Название | Ernst Kuzorra |
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Автор произведения | Thomas Bertram |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783730705728 |
Einsätze in der Nationalmannschaft waren seinerzeit, von Turnieren abgesehen, Tagesausflüge.
Das waren noch Zeiten damals. Vorbereitungszeit gab es damals überhaupt noch nicht. Zu jenem Spiel in Köln bin ich beispielsweise am Spieltag morgens um acht Uhr mit dem Zug angereist, am Nachmittag war das Spiel. Ich konnte mich noch gerade bei Reichstrainer Prof. Nerz melden und meine Mannschaftskameraden begrüßen. Das war die ganze Vorbereitung auf mein erstes Länderspiel.
Statt eines Trainingslagers genossen die Nationalspieler eine kleine Auszeit vom Vereinsbetrieb. Sie mögen diese Tage durchaus als etwas Besonderes empfunden haben in Zeiten, in denen Reisen oder Fernurlaub für die meisten Arbeitnehmer kaum vorstellbar waren.
Nationalhymne, Empfang, Spiel mit großer Kulisse! Wer hätte da unbeteiligt bleiben können, erinnerte sich Kuzorra später an das Länderspiel gegen England am 10. Mai 1930 im Deutschen Stadion im Grunewald (Das war ein Spiel, das ich nie vergessen werde). Bilder zeigen ihn im Kreise der Mannschaft beim Bummel durch Berlin, bei einer Bootsfahrt auf der Spree und auf einem vor Schloss Sanssouci in Potsdam geschossenen Gruppenfoto. Es war das erste Mal, dass die deutsche Auswahl gegen die englische A-Mannschaft auflief; bislang hatte man immer nur der B-Elf gegenübergestanden. Die Partie endete sensationell mit einem 3:3-Unentschieden.
Der Dresdner Richard Hofmann erzielte alle drei deutschen Treffer. Weil Hofmann zwei Monate zuvor bei einem Autounfall ein Ohr verloren hatte, spielte er mit einer Kopffinde, was ihm ein skurriles Aussehen verlieh: „Wie eine Bulldogge rast er auf das englische Tor zu“, beschrieb ein Augenzeuge Hofmanns Treffer in der 60. Minute zur zwischenzeitlichen 3:2-Führung der DFB-Elf: „Higgs erkennt die große Gefahr, rennt aus dem Gehäuse heraus, hechtet dem kleinen Sachsen vor die Füße. Doch der Dresdner reagiert kalt. Blitzschnell hat er das Leder mit dem rechten Fuß herumgezogen. Hart knallt der Ball ins leere Tor.“ England stand am Rande einer Niederlage, erst sieben Minuten vor Schluss gelang David Jack der Ausgleich, mit dem die Engländer ihren Ruf der Unbesiegbarkeit wahrten.
Länderspieleinsätze waren erhebende Momente und bedeuteten Ablenkung von einem Alltag, der selbst für Stars wie Kuzorra oder Szepan, die als Amateure neben dem Fußball weiter in „normalen“ Berufen arbeiteten, in denen sie allerdings Privilegien (Freistellungen fürs Training, leichtere Arbeiten) genossen, und auch, wie etwa Szepan, von sozialen Grenzerfahrungen wie Arbeitslosigkeit nicht verschont blieben, Lichtjahre vom alltagsentrückten Leben mancher hochdotierter Profifußballer der heutigen Zeit entfernt war.
Immerhin zahlte der DFB den Spielern Tagesspesen und lud nach dem Spiel zum Bankett. Drei Mark erhielten wir pro Tag, und das Bankett war kostenlos. Abends ging es wieder nach Hause. Mit den drei Mark meinte Kuzorra offenbar die Summe, die der DFB den Spielern bisweilen zusätzlich zur reinen Unkostenvergütung zahlte: Beim Olympischen Fußballturnier 1928 in Amsterdam etwa kam der Verband nicht nur für Reise, Unterkunft und Verpflegung der Spieler auf, sondern zahlte jedem auch ein „Taschengeld“ von fünf Gulden. Was die Spesen betraf, so spendierte der DFB seinen Spielern bereits 1908 anlässlich des ersten offiziellen Länderspiels einer deutschen Fußballnationalmannschaft am 5. April 1908 in Basel gegen die Schweiz (3:5) neben der Fahrkarte 20 Reichsmark für drei Tage Unterkunft und Verpflegung.
In seinen zwölf Länderspielen - allesamt Freundschaftsbegegnungen - schoss Kuzorra sieben Tore, das erste am 23. September 1928 beim 2:0 gegen Norwegen im Osloer Ullevaal-Stadion, das letzte am 27. September 1936 beim 7:2 gegen Luxemburg in Krefeld. Beim 5:0-Sieg gegen die Schweiz am 4. Mai 1930 in Zürich netzte er dreimal ein. Mit einer Quote von 0,58 liegt er in der ewigen Torjägerbilanz der DFB-Auswahl zwischen Rudi Völler (47 Tore in 90 Spielen, 0,52) und Uwe Seeler (43 - 72 - 0,60) und noch vor DFB-Torschützenkönig Miroslav Klose, der zwar mehr als zehn Mal so viele Treffer erzielte (71), dafür aber 137 Spiele benötigte und somit „nur“ auf eine Quote von 0,52 kam. Auch in der Nationalmannschaft wurde Kuzorra seinem Ruf als Goalgetter gerecht.
Wahrheit und Legende
„Wenn die Wahrheit über die Legende herauskommt, drucken wir trotzdem die Legende.“ Mit diesen Worten zerreißt der Reporter des Shinbone Star in John Fords Westernklassiker Der Mann, der Liberty Valance erschoss seine Notizen. Gerade hat ihm US-Senator Ransom Stoddard in einem Interview gestanden, dass gar nicht er es war, der vor Jahren den berüchtigten Gesetzlosen Liberty Valance in einem Duell tötete und damit den Grundstein für seine politische Karriere legte, sondern ein gewisser Tom Doniphon, zu dessen Beerdigung der Senator noch einmal an den Ort der damaligen Geschehnisse zurückgekehrt ist. Am Ende erweist sich die Legende als stärker als die Wahrheit. Während die Wahrheit mitunter brutal und unbequem ist, verklärt die Legende, taucht Ereignisse und Personen in ein mildes Licht und verleiht allem einen nostalgischen Glanz, der hinüberstrahlt in die Gegenwart.
Ernst Kuzorra hat mit seinem Siegtreffer zum 2:1 im Meisterschaftsfinale 1934 Schalker Fußballgeschichte geschrieben. An Geschichte im Sinne einer wie auch immer gearteten historischen Wahrheit ist auch Jahrzehnte später jedoch kaum jemand wirklich interessiert. Das Schalke der „goldenen Ära“ ist zum Mythos geworden, an dem niemand kratzen möchte. Kein Spieler verkörpert diesen Mythos so perfekt wie der Kapitän der Meistermannschaften von 1934, 1935, 1937, 1939, 1940 und 1942. Mit seiner Version der Schlussminuten des Meisterschaftsfinales 1934 wurde er schon zu Lebzeiten zur Legende, die er später mit seiner Sicht der Konfrontation mit Reichstrainer Otto Nerz festigte. Dass Filmaufnahmen die Erzählung von der unmittelbar dem siegbringenden Torschuss folgenden Ohnmacht widerlegen und Kuzorras Nichtberücksichtigung für die Nationalelf andere Gründe gehabt haben mag als einen vermeintlich entbotenen Schwäbischen Gruß, ändert nichts daran, dass auch im Falle Kuzorras die Legende über die Wahrheit triumphiert. Weil „die Legende Wahrheit geworden ist“ und die wahre Geschichte keine Bedeutung mehr hat.
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3 https://www.youtube.com/watch?v=_GesogZQFME, zuletzt aufgerufen am 16. November 2017.
4 Autorennamen in Klammern verweisen auf die vollständigen bibliografi schen Angaben im Quellen- und Literaturverzeichnis.
5 Diese Informationen verdanke ich Thomas Görge. Gespräch am 30. November 2017.
6 Vom fränkischen „Bumbes“ für Furz, aus dem in Westfalen durch Lautverschiebung „Bumbas“ wurde. „Kleiner Bumbes“ wurde Schmidt als Schüler von seinen älteren Mitspielern gerufen.
7 Die beiden betrieben seit 1927 gemeinsam ein Tabakwarengeschäft Der Verein hatte Kuzorra als Anschubfinanzierung ein Darlehen in Höhe von 2000 Mark vermittelt. Als Szepan 1933 eine Gaststätte am Schalker Markt übernahm, führte Kuzorra den Laden allein weiter.
8 Die Angaben in der Literatur zum Tag der Wahl sind widersprüchlich. Röwekamp (Der Mythos lebt, S. 77) und Grüne (Glaube - Liebe - Schalke, S. 56) nennen den 7. September, Goch/Silberbach (Zwischen Blau und weiß liegt Grau, S. 61) und Holz (Der blau-weisse Kreisel, S. 60) den 7. November. Da acht Mitglieder des alten Vorstands durch das WSV-Urteil vom 25. August aus dem Verband ausgeschlossen worden waren, ist unwahrscheinlich, dass man mit der Neuwahl eines provisorischen Vorstands länger als zwei Monate wartete, schließlich musste der Verein angesichts seiner misslichen Lage unbedingt handlungsfähig bleiben.
2. ORTSTERMIN: BLUMENSTRASSE 34
Wo liegt denn dieses Gelsenkirchen? - Bei Schalke. - Und wo liegt Schalke? - Anne Grenzstraße, Majestät!
Angeblicher Dialog zwischen Schwedens König Gustav V. und Ernst Kuzorra während einer Skandinavienreise der deutschen Nationalmannschaft 1928
Es ist eine unscheinbare schmale Straße, an der achtlos vorbeifährt, wer nicht weiß, dass ganz in der Nähe vor mehr als einhundert Jahren ein wichtiges Kapitel