Killerwitwen. Charlie Meyer

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Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



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Und auf Erden blieb alles wie es war. Hermann in seinem Sarg, die Badewanne im Keller und das Leben ein unverständliches Jammertal. Nur die rote Lola zog aus; und schändlicherweise konnte Emmi sich nicht einmal darüber freuen. Dabei war sie bis zu Hermanns schmählichem Tod der festen Überzeugung gewesen, jedem Möbelpacker, der mithalf, Lola Woitzack aus der Siedlung zu entfernen, auf Ewiglich die Füße küssen zu müssen. Und nun? Nun wünschte sie, die Nachbarin möge bleiben und den augenblicklichen Zustand des gegenseitigen leisen Belächelns und des gehässigen Tuschelns hinter dem Rücken der anderen aufrechterhalten.

      „Man sollte sie wirklich auf den Mond schießen“, murmelte sie resigniert. Und in Gedanken sah sie die Lola mit ihren rot gefärbten Haaren am Hals des Mondmannes hängen, während sich Jochen Taube, Hermann und der wehmütig wissende Fritze mit der triefenden Papageiennase nächtlings auf dem Friedhof an den skelettierten Fingern packten, knochenklappernd einen Ringelreihen um die Grabsteine tanzten und eifersüchtig zu ihr hochschielten, mit tröpfelndem Geifer aus lippenlos grinsenden Gebissen.

      Sie schnaufte empört.

      Lachhaft, mit welcher Vehemenz die olle Taube nach all den Jahren immer noch für ihren Mann die Treuefahne hochhielt. Konnte es tatsächlich sein, dass sie bis heute an Jochens Tugendhaftigkeit glaubte und den Wald vor lauter Bäumen nicht sah? Ausgerechnet sie, die Gerüchteköchin und das Schandmaul vom Pfuhl, dieselbe Frau, die bei Lolas erstem Fehltritt mit Hermann den Nachbarn informative Zettelchen in die Briefkästen schmuggelte. Nicht, dass sie ihren Friedrich-Wilhelm daruntersetzte, aber ein Brief, der mit Sie, ich wollte Sie nur mitteilen ... begann, legte zumindest die Vermutung nahe, das Geschreibsel könnte aus Ilse Taubes Feder stammen.

      Nein, so blind wie die olle Taube sich gab, fristete nicht einmal ein Grottenmolch sein Leben, auch wenn die Männer damals natürlich auf Teufel komm raus logen und sich gegenseitig bei ihren Eckhaustechtelmechteln den Rücken freihielten. Vor allem Hermann entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem Geschichtenausdenker ersten Ranges, was Jochen Taube, der sie Emmi weitererzählen musste, mitunter arg ins Schwitzen brachte.

      „Hermann?“, fragte Jochen gewöhnlich, als höre er den Namen zum ersten Mal. „Oh, den Hermann meinen Sie. Ihren Hermann! - Äh ... ach ja, natürlich, der traf in der Stadt einen alten Kriegskameraden. Vor nicht einmal einer halben Stunde. Einen aus Rommels Afrikakorps. Ich glaub’ sogar diesen einen, der ihm vor El Alamein das Leben rettete, als sein Kamel im Sandsturm ....“ Und so weiter, und so weiter. Nur Jochen Taubes begrenzte Aufnahmefähigkeit derartiger Schnörkel und sein miserables Gedächtnis setzten Hermanns Fantasie Grenzen. Und nachdem Jochen Hermanns Alibi mühsam zu Ende gebracht hatte, klingelte er verabredungsgemäß bei Woitzacks und schleppte den melancholischen Fritze auf ein paar Biere in die Dicke Wirtin, damit der irgendwo hinter einer Mülltonne hockende Hermann freies Schussfeld hatte. Jochen selbst verließ sich mangels Kreativität einfach auf sein impulsives Temperament. Wozu gab es schließlich das streitbare Weib an seiner Seite? Er brüllte sie an - vielleicht wegen eines knittrigen Hemdkragens oder einer sauer blickenden Dosensardine - sie krähte empört zurück, er knallte ihr eine, sie heulte, und Jochen verließ, das eckige Kinn glattrasiert und bläulich vorgereckt, mit nichts Geringerem als gerechtem Zorn im Herzen und in einer Wolke duftenden Rasierwassers den heimatlichen Herd und klagte der erwartungsvoll hingestreckten Lola sein häusliches Leid.

      „Jochen?“, pflegte Hermann höflich erstaunt zu fragen, wenn die Taube schniefend in der Haustür stand. „Der hat sich wohl geärgert und hockt am Tresen. Also, wenn Sie mich fragen, ist das auch kein Wunder. Aber nichts für ungut. Fritze und ich ziehen gleich mal los und passen auf, dass er nicht völlig versackt.“ Und die Taube schniefte Dankbarkeit.

      Wie viele Birkenpfuhlerinnen mochten in den alten Zeiten wohl davon geträumt haben, der roten Lola bei einer Mondfinsternis aufzulauern. Mit was auch immer in den Händen. Vielleicht sogar mit Nadel, Zwirn und ein paar anatomischen Kenntnissen. Was die Frauen in all den Jahren wirklich erboste, war nicht die Tatsache des Fremdgehens an sich, das taten andere Ehemänner auch, aber Lolas Unvermögen, sich mit einem Mann zu begnügen und ihr Ehrgeiz, alle haben zu wollen - und auch alle zu bekommen - verschaffte den Zahnärzten der Umgebung ungewöhnlichen Zulauf und einen profitablen Absatz zahnschonender Plastikübergebisse.

      Hatte nicht Lübke in irgendeiner seiner Reden im Deutschlandfunk so hoffnungsfroh prophezeit, der soziale Wohnungsbau werde dem Elend kinderreicher Familien endlich ein Ende setzen? Wenn ja, dann irrte er jedoch in Bezug auf den Birkenpfuhl. Dank der roten Lola begann das Elend dort erst richtig, zumindest für die betrogenen Ehefrauen, die mit bösen Gesichtern in ihren Küchen herumfuhrwerkten und anklagend Deckel auf Kochtöpfe knallten. Nur nichtsahnende Zaungäste lächelten erfreut über die schwanenweiß getünchten Reihenhäuser mit ihren drolligen kleinen Dachluken und den niedlichen Vorgärten, in denen Stiefmütterchen und Tulpen wuchsen, über Kinder mit heißen Wangen und aufgeschürften Knien, die auf der Straße Völkerball spielten, und über Männer in angegrauten Unterhemden, die so offensichtlich mit sich und der Welt zufrieden auf den Terrassen in geselliger Runde ihren Feierabend genossen und mit markigen Ausdrücken den Schaum vom Bier pusteten. Wie idyllisch!

      Das Brodeln hinter der Idylle nahmen sie nicht wahr. Eifersucht und Hass schlichen um die Häuser des Birkenpfuhls - und auch des angrenzenden Buchenhains, denn der Einzugsbereich der roten Lola weitete sich von Jahr zu Jahr aus - und mit ihnen, in einer Wolke kindlichen Terrors, schlichen die vier kleinen Woitzack’schen Rotschöpfe, Lolas eifersüchtige Sprösslinge. Sie hatten sich in ihrem Bandendasein bereits frühzeitig auf das tote und lebende Haushaltsinventar der Liebhaber ihrer Mutter spezialisiert. Vielleicht wussten sie in kindlicher Weisheit, dass es den Männer, die gerade erst in glücklicher Erschöpfung aus dem Woitzack’schen Hause schlichen, schwerfiel, hinter ein paar nichtsnutzigen Rabauken herzurennen, um sie mit grimmigen Worten eben dort wieder abzuliefern, wo sie hofften, auch nächste Woche noch willkommen zu sein.

      So konnten sie denn auch ihren Terror in all den Jahren mehr oder minder unbehelligt ausüben. Je nach Laune verprügelten sie die Kinder ihrer Mutter Galane, kassierten Schutzgelder in Form von Negerküssen und Lakritze, verpackten Hamster in Plastik, rupften Wellensittiche oder warfen Stinkbomben in Schlafzimmer. Aber am meisten hatten es den vier Jungs, die jeweils ein Jahr und einen halben Kopf auseinander waren, Herbert Rosenstocks diverse Dackel angetan, weshalb er schon nach den ersten bitteren Erfahrungen aufhörte, ihnen Namen zu geben. So erlag Nummer zwei, damals noch Waldi geheißen, nach einer wilden Verfolgungsjagd einem Herzschlag, Dackel Fünf wurde zu Tode geschleift, als sich seine Leine irgendwie an der Stoßstange von Frieda Blums damaligem VW-Käfer verhedderte, und Sieben ertrank, der Himmel mochte wissen wie, in einer Vogeltränke.

      Hinterhältig, dachte Emmi, hinterhältig und gemein sind sie gewesen.

      In der Deichsel des Großen Wagens blinkte ein hektischer Stern und verlosch dann plötzlich. Sie seufzte schwer.

      Manchmal hatte es sogar den Anschein gehabt, als schrecke selbst die rote Lola vor ihren Kindern zurück. Dabei ließ sich ihr wahrhaftig keine Lieblosigkeit attestieren. Im Gegenteil. Eine leuchtende Aura tiefer Mütterlichkeit zog alle Kinder in ihren Bann und ließ die Birkenpfuhler Frauen ein weiteres Mal die Plastikübergebisse über ihre Zähne stülpen. Die rote Lola herzte, küsste, und knuddelte alle, ließ sich von ihnen die brennend roten Locken zu Zöpfen flechten und drückte jedes einzelne Kind an ihren wogenden Busen, bis die Väter vor Neid zu sabbern begannen. Jedes Kind, bis auf die eigenen. Die küsste und knuddelte sie nicht. Und Zöpfe flechten ließ sie sich auch nicht von ihnen. Auf eine seltsame Art und Weise ignorierte Lola Woitzack ihre Kinder, was nicht hieß, dass es ihnen jemals an einer anständigen Versorgung gemangelt hätte. Äußerlich, kurzhosig, rotznasig und mit aufgeschürften Knien, unterschieden sie sich in nichts von den anderen Jungs und Mädchen. Und nett anzusehen waren sie obendrein noch mit ihren pfiffigen Sommersprossengesichtern und den ererbten Silberblicken. Doch die Lola schien ihr eigenes Spielzeug zu langweilen. Sie griff viel lieber nach dem der anderen. Nach den Kindern fremder Mütter. Nach den Männern anderer Frauen.

      Nach Hermann!

      Himmel, wie war ihm aber auch die Brust geschwollen, nachdem er zum ersten Mal auf der falschen Seite seiner Hauswand im Bett stöhnen durfte. Und mit