Ernst Kuzorra. Thomas Bertram

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Название Ernst Kuzorra
Автор произведения Thomas Bertram
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783730705728



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      Alle Zitate in diesem Buch sind in ihrer Originalfassung wiedergegeben.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufoar.

      Copyright © 2021 Verlag Die Werkstatt GmbH

      Siekerwall 21, 33602 Bielefeld

       www.werkstatt-verlag.de

      Alle Rechte Vorbehalten

      Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen

      ISBN 978-3-7307-0572-8

       Inhaltsverzeichnis

       PROLOG: DER MANN MIT DER ZIGARRE

       VORWORT: DER GRÖSSTE ALLER SCHALKER

       1. DER STOFF, AUS DEM LEGENDEN SIND

       2. ORTSTERMIN: BLUMENSTRASSE 34

       3. GO WEST, YOUNG MAN!

       4. EIN KONFIRMAND SCHIESST TORE

       5. KICKENDE KUMPEL

       6. SIEGE UND NIEDERLAGEN

       7. DIE GOLDENEN JAHRE

       8. FAMILIENBANDE

       9. BRAUNE SCHATTEN

       10. GÖTTERDÄMMERUNG

       11. DER LANGE ABSCHIED

       EPILOG: ABENDLICHT

       ANHANG:

       QUELLEN UND LITERATUR

       DER AUTOR

      PROLOG: DER MANN MIT DER ZIGARRE

       Ein Bier und einen Kurzen trinken und dabei eine Zigarre rauchen.

       Willi Kuzorra, Bruder von Ernst

      Ernst Kuzorra habe ich persönlich nie kennengelernt. Er war Jahrgang 1905, ich bin 49 Jahre später geboren, fast auf den Tag genau vier Jahre, nachdem Kuzorra am 12. November 1950 sein Abschiedsspiel für den FC Schalke 04 absolviert hatte. Aber ich bin Kuzorra oft begegnet - aus der Ferne. Natürlich hat er mich nie gesehen, diesen Knirps, mitten zwischen Tausenden von Schalke-Fans, die alle mindestens einen Kopf größer waren als ich, in der Mehrzahl Hüte trugen und blau-weiße Fahnen schwenkten.

      Ich weiß aber noch genau, wann ich ihn das erste Mal zu Gesicht bekam. Es war der 27. November 1965, ein Samstag. An das Datum erinnere ich mich deshalb, weil mein Vater seine Eintrittskarte aufbewahrte - ich selbst kam damals einfach so ins Stadion - und weil damals sämtliche Spiele der Bundesliga samstags um 15 Uhr 30 angepfiffen wurden. Um 18 Uhr 15 zeigte die ARD-Sportschau Ausschnitte von drei Partien. Dann war der Fußballtag vorbei.

      Wenn ich heute an die Samstage meiner Kindheit denke, fallen mir allerdings weder Schalke noch die Sportschau ein. Stattdessen steigt mir der Geruch von Graupensuppe mit Hackfleischklößchen in die Nase. „Sams- tach is Eintopftach!“, pflegte meine Mutter zu sagen, wenn ich mal wieder lustlos in dem Durcheinander auf meinem Teller herumstocherte. „Haste kein Hunger? Wat anderet gibt et nich!“ Ich sagte nichts und dachte sehnsüchtig an eine Riesenschüssel voll dampfender Spaghetti mit Tomatensoße.

      Doch an diesem Novembersamstag ist alles anders. Zwar rühre ich wie stets missmutig in den gräulichen Graupen herum, aber viel Zeit zum Trödeln bleibt mir heute nicht.

      Wenige Tage zuvor hat meine Mutter mich mit einem blau-weißen Stück Stoff, das mit Reißzwecken an einem abgesägten Besenstil befestigt ist, überrascht. Und mein Vater hat versprochen: Samstag gehen wir „auf Schalke“.

      Ich beeile mich also ausnahmsweise, würge schnell ein paar Löffel hinunter, und schon bin ich weg vom Tisch, ziehe Schuhe und Anorak an und stürze mit der Fahne in der Hand durchs Treppenhaus nach unten auf die Straße, wo mein Vater bereits wartet.

      Es ist halb drei. Und es regnet in Strömen. In einer Stunde ist Anstoß. Bis zur Straßenbahnhaltestelle sind es keine hundert Meter. Wir wohnen in Bulmke, in der Oskarstraße, gegenüber vom „Werk“. Das Werk ist der Schalker Verein, nicht der Fußballklub, sondern ein gigantisches Stahlwerk, dessen flackernde Hochofenfeuer Nacht für Nacht den Himmel über Gelsenkirchen erleuchten.

      Kurz hinter der Grenzstraße steigen wir aus der Bahn und gehen das letzte Stück zu Fuß, mein Vater und ich mit meiner blau-weißen Fahne. Am Schalker Markt angekommen, haben sich uns bereits zahllose „Schlachtenbummler“ angeschlossen, die alle nur ein Ziel haben: die Glückauf-Kampfbahn, jenen magischen Ort, an dem der FC Schalke 04 seine Heimspiele austrägt und den ich bislang nur vom Hörensagen kenne.

      Doch erst einmal heißt es geduldig warten. Denn vor der GlückaufKampfbahn kommt die Glück-auf-Schranke, dort, wo die Gleise der „Con- sol“-Werksbahn die Kurt-Schumacher-Straße kreuzen. Und diese Schranke ist, wenn man Pech hat, geschlossen, denn noch rollen die Kohlenzüge nahezu unaufhörlich in Richtung der Verladehäfen am Rhein-Herne-Kanal.

      Mit dem letzten vorbeiratternden Waggon öffnet sich endlich die Schranke. Ein vielstimmiges Brausen erfüllt die Luft, das langsam anschwillt, als wir uns dem Stadion nähern. Es herrscht ein unentwegtes Drängen und Schieben, untermalt von Geschrei und „Schalke“-Rufen.

      Eine lange Reihe gelber Straßenbahnen markiert den Endpunkt unseres Fußmarsches. Zur Linken erstreckt sich ein von Bäumen gesäumter Vorplatz mit dem Eingangsportal, das an den Portikus eines antiken Tempels erinnert. Zunächst müssen wir durch die Drehkreuze zwischen den „Säulen“, die als Kassenhäuschen fungieren. Ein Stehplatz kostet 2,90 Mark, mich lässt man drei Tage nach meinem elften Geburtstag umsonst ins Stadion.

      Bis zum Anpfiff bleibt noch etwas Zeit. Also bekomme ich eine Bratwurst, mein Vater gönnt sich ein Bier im Pappbecher. Wir erklimmen die Erdwälle, die als Stehplatzränge dienen. Oben angekommen, erhasche ich zum ersten Mal einen Blick auf das grüne Rechteck, das viel kleiner ist, als ich es mir vorgestellt habe. Etwa 20 Meter Luftlinie sind es bis zum Spielfeldrand schräg unter mir, wo auf der Aschenbahn gerade Kolonnen von Rollstuhlfahrern ihre Plätze einnehmen, flankiert von Johanniter-Unfallhelfern, deren rot-weiß-graue Uniformen nicht so recht zum Blau-Weiß aller anderen passen wollen. Ich recke pausenlos den Hals, um nur ja nichts zu verpassen.

      Vor der Haupttribüne wird plötzlich etwas aufgebaut, das wie eine elektronische Orgel auf einer Art Bollerwagen aussieht, und