Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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macht Jonas eigentlich beruflich? Wenn er in der Maxvorstadt wohnt, könnte er einen kleinen, esoterischen Buchladen betreiben. Nein, nicht esoterisch, das passt nicht. Einen Computerbuchladen, Handbücher, Software... So einen hatte es dort wirklich mal gegeben, allerdings war er ziemlich schnell wieder eingegangen. Egal, dichterische Freiheit! Also ist der liebe Jonas etwas zu normal für Sabrina, die sich so heftig nach dem Glanz der großen Welt sehnte. Wieso erzählt er das jetzt erst der Polizei? – Die haben einfach nicht früher gefragt. Oder das war bis jetzt nicht so wichtig... Später konnte ich ja nachsehen, ob ich etwas einfügen musste.

      Wollte Jonas Sabrina heiraten? Naja, heiraten... Nicht sofort jedenfalls. Er kann also der Schwiegersohn nicht sein, den Sabrina ihren stolzen Eltern angekündigt hatte. Also doch del Ponte... Aber wenn er sie heiraten wollte, warum sollte er sie dann ermorden? Und wenn es jemand anderes war, wie ist er dann in die Wohnung gekommen?

      Was haben die Nachbarn gehört?

      Die Nachbarn (Gelegenheit für kleine spöttische Skizzen!) haben gar nichts gehört, legen Wert darauf, dass das hier ein anständiges Haus ist und wollen nicht ausgerechnet an den Feiertagen mit so etwas belästigt werden.

      Nur einem ist aufgefallen (wohlhabender Rentner, etwas zwanghaft), dass bestimmte Autos immer auf dem hauseigenen Parkplatz standen, obwohl sie dort nichts zu suchen hatten – ein Mercedes Kompressor, schwarz (das Kennzeichen weiß er natürlich nicht mehr) und ein silberner Lancia, Typ unbekannt.

      Der Lancia könnte del Ponte gehören, der ja an seinem Italien-Image strickt. Der Kompressor? Jonas fährt einen Golf, so unspektakulär wie er selbst. Kein anderer Nachbar gibt zu, jemanden mit einem solchen Auto zu kennen – und in München (reiche Stadt!) fahren mindestens fünfhundert Stück davon herum, schon ohne die weißen.

      Die Eltern wissen auch nichts, sie trauern um Sabrina und fordern die Verhaftung von Leonore, die immer nur eine Enttäuschung gewesen sei – unattraktiv, besserwisserisch und neidisch. Dabei sei es doch ganz normal, dass man die erfolgreiche Tochter vorgezogen habe!

      Sándor schluckt scharfe Worte mühsam herunter. Die Eltern wissen gar nicht genau, was Leonore beruflich macht, Sekretärin oder so? Ist auch nicht interessant, Schwiegersohn und Enkel sind da wohl nicht mehr zu erwarten, sie ist ja schon viel zu alt, schon neunundzwanzig! Sogar der geduldigen Gärtner wird das Gewäsch langsam zu blöd. Außerdem scheinen die beiden gar nichts von ihrer Tochter gewusst zu haben, sie denken, sie ist Modeschöpferin.

      Frustriert ziehen Gärtner und Nagy wieder ab; Nagy fährt noch einmal zu Leonore, die aber auch nicht mehr über ihre Schwester weiß. Sabrina hat nie viel erzählt, außerdem war die Liebe unter den Schwestern wirklich nicht sehr ausgeprägt. Sabrina hatte wohl immer Träume, die eine Nummer größer waren als die Realität.

      Einen schwulen Modeschöpfer heiraten? Ja, das kann sie sich bei Sabrina vorstellen, das Prestige hätte ihr gefallen. Und fürs Bett hätte sich sicher ein anderer gefunden, Massimo wäre das wohl egal gewesen.

      Am Abend schauen beide noch einmal bei Massimo vorbei, der immer noch darauf beharrt, mit Sabrina glücklich gewesen zu sein. Allerdings kommt dann ein sehr eleganter junger Mann vorbei (Christoph, ehem. Model, nun Jurastudent, eigentlich Massimos Freund, kultivierter Typ) – und der wundert sich gewaltig: Du wolltest heiraten? Eine Frau?? Und ausgerechnet Sabrina??? Es entspinnt sich ein gepflegter Krach, denn Massimo ist doch sonst kein solcher Feigling? Und wieso weiß Christoph nichts davon? Was ist das denn für eine Beziehung?

      Gärtner und Nagy lauschen interessiert. Dieser Heiratsplan ist ihnen ohnehin suspekt, aber warum sollte Massimo das erzählen, wenn es nicht stimmt? Seltsam...

      Das war wirklich genug; morgen würde ich das alles aufschreiben und zwischendurch ausgiebig schwimmen und mich sonnen. Ich kochte mir ein Süppchen, dann duschte ich lauwarm und trug üppig Dopposolare auf. Der Spiegel im Bad war zwar ein Witz und hing auch viel zu tief, aber ich konnte doch erkennen, dass ich hübsch braun geworden war, richtig samtig...

      So, und jetzt? Erst halb neun, und ich war fleißig genug gewesen, war satt, schön und hatte aufgeräumt. Mir blieb nichts übrig, als ins Bett zu gehen. Dann stand ich morgen eben wieder bei Sonnenaufgang auf!

      Genau das tat ich auch. Und wieder versprach es ein makelloser Tag zu werden, heiß, sonnig und mit einer funkelnden Wasserfläche. Noch aber war es dämmerig und ich schoss sofort an den Laptop und hämmerte fast drei Stunden lang auf ihn ein, bis ich den ganzen zweiten Feiertag getippt hatte. Damit waren es schon etwas mehr als zwanzig Seiten – am ersten Arbeitstag musste der Fall geklärt werden!

      Aber zuerst lockte der See, der in der Morgensonne glitzerte. Ich schlüpfte in den immer noch leicht feuchten Bikini (äh!) und stieg entschlossen die Leiter hinunter. Kalt, herrlich kalt!

      Über eine Stunde schwamm ich vor der Hütte auf und ab und freute mich darüber, dass dieses Ende des Sees so einsam war – hier wurde man wenigstens nicht von außer Kontrolle geratenen Surfboards überfahren.

      Schließlich taumelte ich die Leiter wieder hinauf und ließ mich auf mein Handtuch sinken. Mit nassen Fingern zündete ich mir eine Zigarette an, rauchte gierig und blinzelte auf die Lichtreflexe auf dem Wasser. Keine Wellen, der See war glatt wie Seide, fast träge.

      Ich hatte mich seit Jahren nicht mehr so lebendig gefühlt, regelrecht lebensgierig. Ächzend streckte ich mich, bis ich jeden vernachlässigten Muskel zu spüren glaubte. Diese Mischung war so herrlich, ein bisschen Hirn (für die halbseidene Mordgeschichte) und ein bisschen Körper, der durch das kühle Seewasser pflügte.

      Und mir fehlte nur noch die Auflösung! Später... Jetzt wollte ich mich erst einmal ausstrecken und hier liegen bleiben, bis ich trocken war.

      Mit knapper Not schaffte ich es, nicht einzudösen (das hätte mir bei der Hitze sicher einen Sonnenstich eingebracht) und rappelte mich schließlich auf, um im Schatten weiter mein Hirn anzustrengen.

      Also, erster Arbeitstag nach Weihnachten. In Massimos Studio. Ein Kompressor auf dem Parkplatz! Eine der Näherinnen weist arglos darauf hin, dass der Wagen Florian Menzel gehört, der hier oft als Fotograf eingesetzt wird und auch für die Pressekontakte zuständig ist (diesem Aspekt würde ich etwas vage halten). Die Näherin gibt noch zu, dass sie diesen Florian unsympathisch findet, „irgendwie finster“. Warum, kann sie nicht sagen, sie kichert nur albern. Massimo, nach Florian gefragt, wird regelrecht gesprächig. Kunststück, er erkennt sofort, dass sich hier eine Chance ergibt, die ganze Sache einem anderen in die Schuhe zu schieben.

      Also erzählt er, Florian sei in Sabrina verliebt und durchaus eifersüchtig gewesen. Sándor ist überzeugt, Gärtner schüttelt nachsichtig den Kopf: „Du musst noch viel lernen! Das war doch viel zu plump. Der will wohl bloß seine Ruhe haben und dass wir verschwinden.“

      Ja, gut. Sándor fühlt sich schon wieder bemüßigt, Leonore aufzusuchen, ob sie über diesen Florian was weiß. Leonore arbeitet aber. Kurzes Treffen im Café gegenüber; Sándor sehr angetan. Sie auch? Vorsichtiges Interesse... Von diesem Florian weiß sie nichts. Gärtner hat sich Florian derweil höchstpersönlich vorgenommen. Ja, er kannte Sabrina, natürlich. Ja, er hatte auch mal was mit ihr, sie war gut im Bett. Nein, er war natürlich nicht eifersüchtig, er konnte jede Menge andere haben...

      Naja, so schön ist er wieder nicht, etwas klein, etwas dicklich, etwas zu semmelblond. Aber vielleicht hat er die Aura der Macht – kann Mädels in die Presse bringen oder auch nicht...

      Er schnieft ein bisschen. Gärtner erst mitleidig (Heuschnupfen? Erkältung), dann fällt der Groschen – Koks.

      Aha. Die Models mauern zuerst, aber dann gibt eine zu, dass man im Notfall von Florian was kriegen konnte... Dafür interessiert sich das Drogendezernat.

      Wusste Sabrina davon? Hat sie Florian erpresst? Sándor wird losgeschickt, Wohnungen und Bankverbindungen zu checken. Tatsächlich hat Sabrina erstaunliche Summen auf einem bescheuerten Sparbuch. Und ähnliche Beträge fehlen bei Florian... Sándor darf Florian verhaften, der alles zugibt – dass er gedealt hat, dass Sabrina ihn deshalb „an den Eiern“ hatte. Aber erstochen hat er sie nicht!

      Stimmt, sagt Gärtner. Sie hört sich noch