Название | Das Passagen-Werk |
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Автор произведения | Walter Benjamin |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026829706 |
Bei der Kalkulation der Warenhäuser dürfte anfänglich der Gewinn an Zeit eine Rolle gespielt haben, den sie durch den Fortfall des Handelns dem Detailgeschäft gegenüber hatten. [A 12, 2]
Ein Kapitel »Shawls, Cachemirs« in Börnes »Industrie-Ausstellung im Louvre«. Ludwig Börne: Gesammelte Schriften Hamburg Frankfurt a/M 1862 III p 260 [A 12, 3]
Die Physiognomie der Passage taucht bei Baudelaire in einem Satz zu Beginn des Joueur généreux auf: »Il me parut singulier que j’eusse pu passer si souvent à côté de ce prestigieux repaire sans en deviner l’entrée.« 〈Baudelaire: Œuvres Texte établi et annoté par Y.-G. Le Dantec Paris 1931〉 I p 456 [A 12, 4]
Spezifica des Warenhauses: die Kunden fühlen sich als Masse; sie werden mit dem Warenlager konfrontiert; sie übersehen alle Stockwerke mit einem Blick; sie zahlen feste Preise; sie können »Umtauschen«. [A 12, 5]
»In denjenigen Theilen der Stadt, wo die Theater, die öffentlichen Spaziergänge … liegen, wo daher die meisten Fremden wohnen und sich umhertreiben, gibt es fast kein Haus ohne Laden. Es kommt auf eine Minute, auf einen Schritt an, die Anziehungskräfte spielen zu lassen; denn eine Minute später, einen Schritt weiter steht der Vorübergehende vor einem andern Laden … Die Augen werden Einem wie gewaltsam entführt, man muß hinaufsehen und stehen bleiben, bis der Blick zurückkehrt. Der Name des Kaufmanns und seiner Waare steht zehnmal neben, unter einander auf den Thüren, über den Fenstern auf Schildern geschrieben, die Außenseite des Gewölbes sieht aus wie das Schreibbuch eines Schulknäbchens, das die wenigen Worte der Vorschrift immerfort wiederholt. Die Zeuge werden nicht in Mustern, sondern in ganzen aufgerollten Stücken vor Thüre und Fenster gehängt. Manchmal sind sie hoch am dritten Stocke befestigt, und reichen nach allerlei Verschlingungen bis zum Pflaster herab. Der Schuhmacher hat die Außenseite seines ganzen Hauses mit Schuhen aller Farben bemalt, welche bataillonsweise zusammen stehen. Das Zeichen der Schlosser ist ein sechs Fuß hoher vergoldeter Schlüssel; die Riesenpforten des Himmels brauchten keinen größern. An den Läden der Strumpfhändler sind vier Ellen hohe, weiße Strümpfe gemalt, vor welchen man sich im Dunkeln entsetzt, man glaubt, weiße Gespenster strichen vorüber … Auf eine edlere und anmuthigere Weise wird aber Fuß und Auge durch die Gemälde gefesselt, welche vor vielen Kaufläden ausgehängt sind … Diese Gemälde sind nicht selten wahre Kunstwerke, und wenn sie in der Gallerie des Louvre’s hingen, würden Kenner, wenn auch nicht mit Bewunderung, doch mit Vergnügen vor ihnen stehen bleiben … Am Hause eines Perrückenmachers [hängt] ein Bild, das zwar schlecht gemalt ist, aber eine drollige Vorstellung enthält. Der Kronprinz Absalon hängt mit den Haaren am Baume, und wird von einer feindlichen Lanze durchbohrt. Darunter die Verse: ›Contemplez d’Absalon le déplorable sort, | S’il eût porté perruque, il évitait la mort.‹ Ein anderes … Bild, ein Rosenmädchen vorstellend, das knieend aus den Händen eines Ritters den Kranz empfängt, schmückt die Ladenthüre einer Putzmacherin.« Ludwig Börne: Schilderungen aus Paris (1822 und 1823) VI Die Läden. (Sämtl〈iche〉 W〈erke; recte: Gesammelte Schriften〉) Hamb〈urg〉 Frankfurt a/M 1862 III p 46-49 [A 12 a]
Zu Baudelaires »ivresse religieuse des grandes villes«: die Warenhäuser sind die diesem Rausch geweihten Tempel. [A 13]
Mode
»Mode: Herr Tod, Herr Tod!«
»Rien ne meurt, tout se transforme.«
Und Langeweile ist das Gitterwerk, vor dem die Kurtisane den Tod neckt ■ Ennui ■ [B 1, 1]
Ähnlichkeit der Passagen mit den gedeckten Hallen, in denen man Radeln lernte. In diesen Hallen nahm das Weib seine verführerischste Gestalt an: als Radlerin. So steht sie auf den damaligen Plakaten. Chéret der Maler dieser Frauenschönheit. Das Kostüm der Radlerin als frühe und unbewußte Vorform der Sportkleidung entspricht den traumgestalten Vorformen, wie sie, ein wenig früher oder später, für die Fabrik oder das Auto aufkamen. Wie die ersten Fabrikbauten sich an die überkommene Form des Wohnhauses klammern, die ersten Automobilkarosserien Karossen nachbilden, so ringt in der Kleidung der Radlerin der sportliche Ausdruck noch mit dem überkommenen Idealbild der Eleganz, und der Ertrag dieses Ringens ist der verbissene, sadistische Einschlag, der es für die Männerwelt dieser Jahre so unvergleichlich provokatorisch machte. ■ Traumhäuser ■ [B 1, 2]
»In diesen Jahren [um 1880] beginnt ja nicht nur die Renaissancemode Unfug zu treiben, sondern auf der anderen Seite setzt eine neue Freude der Frau am Sport ein, vor allem am Reitsport, und beides beeinflußt die Mode von ganz verschiedenen Richtungen her. Es wirkt originell, wenn auch nicht immer schön, wie so die Jahre von 1882 bis 1885 zwischen den Empfindungen zu vermitteln suchen, von denen die weibliche Seele hin und her gerissen wird. Man sucht sich zu helfen, indem man die Taille möglichst anliegend und schlicht, den Rock dafür aber umsomehr Rokoko gestaltet.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 84-87 [B 1, 3]
Hier hat die Mode den dialektischen Umschlageplatz zwischen Weib und Ware – zwischen Lust und Leiche – eröffnet. Ihr langer flegelhafter Kommis, der Tod, mißt das Jahrhundert nach der Elle, macht wegen der Ersparnis selbst den Mannequin und leitet eigenhändig den Ausverkauf, der auf französisch »révolution« heißt. Denn nie war Mode anderes als die Parodie der bunten Leiche, Provokation des Todes durch das Weib und zwischen geller memorierter Lache bitter geflüsterte Zwiesprach mit der Verwesung. Das ist Mode. Darum wechselt sie so geschwinde; kitzelt den Tod und ist schon wieder eine andere, neue, wenn er nach ihr sich umsieht, um sie zu schlagen. Sie ist ihm hundert Jahre lang nichts schuldig geblieben. Nun endlich ist sie im Begriff, das Feld zu räumen. Er aber stiftet an die Ufer einer neuen Lethe, die den Asphaltstrom durch Passagen rollt, die Armatur der Huren als Trophäe. □ Revolution □ Liebe □ [B 1, 4]
»Plätze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,
wo die Modistin, Madame Lamort,
die ruhlosen Wege der Erde, endlose Bänder,
schlingt und windet und neue aus ihnen
Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Früchte –«
R. M. Rilke: Duineser Elegien Lpz 1923 p 23 [B 1, 5]
»Rien n’est tout à fait à sa place, mais c’est la mode qui fixe la place de tout.« L’esprit d’Alphonse Karr Paris 1877 p 129 »Si une femme de goût, en se déshabillant le soir, se trouvait faite en réalité comme elle a fait semblant d’être toute la journée, j’aime à croire, qu’on la trouverait le lendemain matin submergée et noyée dans ses larmes.« Alphonse Karr cit bei F. Th. Vischer: Mode und Zynismus Stuttgart 1879 p 106/107 [B 1, 6]
Bei Karr findet sich eine rationalistische Theorie der Mode, die denkbar nahe der rationalistischen Theorie vom Ursprung der Religionen verwandt ist. Den Anstoß zur Entstehung langer Röcke denkt er sich so, daß gewisse Frauen Interesse daran gehabt hätten, einen häßlichen 〈Fuß〉 zu verbergen. Oder er denunziert als Ursprung gewisser Hutformen und Frisuren den Wunsch, einen spärlichen Haarwuchs zu beschönigen. [B 1, 7]
Wer weiß denn heute noch, wo im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts Frauen ihre verführerischste Gestalt, das intimste Versprechen ihrer Figur an den Mann brachten? In den gedeckten, asphaltierten Hallen, in denen man radeln lernte. Als Radlerin macht sie der Chansonette auf den affichen die Herrschaft streitig u〈nd〉 gibt der Mode ihre gewagteste Linie an. [B 1, 8]
Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen. Es ist ja bekannt, daß die Kunst vielfach, in Bildern etwa, der wahrnehmbaren Wirklichkeit um Jahre vorausgreift. Man hat Straßen oder Säle sehen können, die in allen farbigen Feuern strahlten lange ehe die Technik durch Lichtreklamen und andere Veranstaltungen sie unter ein solches Licht setzte. Auch