Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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      „Wann ziehen Sie denn nun aus?“

      „Morgen!“

      „Morgen schon?“

      „Glauben Sie wirklich Frau Nichterlein, ich bliebe auch nur einen Tag länger in dieser ... dieser Gegend? Ich meine“, fügte sie hastig hinzu, als sich die Blicke der Nachbarinnen unheilvoll verdüsterten, „heutzutage, da geht’s ja schon, aber früher, mein Gott, eine richtige Asozialenecke war das doch hier. Können Sie sich noch an die Kuhnerts erinnern? Wie oft musste nachts die Grüne Minna kommen, um die beiden ältesten Söhne abzuholen? Selbst tagsüber traute man sich als treu sorgende Mutter ja kaum, die Kinder auf die Straße zu lassen, so ein Pack lief hier herum. O nein, meine Damen, die Erinnerung allein reicht mir. Ich bin froh, wenn ich endlich von hier wegkomme!“ endete sie mit einer weitausholenden Geste, welche die gesamte Siedlung einschließlich der beiden Nachbarinnen einschloss.

      Treusorgende Mutter! Das ich nicht lache, dachte Emmi gehässig, kleine Miststücke hast du sie immer genannt, deine Eigenen. Und gehätschelt hast du doch nur unsere Kinder. Julia und Christina und sogar den dicken Helmut vom alten Brunner.

      „Meine Güte, Frau Woitschak, das is‘ nu doch schon lange vorbei. Sehen Sie mal, jetze wo die Kinder aus ’m Haus und die Männer unter die Erde sind, da haben wir’s doch richtig schnuckelig hier. Für mein Geschmack is‘ es ja fast schon ‘n büschen zu still, aber wer’s mag? Warum zieht denn ihr Neuer nich’ bei Sie ein, wo Sie doch das schöne große Eckhaus haben?“

      „Um Himmels willen, liebe Frau Taube, wie denken Sie sich denn das?“, fragte die rote Lola in ehrlicher Entrüstung. „Ein Professor Doktor Doktor und diese Bruchbude?“

      „Mein Gott, der muss doch nun auch schon pangschoniert sein, und so billich kriegt der so was nich’ wieder in die Stadt. Wie alt is‘ er denn nu eigentlich?“

      „Erwachsen!“, erwiderte die rote Lola spitz. „Und außerdem besitzt mein Zukünftiger in Göttingen eine eigene Villa. Sogar mit Swimmingpool. Und wenn es Ihre Neugierde befriedigt: mein Dickerch... mein Horstchen hat Geld wie Heu!“

      „Siieee, das heißt man noch gar nichts. Der Kiesling, Sie wissen schon, der Dicke aus der Kastanienallee, also dem seine Jüngste ihr Heribert, das is’ ja man auch so ’n Schnieker mit seinem roten Porsche und der dicken Brieftasche, und was hat sie nu davon? Zuhause tut sie sitzen, und der ihr Oller amüsiert sich mit die Flittchens im Bordell! Nee, nee, das können Sie mich nich’ verklickern tun, das sie mit so einem besser dran sind, als mit ’nem pangschonierten Maurer.“

      „Na Sie müssen’s ja wissen. Ihr Jochen konnte seine Hosentaschen umdrehen wie er wollte, dem fiel doch nie ein Fünfer heraus!“

      Die olle Taube wühlte sich wütend in die Ligusterhecke. „Das brauch’ ich mich von Sie nich’ gefallen zu lassen, Sie... Sie unverschämte Person, Sie. Mein Jochen, das war man ’n nobler Mensch, auch wenn er jetzte bei die Zigeuners liegt, und was der in seiner Hosen drinnen hatte, das können Sie man gar nich‘ wissen, Sie!“

      Die rote Lola schwieg und lächelte maliziös.

      Emmi hielt die Luft an. Die Kehle kitzelte. Wie oft wohl mochte Fritze Woitzack bei der Taube das verstopfte Klo freigedümpelt, den Toaster oder Thomas’ Fahrrad repariert haben, während sich Jochen im Eckhaus an die Lola kuschelte? Meine Güte, die ganze Siedlung wusste doch, was los war, wenn Fritze Woitzack und sein Werkzeugkoffer durch den Birkenpfuhl zogen, mit wissendem Wehmut in den kleinen Äuglein und seiner schniefender Papageiennase.

      „Wer zieht denn nun ein in das Haus?“, fragte sie schnell, bevor die schnaubende Taube unwiderruflich eine Heckenschneise zu ihrem Garten schuf mit ihren hektisch rotierenden Armen. Das hätte gerade noch gefehlt.

      Die rote Lola blickte sie ganz pfiffig an, tippte sich jedoch nur stumm und hintergründig mit dem Zeigefinger an die Nasenspitze.

      „Meine Güte, wenn’s denn ein Geheimnis ist, bitte sehr, nichts liegt mehr ferner als aufdringliche Neugier, aber schließlich möchte man doch auch wissen, wer als nächstes in ihrem Haus so penetrant stöhnt!“, entfuhr es Emmi beleidigt. Was beabsichtigte diese Zicke eigentlich mit ihrer Geheimniskrämerei? Sollten sie ihr Geld für die Information bieten, oder eine Messerklinge zwischen die Zähne schieben?

      Lola Woitzack erblasste, und ihre grünen Augen funkelten wie die einer mordlustige Löwin, wozu ihre wirre rote Haarmähne nur allzu gut passte. Aber anstatt sich über den trennenden Zaun hinweg auf sie zu stürzen, wie Emmi tatsächlich einen Moment lang befürchtete, verschränkte sie lediglich die Arme über der Brust, verzog spöttisch die Lippen und versteinerte zur Sphinx. Verspielt, meine Liebe, war in ihrem Gesicht zu lesen, von mir erfährst du nicht einmal mehr, welchen Wochentag wir heute haben.

      „Sie“, quäkte die olle Taube und kämpfte verdrossen mit den sperrigen Ästen der Hecke, die sie nicht wieder losgeben wollten. Die Neugier schien ihre Wut besiegt zu haben. „Das kommt mich aber gar nich’ koscher vor mit dieser Geheimniskrämerei. Man will doch nu schließlich wissen, was für ’n Pack da einzieht. Mein Jochen, der Himmlische hab’ ihn selig, der sagte doch immer zu mich: Ilsekind, sag mich, wer deine Nachbarn sind, und ich sage dich, wer du bist!“

      Um aller Heiligen willen, dachte Emmi entsetzt. Nur das nicht!

      „Meine Güte, nun quäken Sie doch nicht so laut. Soll denn die ganze Siedlung unser Gespräch mitkriegen?“ Die Sphinx zuckte unwillig mit den verschränkten Armen und bekam wieder Farbe ins Gesicht.

      „Warum denn nich’ Sie?“, quäkte die Taube ungeniert weiter. „Die Leute sollen man ruhig erfahren, dass ...“

      „Nun halten Sie doch endlich Ihren Mund!“ Lolas Stimme sank zu einem ärgerlichen Flüstern herab. „Ich erzähl’s Ihnen ja, obgleich Sie das sicherlich nicht der unverschämten Bemerkung von dieser ... dieser Person da zu verdanken haben.“ Sie zeigte abgewandten Gesichtes auf Emmi. „Und Sie schwören mir gefälligst beim Grab Ihres heiligen Jochen, dass sie das nicht von mir haben! Also?“ Die Taube schwor feierlichst, die großen, grauen Augen funkelnd vor Neugierde, und bekreuzigte sich sogar, obgleich sie keineswegs katholisch war. Emmi stand stumm inmitten der Petersilie, während die beiden in den Gärten rechts und links von ihr quasi über ihren Kopf hinweg verhandelten, und fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes übergangen.

      Die rote Lola begann ihre Enthüllungen mit einer langen dramatischen Pause, die sie dazu nutzte, sich geradezu auffällig unauffällig in alle Richtungen umzusehen und besonders misstrauisch den duftenden Sommerflieder neben ihrem Schuppen beäugte. „Die Neuen sind Verwandte von Sauerbachs“, hauchte sie dann beinahe unhörbar über den Nichterlein’schen Garten in Richtung Taubesches Ohr.

      „Verwandte von Sauerbachs?“ Das Flüstern der Taube ließ unbarmherzig die Vögel verstummen, und Lola Woitzack zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. „Und erfahren soll’s auch noch keiner nich’? Ja sagen Sie mal, wieso tun die denn so komisch?“

      „Um Himmels willen, pst, Frau Taube, psssst, Sie schreien ja die ganze Straße zusammen“, jammerte die rote Lola. „Genau weiß ich ja auch nicht, was dahintersteckt, aber ich hab’ so etwas läuten hören. Die vier, Sauerbachs und die Neuen – der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, wer da mit wem verwandt sein soll – also man munkelt, die vier hätten gemeinsam im Lotto gewonnen. Und ich sag Ihnen – im Vertrauen natürlich nur und nicht vergessen, von mir haben Sie diese Informationen nicht – mit drei oder vier Richtigen haben die sich mit Sicherheit nicht begnügt. Millionen, Frau Taube, Millioooonen!“

      Die olle Taube sah dann auch dem Anlass entsprechend beeindruckt aus, und nickte unablässig.

      „Und dann ziehen die ausgerechnet hierher?“

      Die rote Lola ignorierte Emmis Einwand und nickte bedeutsam zur nickenden Taube hinüber.

      „Und die wollen nu wirklich in Ihr Eckhaus einziehen?“, wiederholte die olle Taube mit eigenen Worten.

      „Soll so sein. Aber das ist ja nicht alles.“ Das Gewisper zwang Emmi aus der Petersilie in die Forsythien,