Das Passagen-Werk. Walter Benjamin

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Название Das Passagen-Werk
Автор произведения Walter Benjamin
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788026829706



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angenehm frisch Geköpftes, was so recht zum Charakter des Blasirten stimmt.« Dazu kommt die heftige Reaktion gegen das Violett. Vischer: Vernünftige Gedanken über die jetzige Mode p 112 [B 2 a, 6]

      Zur Reaktion von 1850/60: »Farbe bekennen gilt für lächerlich, straff sein für kindisch; wie sollte da die Tracht nicht auch farblos, schlaff und eng zugleich werden?« Vischer 117 So bringt er die Krinoline auch in Verbindung mit dem erstarkten »Imperialismus, der sich breit und hohl ausspannt wie dieses sein Bild, der als letzter und stärkster Ausdruck der Zurückschwellung aller Tendenzen des Jahres 1848 seine Macht wie eine Glocke über Gutes und Schlimmes, Berechtigtes und Unberechtigtes der Revolution gestürzt hat.« p 119 [B 2 a, 7]

      »Im Grund sind diese Dinge eben frei und unfrei zugleich. Es ist ein Helldunkel, worin Nöthigung und Humor sich durchdringen … Je phantastischer eine Form, desto stärker geht neben dem gebundenen Willen das klare und ironische Bewußtsein her. Und dieses Bewußtsein verbürgt uns, daß die Thorheit nicht dauern werde; je mehr es wächst, desto näher ist die Zeit, wo es wirkt, zur That wird, die Fessel abwirft.« Vischer p 122/123 [B 2 a, 8]

      Eine der wichtigsten Stellen zur Beleuchtung der exzentrischen, revolutionären und surrealistischen Möglichkeiten der Mode, vor allem auch eine Stelle die eben damit den Zusammenhang des Surrealismus mit Grandville etc herstellt, ist das Kapitel Mode in Apollinaires Poète assassiné Paris 1927 p 74 ff [B 2 a, 9]

      Wie die Mode allen folgt: Für Gesellschaftskleider kamen Programme auf wie für die neueste Symphoniemusik. 1901 stellte Victor Prouvé in Paris eine große Toilette aus mit dem Titel: Flußufer im Frühling. [B 2 a, 10]

      Cachet der damaligen Mode: einen Körper anzudeuten, der überhaupt niemals völlige Nacktheit kennen lernt. [B 3, 1]

      »Erst um 1890 findet man, daß die Seide nicht mehr für das Straßenkleid das vornehmste Material ist, und weist ihr dafür eine bis dahin unbekannte Bedeutung als Futterstoff zu. Die Kleidung von 1870 bis 1890 ist außerordentlich kostbar, und die Änderungen der Mode beschränken sich daher vielfach sehr vorsichtig auf Änderungen, denen die Absicht innewohnt, durch Umarbeitung des alten Kleides gewissermaßen ein neues Kleid zu gewinnen.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 71 [B 3, 2]

      »1873 … wo die riesigen über die auf das Gesäß aufgebundenen Kissen sich spannenden Röcke mit ihren gerafften Gardinen, plissierten Rüschen, Besätzen und Bändern weniger aus der Werkstatt eines Schneiders als eines Tapeziers zu stammen scheinen.« J. W. Samson: Die Frauenmode der Gegenwart Berlin und Köln 1927 p 8/9 [B 3, 3]

      Keine Art von Verewigung so erschütternd wie die des Ephemeren und der modischen Formen, die die Wachsfigurenkabinette uns aufsparen. Und wer sie einmal sah, der muß wie André Breton sein Herz an die Frauengestalt im Musée Grévin verlieren, die im Winkel einer Loge ihr Strumpfband richtet. (Nadja (Paris 1928) p 199) [B 3, 4]

      »Die Blumen-Garnierungen aus großen weißen Lilien oder Wasserrosen mit den langen Schilfgraszweigen, welche sich so graziös in jedem Haarputz zeigen, erinnern unwillkürlich an zarte, leicht schwebende Sylphiden und Najaden – so wie sich die feurige Brunette nicht reizender schmücken kann, als mit den, zu anmuthigen Zweigen gewundenen Früchten: Kirschen, Johannisbeeren, ja Weintrauben mit Epheu und Grasblüthe vereint; oder: mit den langen Fuchsien aus brennend rotem Sammet, deren roth geäderte, wie vom Thau angehauchte Blätter sich zu einer Krone bilden; auch steht ihr der schönste Cactus Speciosus, mit langen weißen Federstaubfäden zu Gebote; überhaupt sind die Blumen zu den Haargarnierungen sehr groß gewählt – wir sahen eine solche aus weißen Cantifolien (Unica) malerisch schön mit großen Stiefmütterchen und Epheuzweigen, oder vielmehr Ästen, zusammengeflochten, denn es zeigte sich daran wirklich so täuschend das knorrige, rankige Geäst als hätte sich die Natur selbst hineingemischt – lange Knospenzweige und Halme wiegten sich an den Seiten bei der leisesten Berührung.« Der Bazar Dritter Jahrgang Berlin 1857 p 11 (Veronika von G.: Die Mode) [B 3, 5]

      Der Eindruck des Altmodischen kann nur entstehen, wo auf gewisse Art an das Aktuellste gerührt wird. Wenn in den Passagen Anfänge der modernsten Baukunst liegen, so hat ihre altmodische Wirkung auf den heutigen Menschen genau soviel zu sagen wie das Antiquiert-Wirken des Vaters auf seinen Sohn. [B 3, 6]

      Ich formulierte, »daß das Ewige jedenfalls eher eine Rüsche am Kleid ist, als eine Idee«. □ Dialektisches Bild □ [B 3, 7]

      Im Fetischismus legt der Sexus die Schranken zwischen organischer und anorganischer Welt nieder. Kleidung und Schmuck stehen mit ihm im Bunde. Er ist im Toten wie im Fleisch zuhause. Auch weist das letztere selber ihm den Weg, im ersten sich einzurichten. Die Haare sind ein Konfinium, welches zwischen den beiden Reichen des Sexus gelegen ist. Ein anderes erschließt sich ihm im Taumel der Leidenschaft: die Landschaften des Leibs. Sie sind schon nicht mehr belebt, doch immer noch dem Auge zugänglich, das freilich je weiter desto mehr dem Tastsinn oder dem Geruch die Führung durch diese Todesreiche überläßt. Im Traum aber schwellen dann nicht selten Brüste, die wie die Erde ganz mit Wald und Felsen bekleidet sind und die Blicke haben ihr Leben in den Grund von Wasserspiegeln versenkt, die in Tälern schlummern. Diese Landschaften durchziehen Wege, die den Sexus in die Welt des Anorganischen geleiten. Die Mode selbst ist nur ein anderes Medium, das ihn noch tiefer in die Stoffwelt lockt. [B 3, 8]

      »Cette année, dit Tristouse, la mode est bizarre et familière, elle est simple et pleine de fantaisie. Toutes les matières des différents règnes de la nature peuvent maintenant entrer dans la composition d’un costume de femme. J’ai vu une robe charmante, faite de bouchons de liège … Un grand couturier médite de lancer les costumes tailleur en dos de vieux livres, reliés en veau … Les arêtes de poisson se portent beaucoup sur les chapeaux. On voit souvent de délicieuses jeunes filles habillées en pèlerines de Saint-Jacques de Compostelle; leur costume, comme il sied, est constellé de coquilles Saint-Jacques. La porcelaine, le grès et la faïence ont brusquement apparu dans l’art vestimentaire … Les plumes décorent maintenant non seulement les chapeaux, mais les souliers, les gants, et l’an prochain on en mettra sur les ombrelles. On fait des souliers en verre de Venise et des chapeaux en cristal de Baccarat … J’oubliais de vous dire que, mercredi dernier, j’ai vu sur les boulevards une rombière vêtue de petits miroirs appliqués et collés sur un tissu. Au soleil, l’effet était somptueux. On eût dit une mine d’or en promenade. Plus tard il se mit à pleuvoir, et la dame ressembla à une mine d’argent … La mode devient pratique et ne méprise plus rien, elle ennoblit tout. Elle fait pour les matières ce que les romantiques firent pour les mots.« Guillaume Apollinaire: Le poète assassiné Nouvelle édition Paris 1927 p 75-77 [B 3 a, 1]

      Ein Karikaturist stellt – um 1867 – das Gerüst der Krinoline als einen Käfig dar, in dem ein junges Mädchen Hühner und einen Papagei gefangen hält. S. Louis Sonolet: La vie parisienne sous le second empire Paris 1929 p 245 [B 3 a, 2]

      »Les bains de mer … donnèrent le premier coup à la solennelle et encombrante crinoline.« Louis Sonolet: La vie parisienne sous le second empire Paris 1929 p 247 [B 3 a, 3]

      »Die Mode besteht ja nur aus Extremen. Da sie von Natur aus die Extreme sucht, bleibt ihr nichts übrig, als sich beim Aufgeben einer bestimmten Form genau dem Gegenteil zu überliefern.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 51 Ihre äußersten Extreme: die Frivolität und der Tod [B 3 a, 4]

      »Wir hielten die Krinoline für das Symbol des zweiten Kaiserreichs in Frankreich, seiner aufgeblasenen Lüge, seiner windigen und protzigen Frechheit. Es stürzte … aber … die Pariser Welt hatte just vor dem Sturze des Kaiserreichs noch Zeit, in der weiblichen Mode eine andere Seite ihrer Stimmung hervorzukehren, und die Republik war sich nicht zu gut, sie aufzunehmen und zu behalten.« F. Th. Vischer: Mode und Cynismus Stuttgart 1879 p 6 Die neue Mode, auf die Vischer anspielt, erklärt er: »Das Kleid wird quer über den Leib geschnitten und spannt über … den Bauch«, (p 6) Später nennt er die Frauen, die sich so tragen »in Kleidern nackt«, (p 8) [B 3 a, 5]

      Friedell erklärt mit Bezug auf die Frau, »daß die Geschichte ihrer Kleidung überraschend geringere Variationen aufweist und nicht viel mehr ist als ein Turnus einiger viel rascher wechselnder, aber auch viel häufiger wiederkehrender Nuancen: der Länge der Schleppe, der Höhe der Frisur, der Kürze der Ärmel, der Bauschung