Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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Gleiche von ihm gedacht.

      Nicht viele Menschen kamen in diese Welt, aber die, die es taten, tauchten aus unerfindlichen Gründen meistens bei den Bergkriegern auf. Also war die Schlussfolgerung, dass Nils ein Spion war, nur folgerichtig. Aber dieses Mal irrten sie sich.

      Dass die Steppenkrieger Nils so schnell nach seiner Ankunft entdeckt hatten, lag daran, dass sie in ihrem Argwohn das Reservat nicht aus den Augen ließen und sich in dem Augenblick, als er dort das Tor zwischen der Erde und Rûngnár durchschritt, zufällig ein paar Krieger in der Nähe der Lichtung befanden. Obwohl es für die Rûngori eine überaus bedrohliche Gegend war, ließen beide Stämme dort Wachen patrouillieren. Nils hätte also genauso gut in die Hände von Bergkriegern fallen können, obwohl die ihm wahrscheinlich wohlgesonnener gewesen wären, zumindest solange, bis sie feststellten, dass er kein Feind der Steppenkrieger war, die er schließlich gar nicht kannte.

      Allerdings lag der Grund für die Verlassenheit des Reservates nicht in der Feindschaft zwischen den beiden Stämmen. Die hätten niemals zu den Kräften führen können, die dort wirkten. Die Rûngori waren zwar in mancher Hinsicht den Menschen überlegen, aber der Macht, die das Reservat für sich beanspruchte, hatten sie nichts entgegenzusetzen. Diese Kraft besaßen nur wenige Einwohner dieser Welt und eine geheime Gruppe, die sich ins Reservat zurückgezogen hatte. Bei ihr handelte es sich um die sogenannten »Verschwörer Euserias«, die sowohl von den Steppenkriegern als auch von den Bergkriegern gefürchtet und gehasst wurden.

      Von all diesen Umständen ahnte Nils nichts und er hatte in diesem Augenblick auch ganz andere Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen. Trotzdem hatte er im Gegensatz zu einigen anderen Menschen, die dort gefasst worden waren, Glück im Unglück, denn der Angriff der Bergkrieger auf die Hauptstadt der Steppenkrieger verhinderte ein ernsthaftes Verhör und einen unvermeidlichen Urteilsspruch.

      „Tenbe om keri harn“, wiederholte der andere Gefangene.

      Diese Worte rissen Nils aus seiner Verzweiflung. Er wischte sich mit seinem Ärmel eine Träne aus dem Gesicht und blickte den Fremden blinzelnd an. Außer dessen Augen war in der Finsternis nichts von ihm zu erkennen. Nils dachte nicht daran, aber die Tatsache, dass seine Augen nicht leuchteten, verriet ihn sofort als Nicht-Rûngori.

      „Wer bist du?“, fragte Nils. „Verstehst du meine Sprache?“

      Nils hatte berechtigte Hoffnung, dass es so war, denn überraschenderweise schien sie unter den Rûngori nicht unbekannt zu sein, wenn sie wohl auch nicht jeder sprach und die, die es taten, mit unterschiedlichem Vermögen.

      „Ja, ich verstehe dich“, hörte Nils. „Willkommen im finstersten Verlies des Fehenlandes. Wie heißt du? Du bist kein Rûngori. Warum haben sie dich in dieses Verlies gesteckt? Gab es kein Verhör?“

      Dass der Fremde Deutsch sprach, wunderte Nils wie gesagt nicht, aber dass seine Aussprache vollkommen ohne Dialekt war, überraschte ihn doch. Ein plötzliches Misstrauen beendete seine Bereitschaft, dem Rûngori zu antworten. Was war, wenn der Gefangene ihn aushorchen sollte, wenn das jetzt eine Fortsetzung des Verhörs war? Er musste nicht einmal zu denen gehören, die ihn verhört hatten. Vielleicht hatten sie ihm auch nur die Freiheit versprochen für diesen kleinen Dienst. Vielleicht hatten sie Nils deswegen in diesen Kerker gesteckt, weil sie wussten, dass ihr Gefangener besonders gut seine Sprache beherrschte.

      Nils hörte ein leises Lachen.

      „Ich spüre deinen Argwohn“, sagte der Fremde. „Und ich kann ihn dir nicht verdenken. Aber du kannst mir vertrauen. Ich stehe den Steppenkriegern nicht so nahe, dass sie mich für besondere Auskünfte freilassen würden. Davor fürchtest du dich doch, vermute ich. Mein Name ist Narvidur. Sage mir wenigstens, wie du heißt.“

      „Also gut, mein Name ist Nils, Nils Holm. Ich bin ein Mensch.“

      „Nils Holm?“, wiederholte Narvidur mit einer unüberhörbaren Überraschung in der Stimme. „Nils Holm, sagst du? Wie kommst du denn....?“ Dann schwieg er. Vermutlich machte er sich Gedanken, aber das konnte Nils in der Dunkelheit nicht erkennen.

      „Ja, Nils Holm. Was ist daran so sonderbar? Schließlich soll es hier noch andere Menschen geben.“

      „Sonderbar? Das sicher auch. Ich habe nur.... Wie konnte das....?“

      Der Rest ging in einem Murmeln unter. Nils sah an der Bewegung der Augen des Rûngori, dass er leicht den Kopf schüttelte. Mit dem, was der Rûngori gesagt hatte, konnte Nils verständlicherweise nichts anfangen.

      „Hast du Hunger?“, fragte Narvidur. Er hatte seine Überraschung überwunden, aber Nils würde vorläufig keine Erklärung für die Ursache dafür bekommen.

      Bis zu diesem Augenblick hatte Nils seinen Hunger vergessen, aber jetzt überfiel ihn dieses Gefühl in unangenehmer Weise.

      „Mehr als das“, sagte er. „Aber hier wird es wohl nichts geben.“

      Wieder vernahm er das leise Lachen des Rûngori.

      „Du täuschst dich. Warum hätte ich dich sonst gefragt? Immerhin sitzen wir in einem Kerker und zu einem ordentlichen Kerker gehören Wasser und Brot.“

      Die leuchtenden Augen bewegten sich auf Nils zu und etwas berührte ihn an der Schulter. Er griff danach und tatsächlich hielt ihm Narvidur einen Krug und ein Stück Brot hin. Die Augen entfernten sich wieder. Den Umständen entsprechend erwartete Nils nichts besonders Genießbares und wurde angenehm überrascht. Das Wasser war frisch und das Brot schmeckte besser als alle Brote, an die er sich erinnerte. Das allerdings waren nicht sehr viele. Möglicherweise lag es aber auch einfach nur an seinem Heißhunger. Begierig biss er zu.

      „Lass dir Zeit“, meinte Narvidur mit väterlicher Stimme. „Ich werde dir nichts streitig machen. Es ist gutes Rûngori-Brot. Es wird dich stärken.“

      Das stimmte. Nils hatte erstaunlich schnell das Gefühl, dass sein Hunger verschwand.

      „Ist das besonderes Brot?“, fragte er kauend. „Es schmeckt so anders, fast wie Kuchen.“

      „Nein, alle Brote, die aus Brankorn gebacken sind, schmecken so.“

      „Brankorn?“

      „Das ist ein wichtiges Getreide in unserem Land.“

      Während Nils aß, kehrten seine Lebensgeister zurück, und obwohl sich seine Lage deswegen nicht verändert hatte, keimte in ihm wieder Hoffnung auf bessere Zeiten auf. Vielleicht war sein Dasein ja doch noch nicht an seinem Ende angelangt. Und es wäre ein wahrhaft kümmerliches Ende, in einem rûngorischen Verlies umzukommen, ohne dass jemand aus seiner Heimat etwas davon erfuhr.

      „Wie lange bist du schon hier?“, fragte Nils. „Und warum?“

      „Noch nicht lange. Erst seit gestern“, antwortete Narvidur und seine Stimme hörte sich gleichmütig an. Fern jeglicher Verzweiflung.

      „Stört dich das gar nicht?“, wunderte sich Nils. „Was werfen sie dir vor? Und außerdem, wie heißt diese Stadt? Wo sind wir hier?“

      Narvidur lachte wieder leise. Nils hatte das Gefühl, als besaß dieser Rûngori ein erstaunlich sonniges Gemüt. Er konnte ihn zwar nicht sehen, ausgenommen seine Augen, aber es fiel ihm nicht schwer, sich einen Rûngori mit langem Bart und ebenso langem, aber schütterem Haar vorzustellen, möglichst noch in Würde ergraut. Die hagere Gestalt eines mythischen Zauberers, dessen Bart bei jedem Heiterkeitsausbruch erzitterte und dessen zorniger Blick seinen Gegenüber auf die Knie zwingen konnte. Narvidur musste ein Rûngori sein mit einer Lebenserfahrung, die ihn auch in einer so ausweglosen Lage wie dieser gelassen bleiben ließ. Fast wie Gandalf aus dem »Herrn der Ringe«. Und diese Vorstellung gab Nils neuen Mut. Herr der Ringe? Gandalf? Wie kam er jetzt auf diese Namen?

      „Warum sollte es mich stören? Es ist nicht angenehm hier, aber es wird nicht lange dauern. Vielleicht nur noch bis morgen. Und wenn du nachforschen könntest, aus welchem Grund ich hier bin, dann würde ihn dir keiner sagen können. Tatsächlich weiß nur ich ihn. Aber zu deiner Frage, wir sind hier in der Burg des Fürsten Dyrgorn. Ich dachte, das wüsstest du schon. Er ist ein Fürst der Steppenkrieger