Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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tadelte ihr Vater sie. „Schau, es ist doch nur logisch, dass wir für Sabrina mehr Geld ausgegeben haben.“

       „Warum ist das logisch? Nicht, dass ich es nicht gewöhnt wäre, aber – logisch?“

       „Sabrina wird uns einen Schwiegersohn bescheren.“

       „Aber das wusstet ihr doch noch nicht, als ihr ihr diesen kostbaren Schmuck gekauft habt?“

       „Damit war doch zu rechnen. Lore, ich bitte dich! Man muss Sabrina doch nur ansehen! So ein hübsches Kind!“

       Jaja. Leonore gab es auf. Sabrina hatte tiefblaue Kulleraugen, blonde Locken und eine Figur wie Barbie, allerdings war sie nicht ganz so dämlich wie Barbie. Leonore dagegen hatte braune Haare, dunkelbraune Augen, eine Brille und eine ganz normale, eher etwas zu knochige Figur. Dafür verdiente sie mehr – eine Investmentbank konnte besser zahlen als ein aufstrebender Designer, der alle Gewinne selbst verbrauchte. Aber das interessierte ihre Eltern nicht – Frauen verdienten Geld nur, um sich davon eine Aussteuer anzuschaffen, damit einen Kerl anzulocken und ihrer eigentlichen Bestimmung nachzukommen.

      Äh. War das nicht doch ein bisschen platt? Dachten Eltern heute wirklich noch so? Auch wenn ohnehin keiner auf sie hörte? Wie konservativ konnte diese Generation wirklich noch sein? Andererseits gab es wirklich überall haufenweise Idioten…

      Und hatte Jörg nicht mal erzählt, dass seine frühere Freundin auch dauernd von ihren Eltern gefragt worden war, wann sie endlich heiraten würde? Mit noch nicht mal fünfundzwanzig?

      Doch, ich würde die Eltern so lassen. Das passte schon!

      Reichte das für heute? Ich hatte keine rechte Lust mehr, lieber setzte ich mich mit Schreibzeug nach draußen und überlegte, wie ich morgen weitermachen sollte. Draußen war es schon ziemlich finster; ich nahm zwei Windlichter mit und kaute dann nachdenklich auf meinem Kugelschreiber herum.

      Noch etwas Krach? Ist Leonore das Aschenputtel? Schließlich verlässt sie türenknallend das Haus (das dämliche Lexikon nimmt sie gar nicht mit) und fährt nach Hause – wohin gleich wieder? Ach ja, Sedanstraße.

      Sabrina hat während der ganzen Debatte drei Anrufe entgegengenommen (auf dem Gang). Dabei könnte sie ihren Designer und den Dealer Florian schon dezent unter Druck gesetzt haben.

      Was weiß sie? Zu Massimo del Ponte hatte ich schon alles festgelegt, und zu Florian? Sie hat gesehen, wie er einem Model (minderjährig! zu mager!) ein Tütchen zugesteckt hat...

      Und am nächsten Morgen findet man sie tot in ihrem schicken Appartement auf. Todesart... Eine Überdosis Koks? Nein... das würde ja sofort auf Florian hindeuten. Lieber erstochen, mit einem ganz dünnen Messer, und hübsch hindrapiert. Wer hat Zugang zu einem Skalpell?

      Leonore hat mit Medizin nichts am Hut – aber Massimo benutzt ein altes Skalpell als Trennmesser. Liegt in seinem Studio im Arbeitstisch und ist nun verschwunden... (logisch).

      Motive haben alle, zunächst vor allem Leonore und Jonas. Andererseits muss Sabrina den Täter entweder selbst reingelassen haben oder er hatte einen Schlüssel – Jonas erinnert sich schließlich daran, dass abgesperrt war.

      Wer hat einen Schlüssel? Leonore nicht! Jonas schon. Florian sagt nein, Massimo gibt es zu.

      Hm... gar nicht so übel. Vielleicht hatte Kathrin ja Recht, vielleicht konnte man echt besser arbeiten, wenn es nur Ganghofer zum Lesen gab und kein Fernseher da war. Aber für heute reichte es wirklich!

      Immerhin konnte ich Kathrin doch anrufen und melden, wie brav ich gewesen war! Ich fischte mein Handy aus der Tasche (Kathrin war doof, dass sie es mir nicht abgenommen hatte) und schaltete es ein.

      Oh, vielleicht war Kathrin doch nicht so doof? Ob sie gewusst hatte, dass es hier kein Signal gab? Ich wanderte einmal um die Hütte herum – nichts, nicht einmal einen Strich zeigte die linke Seite an. Die rechte war voll, Kunststück, das Ding war ja auch frisch aufgeladen. Nicht mal SMS konnte ich so checken! Frustriert schaltete ich wieder aus.

      Eigentlich war das doch auch gar nicht so schlecht, beruhigte ich mich selbst. Wenn sie am Sonntag wiederkam, würde ich ihr mit lässiger Geste das fertige Manuskript zuschieben, und dann hatte ich bis Ende August absolut frei und konnte mich im Helenenbad aalen, wenn gewöhnliche Sterbliche arbeiten mussten. Es sei denn mir fiel etwas für einen neuen Gabriele-Gärtner-Roman ein... der letzte war im April erschienen, Zeit wurde es allmählich.

      Trotzdem, für heute war es genug, und allmählich wurde ich auch ziemlich müde. Vielleicht war das die gesunde Landluft – Seeluft wäre wohl doch leicht übertrieben. Ich testete die Dusche, die schön warm war und erstaunlich hohen Druck aufwies, schloss alle Fensterläden und kroch ins Bett. Saugemütlich, wirklich!

      Am Mittwoch war ich vor Tau und Tag wach, weil von draußen ein Höllenlärm hereindrang. Schlaftrunken stieß ich den Fensterladen zur Terrassentür auf und schaute hinaus.

      Aha, Ehepaar Schwan hatte einen gewaltigen Krach – oder waren das zwei Männchen? Offensichtlich! Im Schilf schwamm Madame Schwan samt vier grauflaumigen Teenagern und guckte zu, wie sich die Männer (blöde wie immer) um sie, um das Revier oder um sonst was stritten und nacheinander hackten. Schließlich ergriff einer der beiden die Flucht, und der andere ließ sich von seiner Frau loben. Das war doch seine Frau? Jedenfalls schien er mit den Küken ordentlich umzugehen, was mich beruhigte.

      Frau zieht mit vier Kindern zu einem anderen Mann... Könnte man daraus etwas machen? Ich nahm mir vor, die Idee wenigstens aufzuschreiben, und hoffte, dass der unterlegene Gegner nicht später mit ein paar Kumpels wiederkam. Hatten Schwäne überhaupt Kumpels? Lebten die nicht nur lebenslänglich als Paar zusammen? Vielleicht sollte ich mir erstmal die Zähne putzen, überlegte ich, bevor ich zu tief in das Familienleben der Schwäne eintauchte.

      Duschen? Oder schwimmen gehen? Schwimmen gehen, beschloss ich. Aber nicht sofort, die Sonne war ja noch nicht einmal aufgegangen. Zuallererst – einen Kaffee!

      Ich schrieb, den Kaffeebecher in sicherem Abstand, fast zwei Stunden zügig weiter, bis ich den Familienkrach abgeschlossen hatte und die arme Leonore wutschnaubend in ihre elegant-sachlich eingerichtete Altbauwohnung abgerauscht war (ihre Eltern hatten die noch nie besichtigt, sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, Sabrinas Appartement zu bewundern). Die arme Leonore tat mir richtig Leid, aber bevor sie weinend auf ihr Designersofa sinken konnte, kam doch die Vernunft wieder bei ihr durch und sie versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie doch eigentlich daran gewöhnt war, dass Sabrina das Lieblingskind war. Aber im Sommer würde sie nicht mehr nach Solln fahren, um dort den Rasen zu mähen!

      Schmuck gegen Lexikon – ich ließ sie noch ein bisschen mit dem Schicksal hadern, aber dann stand Leonore doch tapfer auf, schniefte einmal und hielt sich vor Augen, dass sie es mit neunundzwanzig immerhin zu einer abbezahlten Vierzimmerwohnung und einem krisenfest zusammengestellten Wertpapierdepot gebracht hatte und überhaupt keinen Mann brauchte. Und keine Lust hatte, dauernd nur für ihr Aussehen zu leben wie Sabrina. Und dass die Bewunderung ihrer Eltern eigentlich recht lästig sein musste.

      „Tapfer, Leonore“, murmelte ich vor mich hin und schickte sie mit einem Liebesroman ins Designerbett.

      Mittlerweile war die Sonne nicht nur aufgegangen, sondern wanderte auch gerade um die Hütte herum. Ich legte mir mein Notizbuch, Handtuch und Sunspray bereit und stieg die Metalltreppe vorsichtig hinunter.

      Toll, das Wasser war deutlich kälter als in diesem pisswarmen Mönchensee. Kälter, sauberer, frischer. Ich schwamm bis aus der Bucht heraus, ließ mich auf dem Rücken treiben, strampelte vor Wohlbehagen, schwamm noch etwas weiter und kehrte schließlich wohlig ausgearbeitet und erfrischt an meinen höchsteigenen Badesteg zurück.

      Sollte ich Kathrins Eltern diese Hütte abkaufen? Ich könnte jeden Sommer hier verbringen... Gut, wenn es, so wie vor einer Woche, ununterbrochen regnete,

      konnte es hier vielleicht ein ganz klein wenig trübsinnig werden.

      Ich trocknete mich ab und ließ mich auf die Holzbank sinken. Bei schönem