Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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Nils in einen solchen Unglauben stürzten.

      Er musste sich in einem Traum befinden, denn so etwas gab es wirklich nicht. Jedes Pferd hatte sechs Läufe. Zwei Paare befanden sich unter dem Vorderkörper und ein Paar deutlich kräftigere Beine am hinteren Teil der Pferde. Die Tiere waren größer, als diejenigen aus seiner Welt, an die er sich jetzt schwach erinnerte. Das Fell glänzte goldbraun. Ein langer Schweif hing fast bis zum Boden. Nils war nicht klein, aber diese Pferde überragten ihn um wenigstens zwei menschliche Kopflängen. Er war sicher, dass diese Art Pferde die Kutsche äußerst kraftvoll und schnell vorantreiben konnten.

      Und dann geschah etwas, was Nils an der Wirkungsweise seines Verstandes zweifeln ließ. Während er die Pferde betrachtete, wurden sie plötzlich durchsichtig und schienen sich auflösen zu wollen. Gleichzeitig tauchten an ihrer Stelle andere, vierbeinige Pferde auf, von einer Art, wie er sie in Erinnerung hatte. Doch die Tiere verdrängten sich nicht etwa von ihren Plätzen, sondern sie befanden sich offensichtlich ineinander. Auch die »neuen« Pferde führten Zügel in ihrem Maul, die bis zur Kutsche reichten.

      Genauso schnell, wie der Spuk entstand, war er auch vorüber, und ungerührt standen die sechs sechsbeinigen Pferde wieder vor der Kutsche.

      Nils war stehen geblieben und vor Überraschung wie gelähmt. Erst die drohende Stimme eines der Wächter, unterstützt von der unangenehmen Berührung seiner Schulter mit einer Speerspitze, brachte ihn wieder zur Besinnung. Sein Blick wollte sich nicht von den Pferden trennen, während er weiterging. Haben denn die Krieger überhaupt nichts bemerkt, fragte er sich. Die, die er sehen konnte, hatten den Zugtieren nicht einmal besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es war wirklich unglaublich.

      Zwei Türen öffneten sich an der Kutsche. Eine an der Seite, der sie sich näherten und eine im Heck. Niemand stieg aus und Nils konnte drinnen nur einen undeutlichen Schatten erkennen, der sich bewegte. Die Kutsche schwankte leicht, dann musterte ihn ein Paar leuchtend grüner Augen aus ihrem Inneren. Dieser Anblick war noch unheimlicher als der von den Augen der Rûngori-Krieger im Tageslicht. Nils erfüllte von neuem ein zunehmendes Unbehagen.

      Er glaubte, dass er zu diesem Fremden einsteigen sollte, doch er irrte sich. Eine kräftige Hand hielt ihn vom Einsteigen zurück.

      „Hinten rein!“, befahl der Anführer.

      Nils gehorchte. Jetzt erkannte er auch, was für ein Gefährt es war, obwohl ihn diese Erkenntnis nicht sonderlich überraschte. Es war eine Gefängniskutsche, deren hinterer Teil von einem Käfig ausgefüllt wurde, der nur vom Heck her zugänglich war. Quietschend schloss sich die Gittertür hinter Nils und mit einem groben Schlag die Holztür. Klackend wurde draußen ein Riegel vorgeschoben.

      Immerhin war der Käfig recht geräumig und offenbar für mehrere Gefangene ausgelegt. Da Nils in diesem Augenblick der Einzige war, konnte er sich bequem ausstrecken. Natürlich waren die Bänke aus Holz und ungepolstert und nur ein kleines Guckloch erlaubte einen Blick nach draußen. Nils wunderte sich, mit welcher Gelassenheit er seine Lage ertrug. Er hätte verzweifelt sein, vielleicht mit seinem Leben abgeschlossen haben müssen, aber die Neugierde überwog wieder. Wo würden sie ihn hinbringen?

      Dann stiegen die sieben Krieger in den vorderen Teil der Kutsche ein und die Seitentür knallte zu. Nur noch wenig Licht gelangte in die Kutsche, und Nils betrachtete die grünen Augenpaare, die ihn in der Finsternis durch das Gitter des Käfigs anblickten, mit deutlichem Argwohn. Von ihren Besitzern war nur wenig mehr als schwarze Schatten zu erkennen. Nils hörte einen unverständlichen Befehl und mit einer mächtigen Schaukelbewegung, die ihn fast von der Sitzbank riss, hätte er sich nicht im letzten Augenblick am Gitter festgehalten, setzte sich das Gefährt in Bewegung. Wie erwartet, erreichte es bald eine beängstigende Geschwindigkeit.

      „Mein Abenteuer gewinnt an Fahrt“, murmelte Nils, während er aus dem Guckloch blickte.

      Die Kutsche schaukelte und rumpelte, ächzte und knirschte und soviel Nils durch das Loch in der Hecktür erkennen konnte, durchquerten sie die Landschaft in großer Eile. Die Rûngori-Krieger schwankten genauso hin und her wie Nils, aber da sie keinen beunruhigten Eindruck machten, vermutete er, dass sie solche schnellen Fahrten gewohnt waren. Nils hatte fast das Gefühl, dass ihre Reise einer Flucht gleichkam. Er wandte seinen Blick wieder nach draußen.

      Die Landschaft änderte sich einige Male. Sie fuhren abwechselnd durch waldreiche Gebiete und weitläufige Steppen und entfernten sich von dem Gebirge am Horizont. Eines aber blieb, wie es war, gleichgültig durch welche Gegend sie kamen, sie schien stets vollkommen vereinsamt. Zwar konnte Nils von Zeit zu Zeit ein Gehöft oder auch einmal eine kleine Ansiedlung ausmachen, aber nirgends sah er Menschen – oder die Bewohner des Landes.

      Nils wusste noch nicht, dass seine Bewacher dem nichtmenschlichen Volk von Rûngor angehörten. Die Krieger hatten ihn darüber nicht aufgeklärt und andere Einwohner, die es ihm hätten sagen können, hatte er nicht getroffen. Aber er war mittlerweile überzeugt davon, dass dieses Volk zumindest kein gewöhnlich menschliches war und es wunderte ihn, dass er von ihm noch nie etwas gehört hatte, denn ihre außergewöhnliche Erscheinung hätte sie zu einem der berühmtesten Völker auf der Erde machen müssen.

      Nils hatte in den letzten Stunden eine interessante Entdeckung an sich gemacht. Wenn er versuchte, sich besonders konzentriert an etwas zu erinnern, dann gelang ihm das auch. Und wenn sich seine Gedanken auch wie durch einen zähen Schleim hindurch an die Oberfläche seines Gedächtnisses quälten, so war er doch überzeugt davon, dass er sich an dieses Volk erinnern müsste, wenn er von ihm gewusst hätte. Und er wüsste von ihm, wenn es auf der Erde existieren würde. Das war aber nicht der Fall. Diese Entdeckung machte seine Lage noch rätselhafter. War es dann etwa möglich, dass er sich überhaupt nicht mehr auf der Erde befand? Wenn nicht, dann erklärte dieser Umstand vielleicht auch seinen Gedächtnisverlust. Aber wie kam es dann, dass die Fremden seine Sprache beherrschten? Fragen, die er nicht beantworten konnte. Aber Nils hoffte wenigstens, dass seine Fähigkeit, sich an Dinge zu erinnern, wenn er sich nur genug anstrengte, der Beginn der Wiederherstellung seines Erinnerungsvermögens war

      Die Fahrt zog sich endlos hin. Er hatte nach wie vor kein Zeitgefühl, aber sie waren schon ziemlich lange unterwegs. So wie es aussah, war ein großer Landstrich von seiner Bevölkerung verlassen worden. Nils nahm all seinen Mut zusammen und fragte den Anführer der Krieger, was es mit der Gegend auf sich hatte, durch die sie fuhren, und warum sie das »Reservat« genannt wurde. Aber außer einem starren Blick aus seinen leuchtenden Augen bekam Nils keine Antwort. Und irgendwie überraschte ihn das nicht. Immerhin schenkte der Krieger ihm aber so viel Aufmerksamkeit, dass er ihn ansah. Nils seufzte und setzte seine Außenbeobachtung fort, obwohl es nicht viel Aufregendes zu beobachten gab, bis....

      Eine kurze, vollkommene Verdunkelung schreckte Nils auf. Er war für einige Zeit eingenickt, aber nicht so tief, dass ihm diese Veränderung entging. Dann schien alles wieder wie vorher. Doch als er nach draußen blickte, traute er seinen Augen nicht. Die Umgebung hatte sich so dramatisch verändert, als wäre Nils – wieder einmal – in eine neue Welt gekommen.

      Die Landschaft erschien plötzlich buchstäblich in einem anderen Licht. Alles wirkte heller und freundlicher und Nils sah, dass sie sich von einer grauen Wand entfernten, die nur die Grenze des sogenannten Reservates sein konnte. Diese Wand war nicht undurchsichtig. Alles, was sich dahinter verbarg, erschien verschwommen in einem schmutzigen, hellgrauen Licht und wirkte kalt und starr. Wie konnte es auch anders sein in jenem kalten, lebensentblößten Gebiet.

      Nils bemerkte, dass sich die Kutsche verlangsamte und dann gemächlicher weiterfuhr. Hatten sie sich tatsächlich auf einer Flucht befunden? Wie knapp waren sie einem Unglück entronnen? Das waren wieder unbeantwortete Fragen.

      Jetzt, als die Kutsche nicht mehr so heftig schaukelte, erkannte Nils mehr Einzelheiten durch das Guckloch. Und das versetzte ihn in Erstaunen, obwohl es dazu in seiner Heimat nicht unbedingt Grund gegeben hätte. Am Himmel stand hell und klar die Sonne. Nils sah Vögel zwischen und in den Wipfeln der Bäume. Ihm war, als konnte er ihren Gesang hören. Schmetterlinge tanzten über den Blumen der Wiesen, die an die Straße grenzten. Es gab Weiden, und wie es aussah, grasten dort ganz normale Kühe. Und jetzt sah er auch Menschen, oder genauer, Einwohner des Landes. Sie waren noch nicht weit entfernt von der Grenze