Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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ein schmaler Graben, aus dem er am Tag zuvor bereits getrunken hatte. Das Wasser war gut und es gab keine Menschen oder Tiere, die es verschmutzen konnten, daher hatte er keine Bedenken gehabt, es zu trinken, und sein körperliches Befinden schien sein Vertrauen zu rechtfertigen.

      Die Luft war so kühl wie erwartet, obwohl es angenehmer war als in der Nacht. Der schwache Nebel, den sein Atem verursachte, war kaum zu erkennen. Der Himmel war klar, aber Nils vermisste wieder die Sonne. Er zuckte mit den Achseln. Wenn es so war, dann konnte man eben nichts daran ändern. Er verschwand für einen kurzen Augenblick hinter einem nahen Strauch, dann ging er zum Graben. Auch wenn es kalt war, wollte er doch nicht darauf verzichten, sich zu erfrischen. Aber schließlich wurde es nur eine Katzenwäsche.

      Als er seinen Kopf hob und sich das Gesicht mit seinem Taschentuch abtrocknete, fiel ihm neben sich eine Gestalt auf und er erschrak. Hastig drehte er sich zu ihr um, kam ins Straucheln und saß plötzlich auf seinem Hintern. Die Gestalt war nicht allein. Nils fand sich umringt von sieben – Menschen? Es waren Krieger, so viel stand fest, denn sie waren mit Speeren bewaffnet, an deren gefährlichem Ende funkelnde Spitzen drohten, und die zeigten jetzt alle auf ihn.

      Es dauerte einen Augenblick, bis er seinen Schreck überwunden hatte und die Krieger näher betrachten konnte. Das wurde dadurch erleichtert, dass zunächst nichts weiter geschah, als dass sie ihn so interessiert und neugierig ansahen wie er sie ängstlich. Nils konnte sich nicht daran erinnern, jemals in einer solchen verzwickten Lage gewesen zu sein. Er kam zu dem Schluss, dass seine Gegner, damit musste er zumindest erst einmal rechnen, keine gewöhnlichen Menschen sein konnten. Am auffälligsten waren ihre blassgraue Haut und ihre unnatürlichen Augen – hellgrün leuchtend starrten sie ihn an. Dieser Anblick erschreckte Nils. Er kannte leuchtende Augen nur aus Film und Fernsehen, aber dann waren sie gewöhnlich bedrohlich rot und gehörten zu Wesen, deren Nähe Ungemach erwarten ließ. Diese Gewissheit war ein neuer Baustein seines im Nebel des Vergessens versunkenen Erinnerungsgebäudes und wieder ein äußerst unwichtiger. Offensichtlich steckte doch weniger Phantasie in solchen Darstellungen, als viele glaubten.

      Die Krieger trugen lange blaue Gewänder und Schnürsandalen. Die Oberkörper wurden von braunen Schuppenpanzern geschützt. Sie hatten keine Helme auf und so konnte Nils erkennen, dass sich die Haare von Krieger zu Krieger in Farbe und Schnitt unterschieden, aber allen war ein auffallend verlängerter Hinterkopf gemeinsam. Die Männer waren durchschnittlich dünner und größer als Menschen. Offensichtlich waren die Speere die einzigen Waffen, die sie trugen.

      „Wer seid ihr und was wollt ihr von mir?“, fragte Nils und seine Stimme zitterte leicht.

      Es waren die ersten lauten Worte, die er in dieser fremden Welt gesprochen hatte. In diesem Augenblick spürte er das zweite Mal, seit er dort angekommen war, ehrliche Angst. Er war es nicht gewohnt, von Waffen bedroht zu werden und hier zeigten auch noch beängstigend viele auf ihn. Er wagte nicht, sich zu bewegen.

      „Wer bist du und wie kommst du hierher? Was tust du im Reservat?“, wollte einer der Krieger wissen, ohne auf Nils´ Frage zu antworten.

      Er unterschied sich nicht von den anderen, und so war für Nils nicht ersichtlich, ob es sich um den Anführer handelte. Obwohl Nils verständlicherweise etwas angespannt war, fiel ihm auf, dass der fremdartige Krieger die deutsche Sprache verwendet hatte. Nils konnte die Worte gut verstehen, obwohl sie in einer unüberhörbar seltsamen Mundart gesprochen worden waren. Nils kannte sie nicht, aber er hätte auch zugeben müssen, dass er nur sehr wenig darüber wusste.

      „Ich – äh – mein Name ist Nils Holm“, stammelte er. „Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin, ehrlich. Ich weiß nicht einmal, wo ich bin. Wo bin ich überhaupt?“

      Das stimmte ja alles, aber der Anführer, für den Nils den Krieger, der ihn gefragt hatte, hielt, schien nicht recht überzeugt zu sein. Zumindest glaubte Nils, das an seinem Gesichtsausdruck erkennen zu können. Und anscheinend war er auch nicht geneigt, ihm seine Frage zu beantworten.

      „Steh´ auf!“, forderte er Nils auf und unterstrich den Befehl mit einer Bewegung seiner Waffe.

      Die Wächter traten einen Schritt zurück, hielten die Speere aber weiter auf ihn gerichtet. Nils kam der Aufforderung ein wenig umständlich nach und bemühte sich, keine hastige Bewegung zu machen, die falsch verstanden werden konnte. Er kannte diese Krieger nicht, er kannte nicht einmal ein Volk, dem sie entstammen konnten, daher war es besser, vorsichtig zu sein.

      Als er stand, zeigte Nils den Kriegern unwillkürlich seine leeren Hände als Zeichen, dass er unbewaffnet war und hoffte, dass sie seine Geste auch so verstanden. Er rechnete damit, dass sie ihn durchsuchen würden, aber nichts dergleichen geschah. Der Anführer schien auch kein Interesse an einem weiteren Verhör zu haben. Er befahl Nils, ihm zu folgen. Nils hatte auch keine andere Wahl, denn die Krieger nahmen ihn in ihre Mitte und zwangen ihn mitzugehen. Sie bewegten sich in einer Weise, aus der Nils schließen konnte, dass sie sehr schnell waren, schneller als er, und dass sie ihn in kurzer Zeit einholen würden, wenn er versuchte zu fliehen. Es gab keinen Grund daran zu zweifeln, dass sie es wohl auch mit einem Speerwurf versuchen würden, ihn aufzuhalten. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie seine Hände nicht gefesselt hatten. Also blieb Nils nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen.

      Seine Angst verringerte sich ein wenig, denn offensichtlich hatten die Krieger nicht die Absicht, ihn auf der Stelle zu töten. Allerdings hatte der Anführer auch nicht gesagt, wohin sie in brachten, und das, was dort auf ihn wartete, war vielleicht schlimmer.

      Allmählich wurde sich Nils des Unwirklichen seiner Lage bewusst. Er hatte seine Vergangenheit, von der er annahm, dass es sie gab, bis auf wenige Einzelheiten vergessen. Er wusste nicht, auf welche Weise er in diese Gegend gekommen war, eine Gegend ohne Sonne, ohne Mond und Sterne und doch mit einem Wechsel zwischen Tag und Nacht. Es gab keine nichtkriegerischen Bewohner mehr und nur noch eine geringe Zahl von Tieren, von denen einige mehr als ungewöhnlich aussahen. Die Wächter waren von einer Erscheinung, wie er sie noch nie bei Menschen gesehen hatte und vielleicht waren sie noch nicht einmal welche. Nils hatte keine Ahnung, was er von all dem halten sollte, aber wenn er sich in einem Traum befand, dann war er erschreckend klar und zog sich endlos hin. Anscheinend wollte er partout nicht daraus erwachen. Unbewusst zog sich Nils in eine zunehmende Abgestumpftheit zurück, die so lange anhalten sollte, wie er mit seiner Lage noch nichts anfangen konnte. Vielleicht war es das Beste, was er tun konnte, um nicht verrückt zu werden.

      So still sich diese Welt bisher gezeigt hatte, so verschwiegen schienen auch die Krieger zu sein. Der Befehl, ihnen zu folgen, war das Letzte, was sie seit ihrem Aufbruch aus dem verlassenen Dorf zu Nils gesagt hatten, und auch untereinander fiel kein Wort. Nils wagte nicht, sie anzusprechen.

      Er musste lächeln, obwohl diese Regung seiner Lage nicht angemessen schien und er hoffte im gleichen Augenblick, dass es keiner der Rûngori-Krieger – den Namen dieses Volkes kannte Nils zu diesem Zeitpunkt noch nicht – gesehen hatte. Vielleicht würden sie es falsch verstehen. Der Grund für sein Lächeln war der Gedanke, dass er jetzt möglicherweise schneller etwas zu essen bekam, als wenn er weitergewandert wäre. Ein ziemlich trivialer Gedanke, aber in seinem Zustand mehr als verständlich. Und vielleicht würden ihm dort, wohin die Krieger ihn brachten, endlich einige Fragen beantwortet werden – falls jene Leute etwas redseliger waren.

      So ging Nils zwischen den Rûngori her und hing seinen Gedanken nach, ohne viel auf seine Umgebung zu achten.

      Der kleine Trupp hatte das Dorf in die gleiche Richtung und auf dem gleichen Weg verlassen, wie Nils es am Tag zuvor erreicht hatte. Die Krieger gingen ziemlich schnell und Nils musste sich etwas Mühe geben, um Schritt zu halten. Aber der Fußweg dauerte nicht sehr lange, denn als sie die Straße erreichten, wartete dort eine Pferdekutsche auf sie. Anscheinend hatten sie noch einen weiten Weg vor sich. Da war es Nils ganz recht, dass er gefahren wurde, denn langsam knurrte ihm wieder der Magen und er begann, sich zunehmend schwach zu fühlen.

      Als sie sich der Kutsche so weit genähert hatten, dass Einzelheiten zu erkennen waren, stöhnte er innerlich auf. Das, was er sah, konnte es nicht geben – na ja, hier wohl schon. Es war weniger die Kutsche selbst, wenn sie auch beachtliche Ausmaße hatte und größer schien als die vom Tag zuvor. Sie hatte einen