Das Passagen-Werk. Walter Benjamin

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Название Das Passagen-Werk
Автор произведения Walter Benjamin
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788026829706



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– z. B. Aktien der Caisse-Mirès –, die in der Hoffnung auf »künftige Wiederauferstehung nach täglichen Chancen« von der »petite pègre« der Börse verkauft werden. Julius Rodenberg: Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht Berlin 1867 p 102/103 [C 2 a, 1]

      Konservative Tendenz des pariser Lebens: noch im Jahr 1867 faßt ein Unternehmer den Plan, fünfhundert Sänften in Paris zirkulieren zu lassen. [C 2 a, 2]

      Zur mythologischen Topographie von Paris: welchen Charakter die Tore ihm geben. Wichtig ist ihre Zweiheit: Grenzpforten und Triumphtore. Geheimnis des ins Innere der Stadt einbezogenen Grenzsteins, der ehemals den Ort markierte, wo sie zu Ende war. – Auf der andern Seite der Triumphbogen, der heute zur Rettungsinsel geworden ist. Aus dem Erfahrungskreise der Schwelle hat das Tor sich entwickelt, das den verwandelt, der unter seiner Wölbung hindurchschreitet. Das römische Siegestor macht aus dem heimkehrenden Feldherrn den Triumphator. (Widersinn der Reliefs an der inneren Torwandung? ein klassizistisches Mißverständnis?) [C 2 a, 3]

      Die Galerie, die zu den Müttern führt, ist aus Holz. Holz tritt auch bei den gewaltigen Umwandlungen im Bilde der Großstadt transitorisch immer wieder auf, baut mitten in den modernen Verkehr in hölzernen Bauzäunen, hölzernen Planken, die über die aufgerissenen Substruktionen gelegt sind, das Bild ihrer dörflichen Urzeit. □ Eisen □ [C 2 a, 4]

      »Es ist der finster beginnende Traum von den Nordstraßen der Großstadt, nicht nur Paris vielleicht auch Berlin und das nur flüchtig gekannte London, finster beginnend, regenlose Dämmerung und doch Feuchtheit. Die Straße verengert sich, die Häuser rücken rechts und links näher, es wird schließlich eine Passage mit trüben Scheibenwänden, ein Glasgang, rechts und links: sind es garstige Weinstuben mit lauernden Kellnerinnen in schwarz und weißen Seidenblusen? es riecht nach vergossenem Kratzer. Oder sind es bunthelle Bordellflure? Wie ich aber weiterkomme, sind es zu beiden Seiten sommergrüne kleine Türen und ländliche Fensterläden, volets, und sitzen da nicht gutalte Weiblein und spinnen und hinter den Fenstern bei den etwas steifen Blumenstöcken wie in Bauerngärten und doch in holdem Zimmer helle Jungfern und es singt: ›Eins spinnt Seide …‹« Franz Hessel: Manuscript vgl, Strindberg: Die Drangsale des Lotsen [C 2 a, 5]

      Vor dem Eingang ein Briefkasten: letzte Gelegenheit, der Welt, die man verläßt, ein Zeichen zu geben. [C 2 a, 6]

      Unterirdische Spazierbesichtigung der Kanalisation. Beliebter parcours: Châtelet-Madeleine. [C 2 a, 7]

      »Les ruines de l’Eglise et de la Noblesse, celles de la Féodalité, du Moyen-Age, sont sublimes et frappent aujourd’hui d’admiration les vainqueurs étonnés, ébahis; mais celles de la Bourgeoisie seront un ignoble détritus de carton-pierre, de plâtres, de coloriages.« Le diable à Paris Paris 1845 II p 18 (Balzac: Ce qui disparait de Paris) □ Sammler □ [C 2 a, 8]

      … dies alles sind die Passagen in unsern Augen. Und nichts von alledem sind sie gewesen. »Car c’est aujourd’hui seulement que la pioche les menace, qu’ils sont effectivement devenus les sanctuaires d’un culte de l’éphémère, qu’ils sont devenus le paysage fantomatique des plaisirs et des professions maudites, incompréhensibles hier et que demain ne connaîtra jamais.« Louis Aragon: Le paysan de Paris Paris 1926 p 19 □ Sammler □ [C 2 a, 9]

      Plötzliche Vergangenheit einer Stadt: Erleuchtete Fenster vor Weihnachten leuchten als brennten sie noch von 1880 her. [C 2 a, 10]

      Der Traum – das ist die Erde, in der die Funde gemacht werden, die von der Urgeschichte des 19ten Jahrhunderts Zeugnis ablegen. □ Traum □ [C 2 a, 11]

      Motive für den Untergang der Passagen: Verbreiterte Trottoirs, elektrisches Licht, Verbot für Prostituierte, Kultur der Freiluft. [C 2 a, 12]

      Die Wiedergeburt des archaischen Dramas der Griechen auf den Bretterbuden der foire. Der Polizeipräfekt gestattet auf diesen Bühnen nur Dialoge. »Ce troisième personnage est muet, de par M. le Préfet de Police, qui ne permet que le dialogue aux théâtres dits forains.« Gérard de Nerval: Le cabaret dé la Mère Saguet. Paris 〈1927〉 p 259/260 (Le boulevard du Temple Autrefois et aujourd’hui) [C 3, 1]

      Vor dem Eingang der Passage ein Briefkasten: eine letzte Gelegenheit, der Welt, die man verläßt, ein Zeichen zu geben. [C 3, 2]

      Die Stadt ist nur scheinbar gleichförmig. Sogar ihr Name nimmt verschiedenen Klang in den verschiedenen Teilen an. Nirgends, es sei denn in Träumen, ist noch ursprünglicher das Phänomen der Grenze zu erfahren als in Städten. Sie kennen heißt jene Linien, die längs der Eisenbahnüberführungen, quer durch Häuser, innerhalb des Parks, am Ufer des Flusses entlang als Grenzscheiden verlaufen, wissen; heißt diese Grenzen wie auch die Enklaven der verschiednen Gebiete kennen. Als Schwelle zieht die Grenze über Straßen; ein neuer Rayon fängt an wie ein Schritt ins Leere; als sei man auf eine tiefe Stufe getreten, die man nicht sah. [C 3, 3]

      Vorm Eingang der Passage, der Eisbahn, des Bierlokals, des Tennisplatzes: Penaten. Die Henne, die goldene Pralinéeier legt, der Automat, der unsern Namen stanzt und jener andere, der uns wiegt – das moderne γνωϑι σεαυτον – Glücksspielapparate, die mechanische Wahrsagerin hüten die Schwelle. Sie finden sich, bemerkenswerterweise, so stetig weder im Innern noch eigentlich im Freien. Sie beschirmen und bezeichnen die Übergänge und die Reise geht Sonntagnachmittags nicht nur ins Grüne, sondern auch zu diesen geheimnisvollen Penaten. □ Traumhaus □ Liebe □ [C 3, 4]

      Der despotische Schrecken der Klingel, der über der Wohnung waltet, hat seine Kraft ebenfalls aus dem Zauber der Schwelle. Gellend schickt etwas sich an, die Schwelle zu überschreiten. Aber seltsam wie dies Klingeln wehmütig, glockenhaft wird, wenn es den Abschied ansagt, wie es im Kaiserpanorama mit der leisen Erschütterung des weichenden Bildes einsetzt und das nächste verkündet. □ Traumhaus □ Liebe □ [C 3, 5]

      Diese Tore – die Eingänge der Passagen – sind Schwellen. Keine steinerne Stufe markiert sie. Aber das tut die wartende Haltung der wenigen Personen. Sparsam abgemessene Schritte spiegeln, ohne daß sie selbst davon wissen, es ab, daß man vor einem Entschluß steht. □ Traumhaus □ Liebe □ [C 3, 6]

      Cours dés miracles neben dem aus »Notre-Dame de Paris« berühmten an der passage du Caire. »On trouve au Marais, dans la rue des Tournelles, le passage et la cour des Miracles; il y avait encore d’autres cours des miracles dans les rues Saint-Denis, du Bac, de Neuilly, des Coquilles, de la Jussienne, Saint-Nicaise et la butte Saint-Roch.« Labedollière: Histoire du nouveau Paris Paris p 31 [Die Stelle nach der diese Hofe benannt wurden Jesaias XXVI, 4/5 und XXVII] [C 3, 7]

      Mit Beziehung auf Haussmanns Erfolge auf dem Gebiet der Wasserversorgung und der Drainage von Paris: »Les poètes pourraient dire qu’Haussmann fut mieux inspiré par les divinités d’en bas que par les dieux supérieurs.« Dubech-D’Espezel: Histoire de Paris Paris 1926 p 418 [C 3, 8]

      Métro. »On a donné à la plupart des stations des noms absurdes, dont le pire semble appartenir à celle qui, à l’angle des rues Bréguet et Saint-Sabin, a fini par réunir dans l’abréviation ›Bréguet-Sabin‹ le nom d’un horloger et le nom d’un saint.« Dubech-D’Espezel: l c p 463 [C 3, 9]

      Holz ein archaisches Element im Straßenbild: hölzerne Barrikaden. [C 3, 10]

      Juniinsurrektion. »Die meisten Gefangenen wurden nach den Steinbrüchen und unterirdischen Gängen gebracht, welche sich unter den Forts von Paris befinden und die so weitläufig sind, daß die halbe Bevölkerung von Paris in denselben Platz hätte. Die Kälte in diesen unterirdischen Gallerien ist so groß, daß Viele blos durch fortwährendes Rennen oder durch Bewegung der Arme sich die Lebenswärme erhalten konnten und Niemand es wagte, sich auf die kalten Steine niederzulegen … Die Gefangenen gaben allen Gängen Namen von Pariser Straßen, und gaben sich gegenseitig ihre Adressen, wenn sie sich begegneten.« Engländer lc 〈Geschichte der französischen Arbeiter-Associationen Hamburg 1864〉 II p 314/15 [C 3 a, 1]

      »Die Pariser Steingruben hängen alle unter einander zusammen … Man hat an mehreren Stellen Pfeiler stehen gelassen, damit die Decke nicht einstürze. An anderen hat man Mauern untergelegt. Diese Mauern bilden lange Gänge unter der Erde, wie enge Straßen. An mehreren sind an