Killerwitwen. Charlie Meyer

Читать онлайн.
Название Killerwitwen
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847684800



Скачать книгу

die wollen auch noch die Mittelhäuser aufkaufen, um dann die Wände durchzubrechen. Verstehen Sie, was ich meine? Ihre Häuser wollen die ebenfalls. Das ganze Reihenhaus!“

      „Nein!“, sagten die beiden Nachbarinnen unisono.

      „Doch, doch, ich hab’ so ein Gerücht gehört.“

      „Aber das ist doch absurd. Keine von uns beiden denkt auch nur im Traum daran zu verkaufen, und dann ...“ Emmi stockte. Stimmte das auch? Hatte sie nicht bereits des alten Schmidts Abtransport ins Pflegeheim und Mariannes Tod verschlafen? Was wenn ...

      „Nie nich‘“, sagte die Taube schlicht, und Emmi atmete erleichtert aus.

      Die rote Lola zuckte die Achseln, den Blick nur und stur auf die Taube gerichtet. „Himmel, ich weiß auch nicht mehr als Sie jetzt. Vielleicht ... vielleicht ... ach ich weiß nicht. Na ja, was soll’s, vielleicht wollen die eben warten, bis Sie ... na ja, Sie wissen schon.“

      „Bis wir abgekratzt sind?“, half Emmi grimmig aus.

      Die rote Lola nickte mit schiefem Lächeln und gönnte ihr nun doch einen Blick.

      „Ha“, schnaubte die Taube triumphierend, „da können die aber warten bis zum Sankt Nimmerleinstag. Der Kühne, der wo mein Doktor is’, der hat gesagt mit meine Konschti ... Konschitusch ...“

      „Konstitution“, klang es zweistimmig und ungeduldig aus den Nachbargärten.

      „Na sag’ ich doch, mit meiner Konschti ... Konschti ... mit meiner Gesundheit, da sei alles so prächtig wie bei dem Teufel seiner Großmutter, sagt der Kühne, und Sie, ich glaub nich’, dass so ’n Studierter ‘ne olle Frau wie mir anlügen täte. Und eins schwör’ ich Sie gewiss. Mit den Sauerbachs, da nehm’ ich’s noch allemal mit auf, die kippen doch schon aus die Latschen, wenn wir bloß Buh! rufen tun. Und der ihre Spezies werden man auch so olle Knacker sein wie unsereins. Wollen wir wetten, dass ich das ganze Gesocks noch allemal überlebe?“

      „Keine Frage“, murmelte Emmi halblaut, und die rote Lola auf ihrer Seite des Jägerzauns kicherte leise und versöhnlich.

      „Tja, meine Damen, nun muss ich aber wirklich sehen, dass ich in die Pötte komme mit dem Zusammenpacken. Ich muss noch das ganze Geschirr einwickeln.“ Eine hölzerne Verlegenheit schien sich plötzlich ihrer bemächtigt zu haben. „Na dann ... äh ... es war nett ... wirklich nett ... und dann ... na ja, falls wir uns nun nicht mehr sehen, alles Gute weiterhin.“

      „Ihnen auch alles Gute“, sagte Emmi mit ungewollter Herzlichkeit.

      „Bringen Sie den Ollen mal ordentlich auf Trab“, wünschte die Taube.

      „Ja ... ja danke. Das werd’ ich tun.“ Lola Woitzack wandte sich ab und stapfte querbeet davon. Eine geschrumpfte Walküre mit grauem Scheitelansatz in rot gefärbten Haaren. Das Letzte, was die Nachbarinnen an diesem Tag von ihr sahen, war ein wehmütiger Silberblick zurück, kurz bevor sie um die Ecke des Hauses bog.

      Emmi folgte ihr mit den Blicken und sah dann lange ins Leere. Aufkaufen? Was brachten Sauerbachs und ihre seltsame Verwandtschaft auf die Idee, sie könnten mir nichts, dir nichts die Mittelhäuser aufkaufen? Das ergab keinen Sinn. Wer etwas kaufen wollte, vergewisserte sich doch in der Regel erst einmal, ob das Objekt seiner Begierde überhaupt verkäuflich sei, und wenn es sich denn um ein Haus handelte, lag es da nicht auf der Hand, die Verkaufswilligkeit des Besitzers durch eine einfache Frage zu überprüfen? Bei ihr und bei der Taube. Ein einfaches Nein und die ganze Angelegenheit war erledigt. Verkaufen! Jetzt, wo die Männer endlich Ruhe gaben. Schließlich war es ihr Häuschen. Sie hatte es vierzig Jahre lang in Form gewohnt und nun, wo es rundherum passte, kam die Lola mit diesen spinnerten Gerüchten. Die und ihr Professor Doktor Doktor. Lachhaft. Niemand vertrieb sie aus ihrem Haus. Zumindest nicht zu Lebzeiten. Kein Sauerbach und keine neue Nachbarschaft. Auch keine Männer in weißen Kitteln, um sie in ein Pflegeheim zu bringen. Niemand und nichts. O nein, im Notfall könnte sie sich immer noch selbst verteidigen, und wenn es denn sein musste sogar mit Urgroßvater Albrechts rostigem Degen, der in der Flurtruhe lag und auf einen ruhmreichen Sieg Anno siebzig bei der Schlacht von Sedan zurückblicken konnte.

      Genau!

      Sie nickte energisch - und schüttelte gleich darauf den Kopf. Wieso eigentlich die ganze Aufregung? Sie wollte nicht verkaufen und basta. Außerdem besaß sie eigentlich auch nur das halbe Haus, die andere Hälfte war nach Hermanns Tod rechtmäßig den Kindern zugefallen, und egal was für eine Affentheater sie auch an ihrem Siebzigsten veranstaltet hatten, sie gehörten mit Sicherheit nicht zu der Sorte habgieriger Kinder, die noch zu Lebzeiten der Eltern rings um sie herum die Mauersteine abtrugen, um ihre eigenen Häuser damit zu bauen. Nun gut, sie benahmen sich nicht gerade wie Heilige mit ihrem jährlichen Mutterbetreuungsplänen, doch Gier und Habsucht lagen allen Vieren fern.

      Denk an die Pferde, Emmeline!, flüsterte Hermann in ihrem Kopf, und Emmi seufzte bedrückt. Was wenn doch ...? Und warum auch nicht? Nur weil sie ihrem Schoss entstammten? Besuchten sie ihre Mutter denn zum Muttertag oder schickten sie nur mickrige Sträuße mit Glückwunschkarten in der Handschrift irgendwelcher Verkäuferinnen der Blumengeschäfte? Wie oft riefen sie von sich aus an, um nachzufragen, ob es ihr gut gehe? Um sie zu trösten, wenn das Rheuma sie plagte oder die Einsamkeit an ihr nagte? Na also! Und in Klein-Diedersdorf hatte erst vor ein paar Tagen ein Fünfzehnjähriger seinen leiblichen Vater mit einer Axt quer durchs Dorf gejagt, und Klein-Diedersdorf lag nur fünfundzwanzig Kilometer flussabwärts! Ein Fünfzehnjähriger! Wozu waren dann erst erwachsene Kinder fähig, wenn der Preis stimmte?

      Die Kälte ging vom Kopf aus, doch von Synapse zu Synapse wurden kleinen Eimerchen mit Eiswasser nach unten weitergereicht, und schuddernd zog sie die Schultern hoch. Zum ersten Mal seit vierzig Jahren wandte sich Emmi mit dem vagen Bedürfnis nach Beistand zur ollen Taube um. Der Wind spielte mit den Blättern des Ligusters, aber die Taube war lautlos davongeflogen.

      „Frau Taube?“, fragte Emmi halblaut.

      Nichts! Kein Krähen, kein Gurren.

      „Frau Taube!“

      Im Nachbarhaus klappte die Terrassentür zu. Energisch.

      Emmi hob resigniert den Kopf gen Himmel und sah gerade noch, wie zwei Häuser weiter, im Sauerbach’schen Eckhaus neben der Großen Wiese, die schon seit acht Jahre keine verwilderte Wiese mehr war, sondern ein neumodisches Gartencenter mit kunterbunten Pflanzenpaletten, Erwin sein rosiges Gesichtchen mit dem schwarzem Schnurrbart hastig in das Halbdunkel der Dachkammer zurückzog.

      5.

      An diesem Abend wälzte sie sich lange schlaflos in ihrem mondbeschienenen Bett unter der Dachschräge. Im Nachbarhaus herrschte nun Ruhe. Kein Geschirrklappern mehr, kein Treppauf-Treppab-Gelaufe, keine letzten lustvollen Seufzer. Für den Auszug schien alles bereit. Dafür seufzte jetzt Emmi, wenn auch nicht lustvoll; und mit jedem Seufzer rollte das Rad der Zeit ein wenig weiter. Unwiderruflich und quer über ihre schwer atmende Brust. Nascentes morimur - kaum geboren, sterben wir. Warum gab es zwischen Säugling und Greis nur eine Einbahnstraße? Warum keinen Richtungswechsel? Kein Schnippen mit den Fingern und noch einmal dreißig sein. Oder wenigstens vierzig oder fünfzig!

      Siebzig war ein blödes Alter.

      Emmi schaltete die Nachttischlampe ein, und fischte unter dem Bett nach ihren Unterlagen aus dem Volkshochschulkurs Lateinische Redewendungen für den Hausgebrauch, so wie sie es immer tat, wenn der Schlaf sie mied oder ihr Bedürfnis überhand nahm, dem alzheimerschen Schrumpfgedächtnis durch Übung zu Leibe zu rücken, und meistens ließ sich dank des monotonen Herunterleierns bei geschlossenen Augen beides prima miteinander verbinden. Doch heute blieb der Erfolg aus. Bei Vontra vim mortis non est medicamen in hortis, gegen die Gewalt des Todes gibt es kein Heilmittel, schniefte sie bereits, und bei Mors certa, hora incerta, der Tod ist gewiss, die Stunde ungewiss, tropfte eine Träne auf ihr Kopfkissen.

      Lange nach Mitternacht stand sie schließlich auf, verschränkte fröstelnd die Arme und starrte aus dem schräg gestellten Kippfenster in die kühle klare Nacht mit