche die Großzügigkeit gegenüber den Nationalspielern und die Strenge gegenüber den Vereinsspielern schaffe. Auch sonst bestachen die Funktionäre eher durch Inkonsequenz: So zahlte der Dresdner SC seinen Spielern Siegprämien, 50 Reichsmark für ein Spiel gegen den SV Guts Muts 1902 Dresden und einmal sogar 100 Reichsmark in der Zwischenrunde der Deutschen Meisterschaft gegen die SpVgg Fürth. Gerüchten zufolge zahlten Klubs in Süddeutschland ihren Spielern 50 Reichsmark Handgeld pro Spiel. Mitunter profitierten sogar Dritte: Als der Abwehrspieler Hans Appel vom Berliner SV 92 zu Hertha BSC wechselte, erhielt seine Mutter eine monatliche Rente von 60 Mark vom Verein, was die Verbände ebenfalls stillschweigend hinnahmen.

      Dabei war im Amateurstatut penibel geregelt, was erlaubt war und was nicht: „Berufsspieler ist jeder, welcher für die Ausübung des Fußballspiels [...] eine Entschädigung in Geld oder Geldwert annimmt.“ Handgelder, Siegprämien und Tagesspesen über einer bestimmten Höhe waren ebenso untersagt wie Geschenke, Darlehen, Gefälligkeiten oder die Vermittlung von Arbeitsstellen, um Spieler an einen Verein zu binden. Wären diese Bestimmungen rigoros angewendet worden, hätte der deutsche Spitzenfußball seinen Betrieb allerdings komplett einstellen müssen. Die Anschubfinanzierung für den Tabakladen von Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, die spätere Vermittlung einer Arbeitsstelle für Szepan beim Jugendamt der Stadt Gelsenkirchen, die Rente für Hans Appels Mutter - all das verstieß gegen die Amateurregeln. Regeln, die aus einer Zeit stammten, als vornehmlich bürgerlichen Kreisen entstammende Sportler nicht auf Einnahmen angewiesen waren. Seitdem der Fußball sich jedoch zum kommerziellen Mas- senzuschauersport entwickelte, wirkte das Amateurideal zunehmend antiquiert. Wie andere Sportarten wurde auch der Fußball zusammen mit den neuen Massenmedien Rundfunk und Film Teil einer Populärkultur, deren Erzeugnisse breite Bevölkerungsschichten faszinierten und allen Beteiligten ungeahnte Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten boten. Bei einer neuen Generation von Spielern aus dem proletarischen Milieu weckten die mit den Zuschauerzahlen steigenden Einnahmen der Vereine den nicht zuletzt aus der wirtschaftlichen Not der 1920er-Jahre geborenen Wunsch, aus ihrem Sport auch materiellen Nutzen zu ziehen, sahen sie doch, „dass mit dem Fußball ,etwas zu verdienen war“‘ (Goch/Silberbach). Die Spieler des FC Schalke 04 machten da keine Ausnahme.

      „Paragraphen erschüttern den F.C. Schalke 04“, titelte die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung am 27. August 1930: „Während der westdeutsche Meister in Mitteldeutschland Siege erfocht, wurde er in Duisburg erschlagen. Buchstaben standen gegen die Vernunft - und die Vernunft mußte weichen. - Die unerbittliche Lehre: Fort mit veralteten Satzungen!“

      Die Buersche Zeitung bemühte die 1918 von der deutschen Obersten Heeresleitung verbreitete Verschwörungstheorie, wonach dem im Felde unbesiegten kaiserlichen Heer gewissenlose „Vaterlandsverräter“ in der Heimat in den Rücken gefallen seien, die somit die Schuld an der deutschen Niederlage trügen, um das Verdikt des WSV ins rechte Licht zu rücken. „Der Dolchstoß gegen Schalke 04 - Die Sportbürokratie erwürgt den Meisterverein Schalke 04“, titelte das Gelsenkirchener Blatt am selben Tag. Und das Fachblatt Fußball sprach von einem „aufreizenden Fehlurteil, das nur den in allen Fugen krachenden deutschen ,Amateurbetrieb‘ verschleiern möchte“. Dass der DFB in der Tat mit seinen Länderspielteilnehmern sehr viel großzügiger verfuhr, als er dies den Vereinsspielern zugestehen wollte, und dass Verstöße anderer Klubs gegen die Amateurstatuten nicht oder nur halbherzig geahndet wurden, bot durchaus Stoff für Verschwörungstheorien. So wurden in die gleiche Richtung zielende Ermittlungen gegen die SpVgg Köln-Sülz 07 im Jahr 1931 eingestellt. Lediglich Borussia Mönchengladbach hatte es elf Tage vor Verkündung des Schalker Urteils ähnlich getroffen: Fünf Spieler wurden gesperrt und zu Geldstrafen verurteilt, zwei Funktionäre aus dem WSV ausgeschlossen bzw. für ein Jahr gesperrt. Dass hingegen der Dresdner SC seinen Spielern seit Jahren Handgelder und Siegprämien zahlte oder dass mindestens ein Spieler der Frankfurter Eintracht nach Auskunft eines Mitspielers vom Verein entlohnt wurde („Wozu bekommt der Kerl denn 250 Mark im Monat?“), schien beim DFB niemanden zu kümmern. Die Schlussfolgerung der Buerschen Zeitung, dass mit dem Bann des WSV gegen Schalke an einem proletarischen Verein ein Exempel statuiert werden sollte, weil dessen phänomenaler Aufstieg vielen bürgerlichen Verbands- und Vereinsfunktionären ein Dorn im Auge sei, erscheint vor diesem Hintergrund nicht ganz abwegig. Das sah auch Ernst Kuzorra so: Das Geld spielte eine Rolle und der Neid vieler anderer auf die immer größer werdenden Erfolge des FC Schalke 04. Wir haben statt der erlaubten fünf Mark Spesen zehn Mark bekommen. Was die Buersche Zeitung rechtfertigte:

      „Kuzorra und Czepan werden die Zuwendungen, die sie vom Verein erhielten, restlos dafür verbraucht haben, dass sie ihr Geschäft7 während ihrer häufigen Abwesenheit von fremden Leuten beaufsichtigen lassen mussten. Das ist nur gesagt, um den Gerüchten die Spitze zu nehmen, die besagen, dass die Schalker Spieler ein Herrenleben von den Einkünften des Vereins geführt hätten.“

      Kuzorra und die übrigen gesperrten Schalker Fußballer galten fortan als Profis - in einem Land, in dem es offiziell keine Profis gab. Die haben uns rausgeschmissen, schimpfte Kuzorra.

      Ein Gedicht, das „von der kaltgestellten Mannschaft zusammengereimt wurde“ (GAZ, 28.8.1930), hielt dem WSV vor, dass er sich mit der Sperre ins eigene Fleisch schneide:

       Großer F.C.S., stolzer F.C.S.

       Denke nicht mehr an die Zeiten,

       Als Du warst sehr groß,

       Hattest sehr viel „Moos“,

       Konntest Dir ein Stadion leisten ...

       Doch der WSV

       Nahm es ganz genau

       Mit Spesen und Diäten -

       Und er setzte mit Gewalt

       Dann die ganze Mannschaft kalt,

       Die so oft sein Stolz gewesen ...

      Dennoch würde es zu kurz greifen, das Problem des Amateurismus im deutschen Fußball der 1920er-Jahre nur aus der Perspektive der sich als Opfer einer vorgestrigen Sportbürokratie empfindenden Schalker zu sehen. Seit der Fußballsport sich vom elitären Freizeitvergnügen materiell abgesicherter Angehöriger des Bürgertums zum Element einer im Entstehen begriffenen Unterhaltungsindustrie entwickelte, welche die breiten Massen faszinierte und über Eintrittsgelder und Werbeeinnahmen Gewinne erwirtschaftete, erhitzte die Frage, wer in welcher Weise von diesen Geldern profitieren sollte, die Gemüter aller Beteiligten. „Die Logik war ganz einfach: Spiele ortsbekannter Mannschaften füllten aufgrund ihrer Anziehungskraft die Kassen der Vereine, und weil es die Aktiven waren, die die Zuschauer anzogen, stand ihnen ein angemessener Anteil an der Einnahme zu“, heißt es dazu im Goldenen Buch des deutschen Fußballs (Grüne/Schulze-Marmeling).

      Die Schalker Fußballer hatten das Pech, in einem Verbandsgebiet zu kicken, dessen Funktionäre dem Amateurgedanken besonders verbissen anhingen. Im diesbezüglich fortschrittlicheren Südwesten Deutschlands wäre es wahrscheinlich gar nicht zu einem „Fall Schalke“ gekommen. Zwar hatte es auch hier bereits Anfang der 1920er-Jahre einen handfesten Skandal gegeben, als Josef „Sepp“ Herberger für 10.000 Reichsmark vom Sport- und Turnverein Waldhof zum Lokalrivalen MFC Phönix und kurz darauf zum VfR Mannheim wechselte, worauMn dem späteren Reichs- und Bundestrainer „infolge seiner zahlreichen Vergehen gegen die Amateurparagrafen des DFB das Recht als Amateur abgesprochen und [er] zum Berufssspieler erklärt wurde“, doch die Begnadigung und erneute Berufung in die Nationalelf folgten auf dem Fuße. Hinter den Kulissen ging es hier eher um die Eitelkeiten lokaler Sportfunktionäre, die einen Spieler nicht an einen ungeliebten Lokalrivalen verlieren wollten, als um die reine Lehre vom Amateursport. Denn das „verkappte Berufsspielertum“ war allgemein bekannt und längst anerkannt (im Süden mehr als im Westen und Norden Deutschlands), und „im Grunde genommen kam es nur darauf an, sich nicht erwischen zu lassen“ (Grüne/Schulze-Marmeling).

      Letztlich war es die Aussicht, mit dem Fußball Geld zu verdienen und damit die eigene soziale Lage zu verbessern, die dem Amateurprinzip langfristig den Garaus