Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

Читать онлайн.
Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



Скачать книгу

dem Vorbild eine Welle geformt. Die Wellenberge und Wellentäler standen sehr eng zueinander und vielleicht waren sie der Ersatz der üblichen Wehrzinnen. Aber für Nils war es eine ziemlich sinnlose Gestaltung. Auch dort oben befanden sich keine Wachen. Das ganze Schloss, Nils war sich noch nicht schlüssig, wie er das Gebäude bezeichnen sollte, vermittelte den Eindruck, als entstammte es einem Albtraum, und er hoffte, dass drinnen keiner auf ihn lauerte.

      Zu mehr Beobachtungen hatte er keine Gelegenheit, denn die Wächter erlaubten ihm nicht stehenzubleiben. Schon bald erreichten sie eine – buchenblattförmige! – Tür. Sie war nur ein ebenerdiger Nebeneingang, denn der Hauptzugang zum Schloss lag höher, wahrscheinlich im ersten Obergeschoss. Er war über zwei seitlich hochführende Treppen aus schwarzem Stein erreichbar, die überdacht waren. Wenigstens sahen diese Treppen vernünftig begehbar aus.

      An der »Buchenblattür« nahm sie ein Hofbeamter in Empfang. Nils vermutete, dass er höhergestellt war, denn er trug vornehme Kleidung und eine feine, goldene und gut sichtbare Kette um den Hals. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Hochmut und Langeweile. Er hatte keine erkennbaren Waffen. Der Anführer der Kriegerschar um Nils sagte etwas zu ihm, aber die Sprache war fremdartig und Nils konnte sie nicht verstehen. Der Hofbeamte musterte Nils und nickte dann dem Anführer zu. Mit vier seiner Krieger ging er weg. Die zwei Verbliebenen wichen ihrem Gefangenen nicht von der Seite. Der Hofbeamte bedeutete Nils, ihm zu folgen.

      In dem Augenblick, in dem er die Burg betrat, verließ ihn seine Zuversicht, die ihn erfüllte, seit er die Sonne wieder zu sehen bekommen hatte. Und je tiefer er in das Gebäude hineingeführt wurde, desto schlechter wurde sein Gefühl. Von draußen hatte die Burg nur sonderbar, vielleicht etwas sinnlos und geisteskrank ausgesehen, doch drinnen war sie düster und bedrückend. Und Nils fand, wenn es Geisterschlösser gab, dann konnten sie nur so aussehen. Dabei waren die Flure noch nicht einmal besonders eng, aber nur selten gingen sie durch welche, die Fenster besaßen und halbwegs hell waren. Er hatte richtig beobachtet, sie waren verglast, aber das Glas ließ nur wenig Licht hindurch. Die inneren Flure waren niedrig und nur von Fackeln in weiten Abständen spärlich beleuchtet. Keine Läufer dämpften ihre Schritte. Hohl hallten sie an den Wänden wider.

      Entweder sie befanden sich in einem Flügel, in dem sich niemand die Mühe gemacht hatte, die Gänge wenigstens etwas wohnlich auszustatten, oder die Bewohner hier legten keinen Wert darauf. Es gab nicht nur keine Läufer, sondern auch keine anderen Einrichtungsgegenstände, keine Bilder, keinen Schmuck, keine Wandbehänge, nicht einmal die unvermeidlichen Ritterrüstungen, wie sie einem in mittelalterlichen Burgen Europas begegnen.

      Die Türen in den dunkelgrauen Wänden hoben sich durch ihre tiefe Schwärze ab und glichen eher finsteren Löchern als Eingängen zu dahinterliegenden Räumen. Einige waren aus Holz, aber andere kamen Nils vor, als wären sie aus Eisen hergestellt worden. Fast wie in einem Verlies, fand Nils. Und dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die gelegentlichen Wachen, die bewegungslos mit durchdringend grünschimmernden Augen die düsteren Flure nach möglichen Eindringlingen absuchten.

      Dann endlich hatte ihre bedrückende Wanderung durch das Gemäuer ein Ende und Nils hatte sich seine Meinung gebildet. Das Bauwerk konnte nur eine Burg, eine Festung sein, denn ihr fehlten alle Merkmale eines lichten und fröhlichen Schlosses.

      Sie näherten sich einer breiten, zweiflügeligen Tür, und bevor sie von den beiden Wachen davor aufgehalten wurden, wurde sie von innen geöffnet und gab den Weg in einen kleinen Saal frei. Am Eingang blieben auch die beiden Krieger zurück, die Nils bisher begleitet hatten.

      Sie wurden bereits erwartet. Es waren drei Männer. Da es in der Halle ein wenig heller war, sie besaß vier ovale Fenster, konnte Nils mehr Einzelheiten erkennen. Nach ihren Trachten beurteilt, hatte er einen Adligen, einen Priester oder Mönch und einen höheren Krieger, vielleicht einen Oberst oder General, vor sich.

      Der Adlige trug eine ziemlich aufwendig gearbeitete Bekleidung, bestehend aus einem knöchellangen, hellblauen Gewand, einer violetten Weste und einem silbernen Gürtel, der seinen beachtlichen Bauch bändigte. An dem Gürtel hing ein niedlicher Dolch. Die Waffe schien eher zur Zierde als zum Kampf geeignet zu sein. Auch dieser Mann trug eine goldene Kette um den Hals, die jedoch schwerer und schmuckvoller war als die des Hofbeamten. Dunkle, glatte Haare fielen bis auf seine Schultern. Der Mönch sah aus, wie man es von einem Glaubensbruder erwarten konnte. Eine dunkelbraune Kutte mit Kapuze und eine schwarze Kordel um seine Hüfte waren seine ganze Kleidung. Sein Haupt war kahl und sein faltiges Gesicht ließ auf ein höheres Alter schließen. Er hatte sein Arme vor der Brust verschränkt und musterte Nils mit einem durchdringenden Blick. Der Krieger trug eine knielange, hellgraue Tunika und eine kurze, grüne Toga. An seinem Gürtel hing ein armlanges Schwert in einer kunstvoll gearbeiteten Scheide. Sein Gesicht wurde zur Hälfte von einem mächtigen, blonden Bart verdeckt und auf dem Kopf saß ein reich verzierter, lederner Helm.

      Alle drei Männer trugen die gleichen Sandalen und sie waren von der Art, wie Nils sie schon bei den Kriegern aufgefallen war, die ihn am Morgen gefangengenommen hatten. Sicher sollte die Bekleidung auch eine gewisse Würde verbreiten, aber irgendwie kam sie Nils eher lächerlich vor.

      Ein Standgericht, kam es Nils ein wenig belustigt in den Sinn, aber noch fiel es ihm nicht ein, eine solche Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen, denn er ahnte nicht, wie nahe er der Wahrheit kam. Und ihm wäre auch kein Grund eingefallen, der eine solche Maßnahme gerechtfertigt hätte.

      Die beiden Türflügel hinter ihm schlossen sich so geräuschvoll, dass er zusammenzuckte. Dann war er mit den drei Männern allein. Der Hofbeamte hatte den Raum wieder verlassen.

      Für einige Zeit herrschte ein unbehagliches Schweigen, in der Nils die drei Fremden und sie Nils betrachteten. Dann wandte sich der Adlige in einer fremdartigen Sprache an den Mönch. Der nickte und das Verhör war eröffnet.

      „Das ist ein Standgericht“, erklärte der Mönch mit eisiger Stimme. „Und wie es für dich ausgeht, hängt davon ab, wie du unsere Fragen beantwortest. Wer bist du und was willst du in unserem Land?“

      Dass es sich also doch um ein Standgericht handelte, verschlug Nils für einen Augenblick die Sprache. Dieses Mal hatte Nils die Worte verstanden. Der Mönch hatte sogar deutlicher und verständlicher gesprochen als die Wachen. Aber was er sagte und die Art und Weise, wie er es tat, gefielen Nils überhaupt nicht, und er wurde plötzlich sehr ernst.

      „Mein Name ist Nils Holm“, antwortete er schließlich. „Und ich weiß nicht, warum ich hier bin, ehrlich.“

      Das war die Wahrheit und es betraf seine Anwesenheit sowohl in dieser Welt als auch in der Burg. Schließlich, nahm er an, hatte er weder in jene Welt noch in die Burg gewollt. Was die Burg betraf, war er sich sogar sicher. Aber Nils war auch klar, dass diese Antwort für die drei nicht befriedigend sein würde. Der Mönch übersetzte sie dem Adligen und an dessen Gesichtsausdruck sah Nils seine Befürchtung bewahrheitet.

      „Du weißt, wo du dich befindest?“, stellte der Mönch die nächste Frage.

      „Nein“, gab Nils ehrlich zu, aber sein gleichzeitiges Achselzucken und Kopfschütteln ließen seine Antwort nicht allzu selbstbewusst erscheinen. „Ich sage die Wahrheit. Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wo ich herkomme. Ich habe mein Gedächtnis verloren. Wenn es nach mir ginge, wäre ich schon wieder weg. Aber nicht einmal diesen Weg kenne ich.“

      Nils war überhaupt nicht sicher, ob seine Worte die drei Männer überzeugten. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut und er spürte, wie seine Knie ihre übliche Festigkeit verloren.

      „Weg? Wohin denn, wenn du dich angeblich an nichts mehr erinnerst?“, fragte der Mönch spitzfindig. „Wie steht es mit der Erinnerung daran, etwas vorzuhaben, was wir nicht allzu sehr schätzen würden? Falls auch sie dir abhandengekommen ist, hilft dir vielleicht jemand, dich zumindest daran wieder zu erinnern. Und sei dir sicher, dass Ausreden vor uns keinen Bestand haben werden. Also überlege dir noch einmal, ob du uns nicht doch lieber gleich die Wahrheit sagst. Jetzt machen wir es dir noch leicht, dich zu entscheiden.“

      Hiernach übersetzte der Mönch Nils´ Antwort den anderen beiden.

      Nils schüttelte