Название | Ernst Kuzorra |
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Автор произведения | Thomas Bertram |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783730705728 |
Der Historiker Siegfried Gehrmann beruft sich auf das 1936 erschienene Buch vom Deutschen Fußballmeister, wenn er feststellt: „Nach dieser mit letzter Anstrengung erzwungenen Energieleistung [dem 2:1-Siegtreffer] brach der Schalker ohnmächtig zusammen“ (Gehrmann, „Fußballidole“).
Dass Kuzorra nach dem Torschuss ohnmächtig wurde, ist inzwischen fester Bestandteil der Legende und findet sich so auch in Georg Röwekamps Geschichte des FC Schalke 04 Der Mythos lebt: „Und dann erläuft sich Kuzorra, trotz Schmerzen, in der 90. Minute eine Steilvorlage, schießt mit letzter Kraft und bricht ohnmächtig zusammen“ (S. 91). Kuzorra selbst formulierte es später so: In der letzten Minute habe ich eine Steilvorlage erwischt und voll getroffen. Der Ball saß. Keine Rede von Ohnmacht und Zusammenbruch.
Aus einem leicht angeschlagenen Spieler, der wegen einer Verletzung in der Leistengegend bandagiert auflief und in den Schlusssekunden eines kräftezehrenden Spiels mit einer entschlossenen Aktion eine Entscheidung in der regulären Spielzeit erzwingt, ist im Laufe der Jahrzehnte ein mythischer Held geworden, der schier übermenschliche Kräfte entwickelt, sich für seine Mitstreiter aufopfert und im Moment des Sieges der Realität entrückt ist.
Wie sehr die Mannschaft auf Kuzorra angewiesen war, hatten die Gruppenspiele der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft 1933/34 gezeigt, als die Schalker viermal ohne ihren Kapitän an treten mussten. Im März 1934 hatte sich Kuzorra in einem belanglosen Freundschaftsspiel gegen den STV Werne bei einem unglücklichen Fall einen Sehnenriss zwischen Schlüsselbein und Schulterknochen zugezogen.
In der ersten Partie auswärts gegen Werder Bremen sorgte dann „Bulle“ Nattkämper mit fünf Toren quasi im Alleingang für den Schalker 5:2-Sieg. Gegen den zweiten norddeutschen Gegner TV Eimsbüttel in der Dortmunder Kampftahn Rote Erde schossen die Schalker nach einem 1:1 zur Pause erst in der zweiten Halbzeit einen klaren 4:1-Sieg gegen einen Gegner heraus, der „durch den Kreisel müde und matt gehetzt“ (Koch)4 worden war. Als jedoch nach zwei unerwarteten Niederlagen gegen den VfL Benrath (0:1) und im Rückspiel gegen Eimsbüttel (2:3) plötzlich die Halbfi nalteilnahme in Gefahr geriet, kehrte Kuzorra mit geschienter Schulter in die Mannschaft zurück. Ich konnte die Jungens doch nich’ im Stich lassen. Im Rückspiel gegen Bremen in der Glückauf-Kampftahn gab es einen glatten 3:0-Sieg, und im letzten Gruppenspiel wurde der VfL Benrath in Duisburg 2:0 bezwungen. Im Halbfinale setzten sich die Schalker souverän mit 5:2 gegen den SV Waldhof 07 durch, der in Otto Siffling über einen der besten Mittelstürmer seiner Zeit verfügte, weil Szepan den gerade von der Weltmeisterschaft in Italien zurückgekehrten 31-fachen Nationalspieler so genau deckte, dass der ohne Wirkung blieb.
Kuzorras Sehnenriss an der Schulter war ausgeheilt, die Leistenverletzung natürlich nicht. Zur Finalpartie in Berlin trat er ohne Wissen der ihn behandelnden Ärzte an. Der kolportierte körperliche Zusammenbruch in der 90. Minute des Endspiels passt so immerhin perfekt in das Bild eines Kapitäns, der sich für seine Mannschaft um des gemeinsamen Zieles willen aufopfert. Wir waren eben eine echte Mannschaft, deren größte Stärke die Kameradschaft war. Die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung kam in ihrem Bericht über das Finale zu einem ähnlichen Schluss: „Festzustellen ist, daß diese beiden [Kuzorra und sein Flankengeber Kalwitzki] nicht einem harten Spiel, einer robusten Abwehr zum Opfer gefallen sind, dafür war auch in diesem gigantischen Kampf kein Raum; festzustellen ist, daß beide ihre letzte Kraft an den Sieg hingegeben haben.“
Dass Kuzorra nach seinem Siegtreffer nicht auf dem Platz in Ohnmacht fiel, ist die prosaische Wahrheit. Aber dass er hätte in Ohnmacht fallen können, ja, als Mannschaftskapitän geradezu in Ohnmacht fallen musste, um seiner Rolle als Schlüsselspieler, die er schon damals innehatte, gerecht zu werden und die erste Deutsche Meisterschaft der „Knappen“ durch sein „Leiden“ zu veredeln, ist konstitutiv für die Legende von der Aufopferung des Individuums für die Gemeinschaf . Es war die Bedingung dafür, dass Kuzorras Versionen seines Siegtreffers in späteren Jahrzehnten niemals in Zweifel gezogen wurden. Für die historische Wahrheit gab es schlichtweg keine Verwendung mehr, und niemand interessierte sich später dafür, wie es „wirklich“ gewesen war.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Kuzorra’schen Legende schimmert in der Wertung der Gelsenkirchener Allgemeinen Zeitung bereits die von den neuen braunen Machthabern propagierte Idee der „Volksgemeinschaf“ durch, und das martialische Gerede von „Kampf“ und „Sieg“, wiewohl in der Sportberichterstattung der Zeit durchaus gängig, mochte im Kontext des seit mehr als einem Jahr wütenden nationalsozialistischen Terrors bei manchem Beobachter bereits düstere Vorahnungen wecken.
Mehr als 1000 Tore
So legendär Kuzorras Treffer zum 2:1-Sieg im Finale von 1934 bis heute ist, so legendär ist seine Torausbeute insgesamt. In der damaligen taktischen W-Staf- felung des Sturms mit drei vollwertigen Stürmern und zwei versetzt agierenden „Halbstürmern“ dahinter war Kuzorra „offiziell“ auf der Position des linken Halbstürmers gesetzt. Im Grunde war er ein Sturmtank mit untrüglichem Torinstinkt, schuss- und kopftallstark, aggressiv, athletisch und robust im Zweikampf. Ich spielte auch gerne Mittelstürmer, weil es da Tore zu ernten gab, war aber ebenso leidenschaftlich Halbstürmer, weil mir das Spiel mit dem Ball immer Freude bereitete. „Er konnte auf engstem Raum dribbeln und hatte einen Mordsbums“, urteilte Herbert Burdenski, linker Läufer in den Schalker Meistermannschaften 1940 und 1942, über das Spiel seines Kapitäns. Wie viele Tore Kuzorra im Lauf seiner Karriere erzielte? Darüber haben wir damals noch nicht Buch geführt, aber mehr als 1000 waren es ganz bestimmt. Und das mit einer Mannschaft, der es „nicht vornehmlich darum ging, Tore zu schießen, sondern [...] das Publikum zu unterhalten“ (Grüne). Wir haben immer gesagt, der Ball muss laufen. Wenn wir auf den Platz kamen, dann gab es keine Pause. Den Ball durch die eigenen Reihen „kreiseln“ zu lassen, bis sich in der gegnerischen Abwehr eine Lücke auftat, und dabei den Gegner schwindelig zu kombinieren, ihn buchstäblich ins „Kreiseln“ zu bringen, das war die Essenz des legendären „Schalker Kreisels“. Dessen Grundlagen waren in den 1920er-Jahren von den Brüdern Hans und Fred Ballmann gelegt worden, die das kunstvolle Flachpass- und Kombinationsspiel aus England an den Schalker Markt gebracht hatten.
In den vier Spielen der Meisterschaftsendrunde 1934, die Kuzorra bestritt (in den übrigen vier Partien musste er wegen des Sehnenrisses pausieren), erzielte er drei Treffer, darunter einen der wichtigsten seiner Karriere, den zum 2:1-Endstand im Finale. Insgesamt hatte Kuzorra damit seit dem Schalker Gauligaaufstieg 1926 in 89 Spielen in der 1. Ruhrbezirksklasse bis 1934 137 Tore erzielt, dazu kamen 57 Treffer in 59 Endrundenspielen zur Ruhrbezirks-, Westdeutschen und Deutschen Meisterschaft.
Am Ende seiner aktiven Lauftahn 1949 werden es in 475 Pflichtspielen für Schalke 443 Tore gewesen sein, was einer Trefferquote von 0,93 entspricht. Dazu kamen noch 376 nachweisbare Tore in 592 Freundschaftsspielen zwischen 1923 und dem 31. Dezember 1947, bis 1949 dürfte sich die Zahl auf etwa 600 erhöht haben.5 Kuzorra lag mit der Vermutung hinsichtlich seiner Treffsicherheit also keineswegs daneben.
Zum Vergleich: Klaus Fischer wird es Jahrzehnte später in 343 Pflichtspielen für Schalke „nur“ auf 223 Tore bringen (0,65). Fast so gut wie Kuzorra waren seinerzeit nur Adolf „Ala“ Urban (151 Spiele, 121 Tore, 0,80) und Ernst Kal- witzki (245 Spiele, 195 Tore, 0,79). Besser als alle zusammen ist, was die Torquote betriffl, bis heute Ernst Poertgen, der „kaltblütige Anstreicher“. In 101 Spielen für Königsblau erzielte er sagenhafte 104 Tore, was eine Quote von 1,03 ergab. Nimmt man jedoch nur die Gauligaspiele, ist einer allerdings noch besser: Georg Gawliczek. Der brauchte gerade mal vier Partien in der Spielzeit 1944/45, um 16 Tore zu erzielen. Die Quote von 4,0 dürfte Ewigkeitswert haben, ist in der Schalker „Torgeschichte“ jedoch nur eine Fußnote.
Kuzorras Sturmpartner Fritz Szepan brachte es mit 234 Toren in 342 Pflichtspielen „nur“ auf eine Quote von 0,68. Ein Rekord für die Ewigkeit dürften Kuzorras zehn „Buden“ beim 24:0 in einem Spiel gegen Langendreer 04/07 zugunsten der Winterhilfe am 26. November 1933 sein. Am Vortag hatten die Schalker in einem ersten Winterhilfsspiel bereits den SSV Remscheid 07 mit 14:0 abgefertigt. „In 180 Minuten 38 Tore!“, jubelte Turnen und Sport, die Sportbeilage der Gelsenkirchener Allgemeinen Zeitung, anderntags - auch das dürfte ein