Название | Das Passagen-Werk |
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Автор произведения | Walter Benjamin |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026829706 |
Moden sind ein Medikament, das die verhängnisvollen Wirkungen des Vergessens, im kollektiven Maßstab, kompensieren soll. Je kurzlebiger eine Zeit, desto mehr ist sie an der Mode ausgerichtet, vgl. K 2 a, 3 [B 9 a, 1]
Focillon über die fantasmagorie de la mode: »le plus souvent … elle crée … des hybrides, elle impose à l’être humain le profil de la bête … La mode invente ainsi une humanité artificielle qui n’est pas le décor passif du milieu formel, mais ce milieu même. Cette humanité tour à tour héraldique, théâtrale, féerique, architecturale, a … pour règle … la poétique de l’ornement, et ce qu’elle appelle ligne … n’est peut-être qu’un subtil compromis entre un certain canon physiologique … et la fantaisie des figures.« Henri Focillon: Vie des formes Paris 1934 p 41 [B 9 a, 2]
Es gibt schwerlich ein Kleidungsstück, das so divergierenden erotischen Tendenzen Ausdruck geben kann und soviel Freiheit sie zu verkleiden hat wie 〈der〉 weibliche Hut. So strikt die Bedeutung der männlichen Kopfbedeckung in ihrer Sphäre – der politischen – an einige wenige starre Modelle gebunden war, so unabsehbar sind die Abschattierungen der erotischen Bedeutung am Frauenhut. Es sind nicht sowohl die verschiednen Möglichkeiten, symbolisch die Geschlechtsorgane zu umspielen, die hier am meisten interessieren können. Überraschender kann der Aufschluß sein, der etwa vom Kleid aus dem Hute werden kann. H〈elen〉 Grund hat die geistvolle Vermutung geäußert, die Schute, die gleichzeitig mit der Krinoline ist, stelle eigentlich eine Gebrauchsanweisung der letzteren für den Mann dar. Die breiten Ränder der Schute sind aufgeklappt – derart andeutend, wie die Krinoline aufgeklappt werden muß, um dem Mann die geschlechtliche Annäherung an die Frau leicht zu machen. [B 10, 1]
Die horizontale Körperhaltung hatte für die Weibchen der Gattung des homo sapiens, denkt man an deren älteste Exemplare, die größten Vorteile. Sie erleichterte ihnen die Schwangerschaft, wie man das schon aus den Gürteln und Bandagen ersehen kann, zu denen die schwangern Frauen heute zu greifen pflegen. Davon ausgehend ließe sich vielleicht die Frage wagen, ob der aufrechte Gang im allgemeinen bei den Männchen nicht früher als bei den Weibchen auftrat? Dann wäre das Weibchen zu Zeiten der vierfüßige Begleiter des Manns gewesen wie es heute Hund oder Katze ist. Ja es ist von dieser Vorstellung aus möglicherweise nur ein Schritt zu der weitern, die frontale Begegnung der beiden Partner beim Begattungsakt sei ursprünglich gleichsam eine Art Perversion gewesen, und vielleicht sei es nicht zum wenigsten diese Verirrung gewesen, durch die das Weibchen im aufrechten Gang angelernt worden sei. (vgl. Note in 〈dem〉 Aufsatz »Eduard Fuchs der Sammler und 〈der〉 Historiker〈«〉) [B 10, 2]
»Es würde … Interesse haben, nachzuforschen, welche weiteren Nachwirkungen diese Bestimmung zur aufrechten Stellung auf den Bau und die Verrichtungen des übrigen Körpers ausübt. Wir sind nicht in Zweifel darüber, daß ein enger Zusammenhang alle Einzelheiten der organischen Structur umfaßt, aber nach dem gegenwärtigen Zustande unserer Wissenschaft müssen wir doch behaupten, daß die außerordentlichen Einflüsse, welche man in diesem Betracht dem Aufrechtstehen zuschreibt, nicht vollkommen beweisbar sind … Für den Bau und die Function der inneren Organe läßt sich keine bedeutende Rückwirkung nachweisen, und die Annahmen Herders, alle Kräfte würden in aufrechter Stellung anders wirken, das Blut anders die Nerven reizen, entbehren, wenn sie sich auf erhebliche und für die Lebensweise nachweisbar wichtige Unterschiede beziehen sollen, jeder Begründung.« Hermann Lotze: Mikrokosmos Zweiter Band Lpz 1858 p 90 [B 10 a, 1]
Eine Stelle aus einem kosmetischen Prospekt, die für die Mode des second empire kennzeichnend ist. Der Fabrikant empfiehlt »un cosmétique … au moyen duquel les dames peuvent, si elles le désirent, donner à leur teint le reflet du taffetas rose.« cit Ludwig Börne: Gesammelte Schriften Hamburg Frankfurt a/M 1862 III p 282 (Die Industrie-Ausstellung im Louvre) [B 10 a, 2]
Antikisches Paris, Katakomben, demolitions, Untergang von Paris
»Facilis descensus Averno.«
»Ici même les automobiles ont l’air d’être anciennes.«
Wie die Gitter – als Allegorien – sich in der Hölle ansiedeln. In der Passage Vivienne Portalskulpturen, Allegorien des Handel darstellend. [C 1, 1]
In einer Passage ist der Surrealismus geboren worden. Und unterm Protektorat welcher Musen! [C 1, 2]
Der Vater des Surrealismus war Dada, seine Mutter war eine Passage. Dada war, als er ihre Bekanntschaft machte, schon alt. Ende 1919 verlegten Aragon und Breton aus Abneigung gegen Montparnasse und Montmartre ihre Zusammenkünfte mit Freunden in ein Café der Passage de l’Opéra. Der Durchbruch des Boulevard Haussmann hat ihr ein Ende gemacht. Louis Aragon hat über sie 135 Seiten geschrieben, in deren Quersumme sich die Neunzahl der Musen versteckt hält, die den kleinen Surrealismus mit ihren Geschenken begabt haben. Sie heißen: Luna, die Gräfin Geschwitz, Kate Greenaway, Mors, Cléo de Mérode, Dulcinea, Libido, Baby Cadum und Friederike Kempner. (statt Gräfin Geschwitz: Tipse?) [C 1, 3]
Caissière als Danae [C 1, 4]
Pausanias schrieb seine Topographie von Griechenland 200 n. Chr. als die Kultstätten und viele der anderen Monumente zu verfallen begannen. [C 1, 5]
Es gibt weniges in der Geschichte der Menschheit, wovon wir soviel wissen wie von der Geschichte der Stadt Paris. Tausende und zehntausende von Bänden sind einzig der Erforschung dieses winzigen Fleckens Erde gewidmet. Die echten Führer durch die Altertümer der alten Lutetia Parisorum kommen schon aus dem 16ten Jahrhundert. Der Katalog der kaiserlichen Bibliothek, der unter Napoleon III in Druck ging, enthält fast hundert Seiten unter dem Stichwort Paris und auch diese Sammlung ist bei weitem nicht vollständig. Viele der Hauptstraßen haben ihre Sonderliteratur und über Tausende der unscheinbarsten Häuser besitzen wir schriftliche Nachsicht. Mit einem schönen Worte nannte Hofmannsthal 〈diese Stadt〉 »eine Landschaft aus lauter Leben gebaut«. Und in der attraction, die sie über Menschen ausübt, wirkt eine Art von Schönheit wie sie großer Landschaft eignet – genauer gesagt: der vulkanischen. Paris ist in der sozialen Ordnung ein Gegenbild von dem, was in der geographischen der Vesuv ist. Ein drohendes, gefährliches Massiv, ein immer tätiger Herd der Revolution. Wie aber die Abhänge des Vesuv dank der sie deckenden Lavaschichten zu paradiesischen Fruchtgärten wurden, so blühen auf der Lava der Revolutionen die Kunst, das festliche Leben, die Mode wie nirgend sonst. ■ Mode ■ [C 1, 6]
Balzac hat die mythische Verfassung seiner Welt durch deren bestimmte topographische Umrisse gesichert. Paris ist der Boden seiner Mythologie – Paris mit seinen zwei, drei großen Bankiers (Nucingen, du Tillet), Paris mit seinem großen Arzte Horace Bianchon, mit seinem Unternehmer César Birotteau, mit seinen vier oder fünf großen Kokotten, mit seinem Wucherer Gobseck, seinen paar Advokaten und Militärs. Vor allen Dingen aber sind es immer wieder dieselben Straßen und Winkel, Gelasse und Ecken, aus denen die Figuren dieses Kreises ans Licht treten. Was heißt das anderes als daß die Topographie der Aufriß dieses, wie jedes, mythischen Traditionsraums ist, ja der Schlüssel derselben werden kann, wie sie es dem Pausanias für Griechenland wurde, wie die Geschichte und Lage der pariser Passagen für dies Jahrhundert Unterwelt, in das Paris versank, es werden soll. [C 1, 7]
Die Stadt zehnfach und hundertfach topographisch zu erbauen aus ihren Passagen und ihren Toren, ihren Friedhöfen und Bordellen, ihren Bahnhöfen und ihren … genau wie sich früher durch ihre Kirchen und ihre Märkte bestimmte. Und die geheimeren, tiefer gelagerten Stadtfiguren: Morde und Rebellionen, die blutigen