Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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hast du sicher Recht, wenn es einer von den drei Irren war, die mich verhört haben“, meinte er.

      „Der Fürst, der Mönch und der Feldherr“, stellte Narvidur fest. „Ja, es sind immer die gleichen. Sie glauben, sie wären die Helden in einem Märchen. Und wahrscheinlich haben sie dir auch vorgeworfen, ein Spion zu sein. War es schlimm?“

      „Das Verhör? Abgesehen davon, dass sie mir meine Hinrichtung angedroht haben, nicht. Ich fand es eher lächerlich, obwohl man das von seinem möglichen Ausgang nicht gerade sagen kann. Allerdings wurde es abgebrochen, bevor sie richtig ärgerlich wurden. Ein Bote kam herein, und seine Nachricht schien sie in einige Aufregung zu versetzen. Ich weiß aber nicht, worum es ging. Während ich abgeführt wurde, sind sie schon hinausgelaufen, glaube ich. Warum glauben sie, Märchenhelden zu sein? Ist das so erstrebenswert?“

      „Du wirst die Bedeutung noch kennenlernen“, erwiderte Narvidur. „So, so, eine Nachricht, aha. Ja, das ist möglich. Sehr gut.“

      „Du kennst den Grund?“

      „Ich denke schon und dazu muss man noch nicht einmal ein Hellseher sein. Wüsstest du um die Zustände in unserem Land, dann hättest du auch die Antwort. Unter diesen Umständen ist es gut, dass wir hier unten sitzen und in Sicherheit, bis sich die Aufregung oben wieder gelegt hat.“

      „Ich verstehe kein Wort“, gab Nils zu. „Warum ist es gut, in diesem elenden Loch zu sitzen?“

      „Weil oben wahrscheinlich ein kleiner Krieg ausbrechen wird, der uns in Gefahr bringen könnte, wenn wir uns woanders in dieser Burg befänden. Hier unten können wir sein Ende in Ruhe abwarten. Er wird nicht lange dauern.“

      „Krieg?“, fragte Nils erschrocken.

      „Ja. Es wird aber wohl keine große Sache werden. Rege dich darüber nicht auf. Das lohnt sich nicht. Du wirst sehen.“

      Es entstand eine längere Pause, in der Nils überlegte. Narvidur tat vielleicht das Gleiche, aber das konnte Nils nur vermuten. Wieder einmal fragte er sich, in was für eine eigenartige Welt er gelangt war. In Gedanken zählte er die Merkwürdigkeiten auf, denen er bis dahin begegnet war: Das verlassene Reservat, blaue Rehe und sechsbeinige Pferde, Einwohner mit sonderbaren Augen, ein Schloss, das sich jeglicher sinnvollen Baukunst widersetzte, ein irrer Herrscher [andererseits gab es davon auch auf der Erde genug] und schließlich dieses merkwürdige Verblassen von Wesen dieser Welt und das Erscheinen anderer Wesen an ihrer Stelle. Gewiss gab es noch mehr Merkwürdigkeiten, von denen er noch nicht einmal etwas ahnte.

      Nils´ Verstand wurde arg strapaziert, und dass diese anderen Erscheinungen Bewohner der Erde sein konnten, darüber wollte er noch gar nicht nachdenken. Das hätte sein geistiges Vermögen vollends überfordert. Trotzdem stand er kurz davor, Narvidur nach den Gründen für diese Phänomene zu fragen. Aber woher sollte er sie kennen? Außerdem hatte Nils nach allem keine Lust darauf, dass der Rûngori sich über ihn lustig machte.

      Jedenfalls war seine Lage ziemlich verwirrend, und wie es aussah, wahrscheinlich sogar hoffnungslos. Nils hatte keine Vorstellung, wie es weitergehen sollte. Es gab keine Möglichkeit zu erkennen, was auf ihn zukam. Das Einzige, was Nils hoffen konnte, war, dass seine Gerichtsverhandlung irgendwie durch den Krieg, von dem Narvidur gesprochen hatte, beeinflusst wurde. Vielleicht bestand sogar die Aussicht, dass der Ausgang des Krieges sein Todesurteil verhinderte. Blieb immer noch die Frage, ob er dann auch wieder freikam und nicht doch in diesem Verlies sein Ende fand. Es war schrecklich.

      Nils erlebte diese Stunden in einem ständigen Wechsel von tiefer Verzweiflung, Angst, Hoffnung, von vorübergehend aufkeimendem Mut und gelegentlicher irrer Heiterkeit. Obwohl es eigentlich gar keinen Grund dafür gab, außer der offensichtlichen Zuversicht Narvidurs, verband Nils alle Hoffnung mit diesem Rûngori.

      Dann fiel ihm eine Ungereimtheit auf. Er hatte wohl erfahren, dass sich gelegentlich Menschen in die Welt der Rûngori verirrten, aber es waren anscheinend nicht so viele, dass ihre Anwesenheit keine Aufmerksamkeit mehr erregte, nicht nur bei den Wächtern, deshalb....

      „Sag `mal, Narvidur, bist du überhaupt nicht erstaunt, einen Menschen in der Gefängniszelle zu haben?“, fragte Nils. „Interessiert dich überhaupt nicht, wo ich herkomme?“

      „Warum?“, erwiderte Narvidur. „Ich kenne Menschen und vielleicht sogar mehr als andere Rûngori. Und wenn ich deine Sprache berücksichtige, kommst du aus irgendeinem deutschsprachigen Land Europas. So heißt es doch, glaube ich, bei euch. Wenn ich mich nicht irre, dann kommst du aus Deutschland. Und du bist nicht der erste, der in Bihaford im Kerker des Fürsten landet. Und damit bist du schon recht weit gekommen. Ein größerer Teil schafft es nicht einmal mehr bis hier unten.“

      „Warum? Was geschieht mit ihnen?“

      „Du hast bei deinem Verhör nicht zugehört. Die Andeutung deines Todesurteils war keine leere Drohung.“

      „Du meinst -?“

      „Ich meine nur, dass bei euch immer wieder Menschen verschwinden und nicht wieder auftauchen.“

      Nils schluckte.

      „Und alle enden hier?“, fragte er bestürzt.

      Narvidur lachte.

      „Himmel, nein, sonst wären hier mehr Menschen als Rûngori. Der eine oder andere ist hier aber wohl schon angekommen. Aber mach dir keine Sorgen. Wie ich dir sagte, sind wir hier unten ganz gut aufgehoben. Sicherlich hast du keine schöne Zeit durchgemacht, aber unter diesen Umständen ist dir das Beste zugestoßen, was möglich war. Morgen sehen wir weiter. Und nun, glaube ich, ist es an der Zeit, ein wenig zu schlafen.“

      Ungläubig schüttelte Nils den Kopf. Von sich aus wäre er nie auf den Gedanken gekommen, seiner Lage etwas Gutes abzugewinnen.

      „Ich verstehe deine Gelassenheit nicht“, sagte er und in seiner Stimme lag fast ein gewisser Ärger. „Wir sitzen hier in hoffnungsloser Lage und zumindest ich warte auf meine Hinrichtung und du denkst ans Schlafen.“

      Narvidur lachte wieder.

      „Warte ab. Es gibt Umstände, unter denen es besser ist, eine Zeit lang nichts zu tun. Dieser ist so einer. Du wirst sehen. Morgen Abend sieht die Welt schon wieder besser aus.“

      „Kannst du etwa in die Zukunft sehen?“

      „Vielleicht.“

      Nils sah an der Bewegung der Augen Narvidurs, dass er sich auf den Rücken legte. Er schien nicht mehr gewillt zu sein, die Unterhaltung weiterzuführen. Es dauerte nicht lange, dann erlosch das grüne Leuchten. Narvidur war eingeschlafen. Kurz darauf war nicht mehr zu überhören, dass das Schnarchvermögen eines Rûngori dem eines Menschen nicht nachstand.

      Nils seufzte und versuchte, sich so bequem es ging hinzulegen. Er stellte bald fest, dass es nicht bequem werden würde. Der Untergrund war aus Stein und uneben. Es dauerte nicht lange und Nils spürte die Kälte durch seine Kleidung kriechen.

      An dem Morgen dieses Tages hatte er nicht erwartet, dass er am Abend das stinkende Sofa vermissen würde. Er verschränkte die Arme unter seinem Kopf, nachdem er eine kleine Spinne aus seinem Gesicht gewischt hatte, die sich in der Dunkelheit von der Decke herabgelassen hatte. Seine Gedanken glitten ab und schon bald störten ihn Narvidurs Schlafgeräusche nicht mehr.

      3. Flucht und Rettung

      So, wie Nils sich fühlte, konnte er nicht lange geschlafen haben. Er konnte sich an keinen Traum erinnern, und er schlief gewöhnlich nie ohne Träume. Selbst in dem Dorf in der vorletzten Nacht war er einige Male nach seltsamen Träumen aufgewacht. Er fühlte sich kaum ausgeruht, und dass seine Knochen schmerzten, erstaunte ihn nicht. Dazu musste er nicht stundenlang auf dem harten Boden gelegen haben. Dafür hätte ihm schon die Länge eines Mittagsschlafes gereicht.

      Nils wälzte sich leise stöhnend auf den Rücken. Zuerst wusste er überhaupt nicht, wo er sich befand. Das Einzige, woran er sich erinnerte, waren seine wirren Gedanken, die ihn vor dem Einschlafen heimgesucht hatten. Also konnte dieser Zeitpunkt noch nicht lange