Medusas Ende. Elisa Scheer

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Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



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nur einiges abgebucht worden. Und der Kontostand lag bei 3.864 Euro und ein paar Zerquetschten. Im Minus, das verstand sich von selbst.

      Noch von einer kurzen Phase nach dem ersten Examen, in der ich einen ebenso lukrativen wie anstrengenden Job in einer Werbeagentur gehabt hatte, lag mein Disporahmen bei viertausend Euro. Erstens hatte ich diese Grenze schon fast erreicht und zweitens würde es ewig dauern, das wieder abzuzahlen.

      Ich nahm mir einen Zettel und rechnete herum. Schätzungsweise Ende November würde ich eine Abschlagszahlung bekommen. Gehalt für zweieinhalb Monate... vielleicht siebentausend brutto, sie würden mehr als die Hälfte als Steuern einbehalten, also vielleicht drei netto... Wenn ich, wie Nadja es mir geraten hatte, sofort im Januar meine Steuererklärung machte, bekam ich vielleicht tausend Euro im Spätsommer zurück (schließlich wollten die ja erst noch daran was verdienen). Schätzungsweise würde ich ab Dezember eineinhalb tausend Euro im Monat kriegen, oder? Als Referendarin hatte ich achthundert verdient, und eine Studienrätin musste doch etwas mehr bekommen, vermutete ich. Miete... zweihundertfünfzig. Krankenversicherung wohl genauso. Sonstige Nebenkosten vielleicht zweihundert. Dann blieben mir noch etwa achthundert übrig. Davon musste ich leben und meine Schulden bezahlen.

      Im Moment kam ich ganz gut mit fünf Euro am Tag aus. Gut, zweihundert im Monat. Blieben sechshundert übrig. Fünfhundert sollte ich zur Abzahlung verwenden, dann wäre ich etwa im Juli auf Null. Und für hundert vielleicht einen Sparvertrag, einen sicheren Fonds oder so etwas.

      Dann könnte ich am Schuljahrsende im Plus sein und ein Vermögen von rund dreihundert Euro besitzen. Nach dem nächsten Schuljahr hätte ich schon fünfzehnhundert. Und ich könnte etwas üppiger leben.

      Ja, sehr nett, aber zum einen sollte ich jetzt endlich das nächste Heft aufschlagen, und zum anderen brauchte ich bis Ende November auch noch etwas Geld. Der Bank konnte ich keine Storys mehr erzählen, und bei der Bezügestelle wurde ich doch nur angeschnauzt, weil ich nicht kostenlos arbeiten wollte.

      Ich musste etwa fünfhundert Euro auftreiben. Sparbücher besaß ich schon längst keine mehr, und andere Wertsachen? Ein bisschen Schmuck, noch von der Firmung her. Wahrscheinlich war das Zeug gar nichts wert, aber bevor ich mich an Zinsen dumm und dämlich zahlte... Irgendwo war noch der kunstvoll verzierte Zuckerlöffel von Tante Rotraut. Ich suchte im Schrank herum und fand ihn schließlich in meinem winzigen Schmuckkasten, zusammen mit einem kitschigen Kreuz, das ich ohnehin nie tragen würde, und zwei goldenen Ringen mit winzig kleinen Saphir- und Diamantsplittern.

      Morgen würde ich nach der Schule mal zu diesem Gold An-und Verkauf gehen. Vielleicht war der ganze Kram doch wenigstens einen Hunderter wert? Und die beiden Bildbände über China und Brasilien... vielleicht gab es für jeden noch einen Fünfer?

      Es war mittlerweile fast acht; ich packte meinen Wäschesack und fuhr nach unten. Bis die Maschine fertig war, musste ich wenigstens die nächsten drei Hefte geschafft haben, nahm ich mir vor, als ich das Zweieurostück einwarf.

      Verdammt, woher konnte ich noch Geld bekommen?

      Da mich diese Frage deutlich mehr beschäftigte als die Erzähltechnik meiner 5 c, brauchte ich tatsächlich die ganze Stunde, um in den Heften wenigstens bis zweiundzwanzig zu kommen. Mittlerweile war ich auch so müde, dass ich gar nicht mehr unterscheiden konnte, was im aktuellen Heft stand und was die anderen Kinder geboten hatten. Und immer wieder kehrende Fehler („er kamm“ zum Beispiel) übersah ich schon, weil ich mich daran gewöhnt hatte.

      Entnervt warf ich den Rotstift hin und fuhr hinunter, die Wäsche holen. Sobald sie auf dem Gestell hing, das nun das letzte bisschen Platz in meinem Zimmer beanspruchte, riss ich mich zusammen. Los, ich hatte schon fast zwei Drittel! Und Hunger, leider. Na gut, ein schrumpeliger Apfel war noch da – man sollte ja abends nicht so schwer essen. Für schweres Essen hatte ich wirklich kein Geld – einen Vorteil hatte meine Finanznot also, ich hatte schon zwei Kilo abgenommen und war jetzt wirklich toll dünn.

      Bis sechsundzwanzig kam ich noch, dann schlief ich fast am Schreibtisch ein. Zerschlagen fuhr ich aus dem Dösen wieder hoch und beschloss, ins Bett zu gehen. Vielleicht schaffte ich die übrigen acht ja noch morgen früh, schließlich hatte ich in der ersten Stunde frei. Wenn ich ganz früh aufstand und mich gleich an die Arbeit machte...

       DI, 21.10.2003

      Ich schaffte es tatsächlich, wenn auch nur mit Müh und Not und in übler Laune, weil auch noch mein Duschgel zur Neige ging. Zu Aldi musste ich also auch mal wieder und dort das Billigste kaufen, was ich finden konnte. Ich strich mir zwischen zwei Heften schnell ein Brot mit dünner Leberwurst und packte es ein, dann eilte ich mit Schultasche und Jutesack voller Hefte zum Bus, stieg am Stadtring um und fuhr zur Schule. Zehn nach acht.

      „Sie kommen aber spät“, begrüßte mich die Bernrieder schon an der Lehrerzimmertür. „Ich fange erst zur zweiten Stunde an“, verteidigte ich mich.

      „Na und? Pflichtbewusste Kollegen treten jeden Morgen um sieben an. Mir scheint, Sie nehmen diesen Beruf nicht ernst genug. Das ist hier kein billiger Job.“

      „Ein billiger Job würde aber wenigstens bezahlt“, fuhr ich sie an und drängte mich an ihr vorbei. „Was wollen Sie damit denn behaupten?“, fragte sie scharf. „Dass ich bis jetzt von diesem Scheißstaat noch keinen Cent gesehen habe. Wenn das so weiter geht, muss ich mir wirklich einen Job suchen. Einen richtigen Job“, fügte ich hinzu.

      „Und was ist das, was Sie hier angeblich tun?“

      „Eine ehrenamtliche Tätigkeit“, schnappte ich und begann in gebückter Haltung meine Tasche auszupacken. „Was machen Sie denn da? Sie können ihren Krempel doch hier nicht im Weg stehen lassen! Dass junge Kollegen so gar keinen Sinn für Rücksicht haben...“

      „Und wo soll ich mit meinem Zeug hin? Ich habe weder einen Platz am Tisch noch einen Stuhl, von einem Schränkchen ganz zu schweigen.“

      „Mein Gott, nehmen Sie Ihren unordentlichen Kram eben mit in den Unterricht und bauen Sie hier keine Stolperfallen. Und ein Job, wie Sie sagen, kommt gar nicht in Frage. Nebenberufliche Tätigkeiten müssen Sie genehmigen lassen, und ich werde dafür sorgen, dass Dr. Silberbauer Ihnen diese Genehmigung versagt. Konzentrieren Sie sich lieber auf Ihre Arbeit, das schadet Ihnen bestimmt nicht.“

      Ich stand da in meinem schäbigen Anorak, beide Taschen umgehängt, und rührte mich nicht. „Und wovon soll ich meine Miete zahlen?“

      „Tja... wenn Sie voreilig bereits eine Wohnung mieten, bevor Ihre Position amtlich ist – das ist ja wohl nicht unser Problem, oder? Dass die jungen Leute immer sofort ihre Eltern im Stich lassen müssen... was stehen Sie so dumm da?“

      Ich antwortete nicht, sondern starrte aus dem Fenster und hoffte, mich so weit bezähmen zu können, dass ich weder zu heulen anfing noch dieser dummen Schnepfe die verdiente Ohrfeige verpasste.

      „Hören Sie nicht? Warum stehen Sie hier so dämlich herum?“

      „Was ist denn hier los? Warum setzen Sie sich nicht, Frau Prinz?“ Der Stellvertreter, Jörndl. „Wohin denn? Ich habe hier keinen Platz, und da ich meine Taschen nicht abstellen darf, bleibe ich jetzt hier im Anorak stehen, bis es endlich läutet und ich in meine Klasse gehen kann.“

      „Ach so? Naja, dann... Frau Bernrieder, was dieses Sprachlabor betrifft, daraus könnte man ein wunderbares Klassenzi -“

      „Kommt nicht in Frage“, unterbrach sie ihn. „das Sprachlabor ist vor wenigen Jahren für teures Geld eingerichtet worden. Daraus machen Sie kein Klassenzimmer!“

      „Aber niemand benutzt es! Es ist dreißig Jahre alt! Und wir brauchen den Raum dringendst!“

      „Lösen Sie den Videoraum auf. Die ewige Fernseherei ist sowieso schädlich für die Kinder. Und Sie scheren Sich jetzt hier endlich aus dem Weg!“, fuhr sie mich an.

      „Der Videoraum wird aber wenigstens genutzt. Und es gibt auch gute Dokumentarfilme“, wandte Jörndl schwächlich ein. Ich stellte mich in eine Ecke, im Anorak schwitzend, und wunderte mich. Wer war hier eigentlich der Chef? Wieso sagten