Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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der mich erfreut begrüßte und peinlicherweise fragte, wie es meinem Beitrag zu Mörderische Weihnachten ging.

      „Es geht voran“, schwindelte ich, „und bei Ihnen?“

      „Ich bin fertig. Meine Frau tobt den ganzen Tag mit den Kindern im Garten herum, da konnte ich richtig zügig arbeiten. Wenn man erst einmal die zündende Idee hat – na, Sie kennen das ja.“

      Ja, vom Hörensagen vielleicht! Natürlich nickte ich und setzte ein erfahrenes Gesicht auf. „Tja, ich werde dann mal Frau Horst zeigen, was ich bis jetzt habe. Noch bin ich im Konzeptstadium, aber wie Sie so richtig gesagt haben – wenn man erst einmal die zündende Idee hat...“

      Er lachte und sprang die Treppe hinunter.

      Hm. Wieso war der schon fertig? Elender Streber! Und damit fehlte mir schon wieder ein Argument (Tu doch nicht so, als ob alle anderen schon abgegeben hätten) – Mist!

      Aus dem Zimmer neben Kathrin winkte mir die Redaktionsassistentin, Frau Kasparek, zu. Die war nett - und sie fand jedes verlegte Manuskript in Minutenschnelle. Leider hatte sie Kathrin nichts zu sagen.

      Nicht, dass Kathrin nicht total in Ordnung gewesen wäre, aber da ich seit meinem ersten Roman immerzu in Verzug war und deshalb immerzu gerüffelt wurde, war es kein Wunder, dass ich immer ein bisschen Angst vor ihr hatte. Einmal schon früher als erwartet mit einem fetten, fehlerfreien Manuskript wedeln können! Jedes Mal nahm ich mir vor, gleich anzufangen oder nichts anzukündigen, solange ich noch gar nichts vorzuweisen hatte, aber bis jetzt war mir das noch nie gelungen.

      Zaghaft klopfte ich an Kathrins Tür, nachdem ich die Mappe mit meinen Entwürfen dekorativ unter den Arm geklemmt hatte, und öffnete sie auf ihren Ruf hin. Kathrin stand auf und kam mir entgegen, aber dann stutzte sie.

      „Oh – oh!“

      „Was ist?“, fragte ich nervös.

      Sie grinste flüchtig. „Du hast dich ja so aufgebrezelt – das lässt mich das Schlimmste befürchten!“

      „Wie bitte?“ Vielleicht nützte Doofstellen ja doch mal was?

      „Melli, wenn du dich korrekt anziehst, willst du überspielen, dass du nicht fertig bist. Ich kenn dich doch. Hättest du da eine fertige Geschichte drin, wärst du in diesen rutschenden, verbeulten Jogginghosen aufgetaucht, die du aus unerfindlichen Gründen so liebst.“

      „Dass ich nicht fertig bin, weißt du doch schon! Aber ich hab ein paar Entwürfe, und du kannst mir sagen, welchen du am besten findest.“

      Wahrscheinlich gar keinen, stand zu befürchten.

      Kathrin setzte sich wieder, ließ Kaffee kommen und streckte die Hand nach der Mappe aus. Dann legte sie alle mit Büroklammern markierten Häufchen nebeneinander auf den Tisch, setzte sich diese arrogante Halbbrille auf und griff nach dem ersten Geheft. Eher dick, das musste die WG-Geschichte sein.

      Sie las vertieft und sah nicht einmal auf, als ihre Sekretärin den Kaffee brachte. Ich betrachtete meine Fingernägel, den staubgrauen Teppichboden, den Blick aus dem Fenster, die Reihe von Romanen, die sie betreut hatte, im Regal und beobachtete dann wieder Kathrin.

      Schließlich legte sie die Seiten hin und warf mir über die Brille hinweg einen Blick zu. „Das ist nicht dein Ernst!“

      „Naja, top ist es nicht, entweder total offensichtlich oder an den Haaren herbeigezogen.“

      „Eben. Also, das vergessen wir mal ganz schnell.“

      Sie nahm sich den erpresserischen Nikolaus vor, überflog das Blatt und lachte dann spöttisch auf. „Naja, merk dir das Ganze mal für eine Nebenhandlung vor – aber als Kurzgeschichte? Ich weiß nicht.“

      Die verfeindeten Schwestern entlockten ihr ein schlappes Lob: „Das geht zur Not – aber ein etwas raffinierteres Motiv dürftest du schon einbauen.“

      „Er tut doch bloß so, als sei es Eifersucht gewesen, sie hat doch von seinen Drogengeschäften was mitgekriegt!“, erklärte ich eifrig.

      „Welche Drogengeschäfte?“ Kathrin studierte ratlos das magere Exposé.

      „Sind mir gerade so eingefallen“, murmelte ich verlegen.

      „Drogengeschäfte...“, wiederholte sie halblaut und kritzelte etwas an den Rand. „Ja, das könnte gehen. Also, den Gold Digger gibt´s dafür nicht, aber wenn du was draus machst...“

      Sie nahm sich alle meine Überlegungen zum Familienkrach unter dem Christbaum vor. „Nein, das hat nicht Hand noch Fuß. Okay, die feindlichen Schwestern kannst du nehmen, denke ich. Du hast neunzehn Tage – schaffst du das?“

      „Klar“, versicherte ich voller Überzeugung.

      „Naja!“ Kathrin warf mir einen misstrauischen Blick zu. „Ich weiß ja nicht – wie ich dich kenne, hast du am neunundzwanzigsten eine unschlagbare Ausrede und nichts fertig. Kannst du deine blühende Phantasie nicht mal zum Schreiben verwenden statt zum Anlügen deiner geplagten Lektorin?"

      Ich kicherte dankbar – sie hatte einen Scherz gemacht! Sie war nicht ernsthaft sauer! Sie verlangte den Vorschuss nicht zurück!

      „Lach nicht! Schwörst du mir, dass du rechtzeitig fertig bist?“

      „Klar“, wiederholte ich. Neunzehn Tage, das war ja noch ewig!

      „Ich traue dir nicht. Du geht doch wieder in den Biergarten oder ins Freibad und liest fremde Krimis, anstatt deinen eigenen fertig zuschreiben... Du hast einfach zu viel Ablenkung, das ist das Problem.“

      „Ich bleibe die ganze Zeit zu Hause und gehe nicht ans Telefon“, versprach ich hastig, weil ich verhindern wollte, dass sie täglich meine Fortschritte kontrollierte. „Und du siehst nicht fern? Schmökerst nicht?“

      „Ich schwör´s!“

      „Dann wirst du putzen. Ich kenne dich doch, wenn du schreiben sollst, tust du alles Mögliche andere.“

      „Nein, bestimmt nicht. Du wirst schon sehen, am einunddreißigsten hab ich ein perfektes Manuskript fertig.“

      „Das wäre das erste Mal. Verdammt, Melli, wenn du nicht so gut schreiben würdest – wenn du mal schreibst! – hätte ich schon längst die Geduld mit dir verloren, das kann ich dir sagen.“

      „Ja, ich weiß. Und es tut mir auch Leid. Aber schau, jetzt hab ich doch einen Plot. Und die Story mit den beiden Schwestern ist doch ausbaufähig, oder?“

      „Jaja... Nicht, dass du dann kommst und sagst, es ist doch ein Roman geworden, weil du die Story zu sehr ausgebaut hast!“

      „Nein, ich halte mich strikt an die fünfundzwanzig Druckseiten, bestimmt. Du kannst mir vertrauen.“

      Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen hinter der ekelhaften Brille. Warum trug sie so etwas, das machte doch total alt? Und dabei war sie fast vier Jahre jünger als ich, aber dermaßen tough, dass alle vor ihr zitterten.

      „Das reicht mir nicht“, sagte sie schließlich.

      „Muss ich meinen Vorschuss zurückzahlen, wenn ich nicht rechtzeitig fertig bin?“, versuchte ich zu witzeln.

      „Das sowieso“, antwortete sie gleichmütig und ich erschrak wirklich.

      „Ich hab eine Idee, wo du schreiben könntest, ohne dauernd abgelenkt zu werden. Nur du, die Natur und dein Laptop.“

      „Willst du mich auf eine Berghütte verbannen?“

      „So was Ähnliches“, sagte sie langsam, „nur nicht gerade auf einen Berg. Pass auf, kennst du den Eulenburger See?“

      „Dem Namen nach. Er ist etwa eine Stunde von hier entfernt, heißt nach diesem Nest Eulenburg am Ostufer und soll ziemlich kalt sein. Warum?“

      „Meine Eltern haben eine Hütte am Eulenburger See. Nein, grins nicht so vergnügt – in einer Bucht am Westufer, da gibt´s kein Nachleben und keine Surfer,