Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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nur sagen, damit sie ihm glaubten und er seinen Kopf aus der Schlinge ziehen konnte?

      Das Gesicht des Adligen zeigte eine unübersehbare Verärgerung. Der Mönch fuhr fort.

      „Du willst uns also weismachen, dass du dich rein zufällig im Reservat herumgetrieben hast?“, fragte er mit erhobener Stimme. „Du bist als Mensch in die Welt der Rûngori eingedrungen, ohne sie ausspionieren zu wollen? Wir wissen, dass gelegentlich Menschen hier auftauchen und wir wissen auch, dass sie manchmal Böses im Schilde führen. Willst du leugnen, mit den »Verschwörern Euserias« im Bunde zu stehen? Sie sind unsere Feinde und sie werden von Menschen unterstützt. Wir wissen davon. Nun denn, sprich, was habt ihr vor?“

      Nils schüttelte abermals verzweifelt den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wovon der Mönch redete. Die ganze Art und Weise des Verhörs kam ihm ziemlich grotesk vor, nicht zuletzt auch wegen denjenigen, die es durchführten.

      „Ich kenne keine – Verschwörer »Euserias«“, erwiderte er. „Ich wusste noch nicht einmal, dass ihr das Volk von Rûngor seid. Ich war noch niemals hier und habe noch nicht einmal von euch gehört. Das ist die Wahrheit.“

      „Fürst Dyrgorn glaubt, dass du lügst“, meinte der Mönch. „Du bist ein Spion, das ist sicher, und falls du doch die Wahrheit sagst und nicht zu den Verschwörern gehörst, schickt dich dann Fürst Albyn, der Herrscher über die Bergkrieger?“

      „Wer ist Fürst Albyn und wer sind die Bergkrieger? Ich habe von ihnen noch nie etwas gehört?“

      „Jetzt reicht es!“, fuhr ihn der Krieger an und Nils erschrak. Er sprach ein eher schlechtes Deutsch, aber es war klar, dass er alles, was bisher gesagt worden war, verstanden hatte. „Auch ich glaube, dass du lügst. Du hältst uns zum Narren.“

      Doch er gab Nils keine Gelegenheit für eine Erwiderung, sondern wandte sich dem Adligen zu. Nils vermutete, dass das Fürst Dyrgorn war. Offensichtlich beherrschte er seine Sprache nicht, denn er ließ sich alles übersetzen.

      Dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Während die drei Rûngori lebhaft miteinander redeten, begannen sie sich vor Nils´ Augen aufzulösen. Er blickte die Männer fassungslos an. Es war wie bei den Pferden der Gefängniskutsche. Doch auch dieser Vorgang kam nicht zur Vollendung. In dem Maße, wie die drei Rûngori schwanden, erschienen drei andere Männer, und während die Rûngori in ein heftiges Gespräch verfielen, das immer leiser wurde, standen die drei Erscheinungen stumm und bewegungslos da und blickten sich um. Nils erkannte ihre Überraschung. Anscheinend wussten sie nicht, wo sie waren. Sie trugen eine Kleidung, die wesentlich älteren Ursprungs zu sein schien, als die »Mode« der Rûngori, die Nils bisher gesehen hatte. Es waren fellbehangene Leinengewänder, so wie es aussah. Doch bevor Nils mehr Einzelheiten erkennen konnte, verschwanden sie so plötzlich, wie sie aufgetaucht waren. Er konnte gerade noch feststellen, dass es keine Rûngori waren. Sie hatten weder leuchtende Augen noch die etwas längliche Kopfform. Nein, es waren – Menschen.

      Dyrgorn, der Mönch und der Krieger wurden wieder deutlicher und ihr Gespräch lauter. Schließlich standen sie wieder vor Nils wie vorher. Sie hatten sich nicht vollends aufgelöst und offenbar noch nicht einmal etwas bemerkt, denn ungerührt setzten sie ihre Beratung fort.

      Nils war verwirrt. Was ging in dieser Welt vor? Bei den Pferden hatte er noch geglaubt, dass ihm seine Sinne aus irgendeinem Grund einen Streich spielten. Doch jetzt war es schon wieder passiert. Er konnte sich keinen Reim darauf machen.

      Und dann geschah etwas, womit offensichtlich auch die drei Rûngori nicht gerechnet hatten, denn die Tür zu dem Saal wurde aufgerissen und ein Mann in der Rüstung der Wachen stürzte herein. Überrascht und etwas ärgerlich sahen die drei auf. Der Krieger blieb vor ihnen stehen und verneigte sich kurz. Für Nils hatte er keinen Blick übrig. Hastig redete er auf die drei ein, und obwohl Nils die fremde Sprache nicht verstand, sah er, dass das, was er berichtete, bestürzend sein musste, denn sie gerieten sichtlich in Unruhe. Der Bote hatte kaum geendet, als Dyrgorn mit befehlender Stimme etwas in den Flur rief, woraufhin zwei Wachen erschienen.

      „Wir haben jetzt keine Zeit mehr, um uns mit dir zu befassen“, sagte der Mönch zu Nils. „Aber du wirst Gelegenheit bekommen, darüber nachzudenken, was du uns später erzählen willst. Du kannst einer Strafe entgehen, wenn du uns dann sagst, was du weißt.“

      „Strafe? Was für eine Strafe? Wofür? Ich habe doch nichts getan. Was soll ich wissen?“, erwiderte Nils erschrocken.

      „Die Strafe für das unerlaubte Auftauchen eines Menschen in unserer Welt, noch dazu im Reservat, und für das Bündnis mit den Verschwörern: Die Hinrichtung“, erklärte der Mönch mit bedrohlich gepresster Stimme. „Führt ihn ab.“

      Die letzten Worte waren an die Wachen gerichtet. Nils´ Knie wurden weich und die Welt um ihn begann sich zu drehen. Ein sicheres Todesurteil, denn was sollte er antworten, um es abzuwenden? Wenn ihn die Wachen nicht zwischen sich genommen hätten, dann wäre er zusammengesunken. Sie hatten alle Mühe, Nils hinauszuschleppen, denn er war groß und nicht gerade leicht. Er gewahrte kaum, dass der Fürst, der Mönch und der Offizier eilends den Raum verließen und noch vor ihnen durch die Tür waren.

      Wie in einem Traum erlebte Nils, wie die beiden Wachen ihn durch die Flure führten. Sie erreichten eine Treppe, die in den Keller der Burg hinabstieg. Nils nahm nur unregelmäßige und bewegte Schatten wahr und mehrmals wäre er auf den Stufen gestürzt, wenn die Wachen ihn nicht gehalten hätten.

      Im Keller waren die Gänge noch spärlicher beleuchtet als in den Fluren, die sie im oberen Teil der Burg durchquert hatten. Eine Tür wurde quietschend und knarrend geöffnet. Nils spürte einen Stoß und fiel in ein schwarzes Loch. Ein übler Geruch schlug ihm entgegen. Die Tür wurde hinter ihm wieder zugeschlagen und vernehmlich ein Riegel davorgeschoben. Dann wurde es still um ihn. Er kniete auf der Erde und war wie betäubt. Ihm wollte kein Gedanke gelingen und er war nicht einmal fähig, vor Verzweiflung zu schluchzen. Von innen sah Nils in diesem Augenblick genauso aus wie seine Umgebung. Jetzt fehlte nicht mehr viel, damit er mit seinem Leben abschloss.

      Aber Nils war nicht allein in dem Kerker. Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, bemerkte er ein grünes Glimmen in seinen Augenwinkeln. Nils zuckte zusammen. Hatten die Schrecken denn überhaupt kein Ende? Ein Paar leuchtend grüne Augen starrten ihn an.

      „Tenbe om keri harn“, sagte eine fremdartige Stimme.

      Die Botschaft, die Nils nicht verstanden hatte, hatte die drei Rûngori, die ihn verhörten, tatsächlich in größte Unruhe gestürzt. Die Ereignisse, die sie ankündigte, machte das unerwartete Auftauchen des Menschen, der sich Nils Holm nannte, zweitrangig, jedenfalls für den Augenblick. Ein mächtiges Heer der Bergkrieger unter der Führung des Fürsten Albyn näherte sich der Stadt. Und Fürst Dyrgorn hatte es versäumt, seine Steppenkrieger darauf vorzubereiten. Diese Entwicklung hätte er kommen sehen können. Seine Unentschlossenheit rächte sich jetzt.

      Die Bewohner der Welt, in die es Nils verschlagen hatte, und es waren nicht nur Rûngori, lebten in verschiedenen Ländern, vergleichbar mit den Menschen auf der Erde. Obwohl Nils diese Welt bis zu seinem Verhör nur als eigentümlich empfunden hatte, besonders innerhalb des Reservates, war sie ihm doch einigermaßen friedlich vorgekommen. Sicher lag es auch daran, dass er bis zu seiner Gefangennahme keinen ihrer Bewohner zu Gesicht bekommen hatte und fast schon glaubte, dass sie aus irgendwelchen Gründen unbewohnt war. In dem verlassenen Dorf jedenfalls hatte er keine Anzeichen für kriegerische Auseinandersetzungen gefunden. Dass seine erste Bekanntschaft die mit Kriegern war, hielt er für zufällig. Doch allein die Tatsache, dass es die Krieger gab, hätte ihn eines Besseren belehren müssen. Und so täuschte der Eindruck der Friedfertigkeit. Es war keine Welt des ewigen Friedens und es ging in ihr keineswegs harmonischer zu als auf der Erde, wenn es zu dieser Zeit dort auch keinen größeren Krieg gab. Aber Nils war zu einem Zeitpunkt aufgetaucht, in dem die Feindschaft zwischen den Bergkriegern und den Steppenkriegern wieder einmal einem Höhepunkt entgegenging.

      Beide Stämme gehörten dem Volk von Rûngor an und die Grenzen ihrer Stammesgebiete verliefen zum großen Teil durch das Reservat. Da war es nur verständlich, dass Dyrgorn, der Fürst der Steppenkrieger, jemanden, der aus dieser Gegend kam, für