Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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wollen tatsächlich ausziehen?“, Emmi krähte fast, und die Taube schaute ganz verdutzt bei den bekannten Tönen.

      „Na sicher doch. O Entschuldigung, natürlich nur, falls die Damen nichts dagegen haben!“

      „Nein, nein, um Himmels willen, so hab’ ich das ja gar nicht gemeint. Es ist nur ....“ Emmi schwieg verwirrt. Wie konnte sie das Kuddelmuddel ihrer Gedanken so schnell ordnen. Wie in wenigen Worten erklären, was ihr da so wirr durch den Kopf spukte. Vierzig Jahre waren doch kein Pappenstiel, vielleicht sogar mehr als das halbe Leben. Die ersten Jahre des Aufbaus. Das Austauschen der Kindersachen, weil man sich keine neuen leisten konnte, Mehl und Eier ausleihen und die Rückgabe vergessen, Babys über den Zaun reichen, wenn ein Arzttermin anstand, Fußbälle aus geknickten Tulpen fischen, die Woitzack’schen Bengel davon abhalten, in die Erdbeeren zu pinkeln, Fritze verpflegen, wenn seine Frau Besuch empfing oder die Männer gemeinsam von der Straße lesen, wenn sie in einem Anfall trunkenen Weltschmerzes auf dem Bordstein schluchzten. Großer Gott, trotz allem gab es doch Gemeinsamkeiten. Sogar Hermann! Und dann diese himmlische Ruhe, als die Männer endlich alle auf dem Friedhof waren. Die Hoffnungen auf eine friedvolle Zukunft. Und nun zog die rote Lola holterdipolter aus. Einfach so. Und – ach du liebes Lieschen, daran hatte sie ja noch gar nicht gedacht - wenn die Lola auszog, wer um Himmels willen zog dann ein? Eine Familie mit fünf lärmenden Kindern? Schon wieder ein trunksüchtiger Ehemann, der nachts grölte oder seine Frau verdrosch? Zigeuner? Verbrecher? Vielleicht sogar ein schwules Pärchen, das Hand in Hand im Garten saß?

      Emmi fühlte sich plötzlich sehr schwach auf den Beinen.

      „Na, was? Was meinen Sie denn?“, fragte die rote Lola angriffslustig. „Dass ich auf immer und ewig Witwe bleiben sollte? Zum Andenken an meinen lieben Fritze? Ich bitte Sie, Frau Nichterlein. Unter uns Pastorentöchtern - der Mistkerl liegt doch nun schon seit ich weiß nicht wie vielen Jahren unter der Erde, und wenn es eine himmlische Gerechtigkeit gibt, dann schmort er auf alle Ewigkeit im Fegefeuer. Gottchen - allein der Gedanke daran lässt mich fast gläubig werden. Na jedenfalls zwickt es den Fritze bestimmt nicht mehr zwischen den Beinen, wenn Sie wissen was ich meine. Aber ich? Ich bin eine Frau Anfang Fünfzig und habe durchaus noch gewisse Bedürfnisse, ohne deutlicher werden zu wollen. Sie und die Frau Taube, in Ihrem Alter ist es ja nur verständlich, wenn Sie keine hormonellen Anwandlungen mehr haben. Aber ich in meinen jungen Jahren? Na ja, jedem das seine, wenn Sie mich fragen.“

      Anfang fünfzig? Emmi schnitt eine Grimasse. Fünfundsechzig entsprach wohl eher der Wahrheit. Was für eine unverschämte Frauensperson!

      „Na, nu, mal langsam mit die jungen Stuten“, beschwichtigte die Taube in wiedererlangter Zungenfertigkeit. „Da spricht doch auch nichts dagegen, wenn Sie‘s denn immer noch nötig haben. Mein Jochen, die Zigeuners sollen ebenfalls in der Hölle schmoren, also mein Jochen, der hat ja immer gesagt, Ilsekind, genug is’ genug, und nur die Hefe treibt’s ewig. Aber nichts für ungut, Frau Woitschack. Also sagen Sie mal, das is’ doch nich’ der pangschonierte Schlosser, der wo Sie letzten Monat an den Busen gegrapscht hat? Gottchen, was haben Sie aber auch losgebölkt. Dem Sauerbach die Frau, die wo im Osten gewohnt hat und bei Kriegsende von den Roten na Sie wissen schon was wurde, also die Perdita, die is’ ja wie ’n Floh vom Terrassenstuhl gehüpft und hat gequiekt: Erwin, die Russens kommen!“

      Das war zu viel. Erst Marianne, dann der Schock wegen des Auszuges und nun auch noch Perditas Russen. Emmi prustete hysterisch los, die beiden Nachbarinnen sahen sie einen Lidschlag lang verdutzt an, dann durchbrach ein brüllendes Gelächter die nachmittägliche Stille.

      „Das ... das ... das ist ...“, japste Emmi und hielt sich die Seiten. „Au ... au ...!“ Tränen rannen ihr die Wangen hinunter, die rote Lola schlug sich auf die massigen Oberschenkel, warf den Kopf in den Nacken und bellte in heiserem Alt die Sonne an, und Ilse Taube entblätterte kreischend den Liguster. „Erwin, die Russens kommen!“, krähte sie ein ums andere Mal, und jedes Krähen fachte das unbändige Gelächter von neuem an.

      Der Birkenpfuhl begann sich zu regen, Fenster klappten, Finger lupften Gardinen an, in Rosenstocks Garten begann Dackel Dreizehn zu jaulen, und der kleine Anskar Blum rannte mit offenem Hosenschlitz aus dem Haus und stürmte mit erwartungsfrohem Gesicht die Sackgasse hinunter.

      „Meine Damen, bitte nicht – o Gott, nun hören Sie ...“

      „Die Russens kommen!“

      „Bitte, meine Damen ... huuuuuu... nun hören Sie doch endlich ... uuuuuuuuuuuh ... nicht ... da drüben am Fenster“, die rote Lola krümmte und wandt sich wie ein Regenwurm im Vogelschnabel und fuchtelte mit dem ausgestreckten Arm in der Luft herum.

      „Die Russens kommen!“

      Emmi kauerte mittlerweile kraftlos am Boden und stützte sich mit beiden Händen in der Petersilie ab. Die Spannung war raus, und ihr tränenverschleierter Blick folgte dem Zeigefinger der roten Lola zum hinteren Reihenhaus, während sich noch letzte Quietscher und Kickser durch ihre zusammengebissenen Zähne pressten.

      Ach du große Neune, die Lehmann’sche. Ein rotfleckiges, verschwollenes Gesicht unter einer zerrauften grauen Dauerwelle, das sich vorwurfsvoll und verständnislos von einer Seite zur anderen bewegte. Und für einen kurzen Moment glaubte Emmi sogar hinter der Lehmann’schen Mariannes blasses rundes Gesicht mit den schielenden Dackelaugen zu sehen, dass sie in unaussprechlicher Traurigkeit anstarrte. Das Lachen blieb ihr in der Kehle stecken, und sie blickte peinlich berührt zu den Nachbarinnen.

      Doch die rote Lola fummelte an ihren Sandaletten herum, die rot gefärbten Haare als schützendem Schleier vor dem Gesicht, und die olle Taube tauchte gerade hinter der Ligusterhecke im eigenen Garten ab. Emmi begann auf allen Vieren durchs Gemüsebeet zu krabbeln und rupfte wahllos an Petersilie und Schnittlauch. Erst als das Gesicht der Lehmann’schen aus dem quadratischen Fensterrahmen verschwand und die Gardine mit einem Ruck zugezogen wurde, richteten sich die Frauen langsam wieder auf, doch jede vermied es tunlichst, der anderen ins Gesicht zu sehen.

      Ein Momentchen schnauften und hechelten sie noch wortlos vor sich hin, dann setzte die rote Lola das Gespräch übergangslos an eben der Stelle fort, an der es durch ihren Ausbruch unkontrollierbarer Heiterkeit so abrupt unterbrochen worden war: „Nein, meine Damen, da können Sie ganz beruhigt sein. So ein Schlosser, der kann unsereins doch nicht das Leben bieten, das man sich als gestandene Frau verdient hat. Na ja, vielleicht ... Sie wissen schon was ich meine, aber diese Busengrapscherei in aller Öffentlichkeit“, ihre Stimme kickste gefährlich, aber sie behielt Fassung, „nein, das ist etwas für Proleten und nichts für unsereins. Man weiß doch schließlich, was man sich schuldig ist. Mein Zukünftiger ist ein Studierter, ein Professor Doktor Doktor, ein ganz Schlauer. Er kommt aus Göttingen und grapscht auch nicht. Der hat Bildung und Benimm, und auf unserer Hochzeitsreise, da fliegen wir in die Karibik und wohnen in den Vier-Jahreszeiten. Mit so einem, da kann man sich ja nicht blamieren!“

      Sieh an, ein Professor! dachte Emmi. Und aus Göttingen. Dann müsste ihn doch eigentlich Christina kennen. Oder es war ein längst Pensionierter, vielleicht sogar ein Professor Doktor Doktor Alzheimer wie auf dem Cartoon an ihrer Korkwand, der nicht einmal mehr wusste, wozu dieses seltsame Ding zwischen seinen Beinen baumelte. Es gluckste in ihrer Kehle, und sie stopfte sich hastig das abgerissene Sträußchen Petersilienschnittlauch in den Mund.

      „Liebe Frau Woitschack“, mümmelte sie zuckersüß. „Dasch isch ja fabelhaft. Ein Proffeschor ...tschuldigung.“ Sie schluckte. „Ein Professor aus Göttingen! Meinen herzlichen Glückwunsch. Äh ... wie heißen Sie denn dann nach der Hochzeit?“

      Noch heute Abend rief sie das Mädchen an und fragte nach dem Namen dieses Professors.

      „Woitzack“, antwortete die rote Lola kurz angebunden und lächelte spöttisch. „Ich behalte nämlich meinen Namen!“

      Emmi biss sich enttäuscht auf die Lippe. „Und was hat er unterrich ...“

      Die olle Taube war schneller. „Siiiieeee“, intonierte sie ausdrucksvoll, „das is’ auch das Beste so. Der Thomas, der wo mein Ältester is’, der sagt, Mutsch, sagt er, wenn du noch mal heiraten tust, dann lass dich bloß nich’ von so ’nem Ollen belatschern,