Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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Brille. Und ihre Haare waren einfach nur braun, während Sabrina verführerisch platinblond war und ihre blauen Augen aufregend funkelten. Leonores Augen waren dunkelbraun, samtig und tief, aber unter der Brille kam das nicht so gut zur Geltung. Was machten die beiden beruflich?

      Leonore war gescheit (klischeehafter Schwachsinn!), sie war Betriebswirtin und arbeitete bei einer Investmentfirma. Und Sabrina – hm. Nagelstudio war wohl zu blöde, Friseuse auch, das war hier doch kein Manta-Film!

      Es sollte etwas Mittelgescheites sein... und wenn sie irgendwie auf Florians Drogengeschäfte gekommen war... in welchen Branchen kam das häufiger vor? Mode? Film? Mode war nicht übel, sie konnte bei einem Designer arbeiten, das hatte auch genügend Glamour, um die Eltern zu blenden, die ja die brave Leonore verachteten. Gut, das konnte ich nehmen. Und der Designer konnte auch noch Dreck am Stecken haben. Wie sollte der denn überhaupt heißen? Was Italienisches, aber in Wahrheit stammte er natürlich hier aus der Vorstadt. Nein, hier würde ich das nicht spielen lassen, unser liebes Kaff hatte kein Flair. München musste es schon sein. Also, Adressen – nicht zu genau, sonst musste ich noch mal hinfahren. Oder es beschwerten sich Leute, dass in ihrem unbescholtenen Haus ein Mord oder Drogengeschäfte passiert sein sollten... Also:

      Die Eltern kriegten ein kleines Einfamilienhaus, in... Solln. Gute Gegend, und das kannte ich als gebürtige Forstenriederin. Sabrina musste etwas Schickes haben, ein Appartement in... in... Harlaching, das war zwar nicht in, aber mehr oder weniger eine Society-Gegend.

      Leonore hing noch etwas an der Denkweise aus Studententagen, sie wohnte in Haidhausen. Sedanstraße oder so, da war es ganz schön... Der Designer hatte sein Studio in der Falkenturmstraße. Sehr edel, gleich um die Ecke war die Maximiliansstraße.

      Jonas kriegte was in Schwabing, der dealende Florian auch, aber mehr in der Nähe der Münchener Freiheit, Jonas sollte in der Maxvorstadt bleiben. Ja, das passte alles recht gut. Und die Männer musste ich erst skizzieren, wenn sie auftauchten.

      Halt, wie hieß nun der Designer? Massimo del Ponte! Klasse, geboren als Max Brückner in – in Untersendling, genau! Ein weiter Weg in die Falkenturmstraße. Und nicht ganz legal zurückgelegt. Er konnte beim Abschluss der Modeschule geschummelt haben... seine besten Entwürfe, für die erste Modenschau, mit der berühmt geworden war, einer Kollegin geklaut haben, die aus Liebeskummer (nein, nicht wegen ihm, er war – Überraschung! – schwul) Selbstmord begangen hatte. Nicht einmal der freundlichste Kritiker konnte behaupten, ich sei hier neue Wege gegangen oder hätte eine ungewöhnliche Sichtweise entwickelt...

      Ich schrieb, was die Leute lesen wollten, schließlich wollte ich davon leben. Tja, jetzt half aber alles nichts mehr, jetzt musste ich dann wohl doch mal mit der Geschichte anfangen.

      Hunger hatte ich... Nein, gekocht wurde jetzt nichts, ich konnte beim Tippen ein Käsebrot und eine Handvoll Chips futtern.

      Brösel verstreuend, richtete ich die Seite korrekt ein und starrte ins Leere, bevor ich anfallsartig zu tippen begann.

       Leonore wickelte ihr Geschenk bedächtig aus, ohne die Schleife zu zerschneiden oder das Papier zu zerreißen. Sabrina dagegen riss die Verpackung ungeduldig ab und quietschte dann so laut auf, dass sie sogar die Wiener Sängerknaben - Ihr Kinderlein kommet – übertönte. „Ist ja irre! Danke, danke, danke, das trage ich gleich morgen auf dieser Superfete!“ Sie küsste ihre Eltern begeistert ab; Leonore kam näher, um sich dieses überwältigende Geschenk näher zu betrachten, und hielt dann die Luft an: Ein Collier?

       „Ist das echt?“, flüsterte sie benommen.

       „Was denkst du denn, natürlich!“, entgegnete ihr Vater entrüstet, musste dann aber lachen, weil Sabrina wie als Kind auf seinen Schoß geklettert war und ihm nun fast die Brille von der Nase schubste.

       „Weißgold oder Platin?“, fragte Leonore weiter.

       „Weißgold“, entgegnete ihre Mutter knapp. Na, wenigstens nicht auch noch Platin!

       „Schaut toll aus“, lobte Leonore matt und packte ihr eigenes Geschenk fertig aus. Der nächste Band des Konversationslexikons, das sie nie hatte haben wollen... Wenn sie wirklich etwas wissen wollte, surfte sie im Internet oder benutzte ein Lexikon auf CD.

       Sabrina bekam ein Collier und sie selbst bloß einen lumpigen Lexikonband? Ungerecht war das schon, aber die Eltern hatten Sabrina immer schon vorgezogen.

      Ich lehnte mich zufrieden zurück. Das war doch schon ein ganz guter Anfang, oder? Langsam wurde es hier etwas dämmerig; ich setzte mich erst einmal nach draußen und beobachtete, wie es über dem See dunkel wurde und in Eulenburg die Lichter angingen. Im Yachtclub schien es ein Fest zu geben, jedenfalls konnte man die bunten Lichterketten bis hierher erkennen. Schön... die mussten sich ja auch keine Kurzgeschichte mit Mord an Weihnachten ausdenken! Jaja, hätte ich eben früher angefangen, ich wusste es doch selbst.

      Noch ein bisschen!

       „Leonore, hilf mir bitte in der Küche“, bat ihre Mutter, und innerlich schäumend, aber nach außen die übliche Gelassenheit zeigend, folgte Leonore ihrer Mutter, schnitt Baguette auf, polierte Weingläser nach, rührte den Geflügelsalat und den traditionsreichen Heringssalat noch einmal um und trug alles ins Wohnzimmer, wo ihr Vater und Sabrina immer noch auf dem Sofa saßen. Sabrina ließ das Collier durch die Finger gleiten, so dass es im Licht der Christbaumkerzen funkelte, und ihr Vater betrachtete sie stolz.

       „Du wirst toll damit aussehen, mein Schätzchen.“

       „Ja“, antwortete Sabrina einfach, „muss ich auch. Ich hab morgen Abend etwas Wichtiges vor. Da muss einfach alles klappen. Was würdest du sagen, wenn ich euch nachträglich einen Schwiegersohn beschere?“

       „Das wäre ja fantastisch!“, jubelte die Mutter los, während Leonore weiter Schüsseln auf dem Tisch zurechtrückte und innerlich bis zehn zählte.

       „Endlich heiratet eine meiner Töchter! Dass Leonore keine Anstalten macht, ist ja klar, aber ich dachte schon, du enttäuschst mich auch. Wer ist es denn?“

       „Sag ich noch nicht“, schmunzelte Sabrina und hielt sich das Collier wieder einmal an ihr makelloses Decolleté, „vielleicht klappt es ja doch nicht.“

       „Aber Kindchen, was du anpackst, klappt doch immer. Dann bist du am zweiten Feiertag verlobt... herrlich!“

       „Viel Erfolg“, wünschte Leonore und bemühte sich, nicht verkniffen zu klingen.

       „Schön, dass du deiner Schwester auch einmal gratulierst“, kommentierte ihre Mutter nicht ohne Schärfe. „Du hast den Pfeffer vergessen.“

       „Entschuldigung.“ Leonore ging ihn holen. Am besten sollte ich danach knicksen und mich in die Küche zurückziehen, dachte sie dabei wütend, halten die mich hier für das Dienstmädchen?

       „Hast du dich überhaupt schon für dein Geschenk bedankt?“, fragte ihr Vater, während er sich großzügig aus den Salatschüsseln bediente.

       „Nein. Vielen Dank“, murmelte sie und zerbröselte ihr Brot.

       „Weißt du, mit Schmuck könntest du ja nichts anfangen“, meinte ihre Mutter freundlich, „in deiner Situation sind Bücher wohl doch das Vernünftigste.“

       „In meiner Situation?“, fragte Leonore spitz nach.

       „Naja... du heiratest ja doch nicht mehr. Und überhaupt...“

       Was sollte man darauf schon antworten? Sabrina enthob sie der Suche, weil sie fröhlich auflachte. „Statt abends um die Häuser zu ziehen, kannst du dann ja im Lexikon lesen, was?“

       „Und wenn ich mal pleite bin, kann ich das Lexikon für ein Schweinegeld verkaufen, was?“, fauchte Leonore sie an, nun endgültig sauer. „Sicher