Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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weiter zu planen. Weiter tippen konnte ich schließlich auch, wenn die Sonne um die Ecke verschwunden war! Ich tupfte mir noch etwas Sonnenschutzmittel auf die Nase und sprühte sicherheitshalber auch die feuchte Vorderseite dünn ein, dann schlug ich mein Notizbuch auf.

      Erster Feiertag, zehn Uhr vormittags: Die Polizei läutet bei Leonore, die ganz verwirrt ist...

      Ich schrieb hektisch, weil die Ideen plötzlich nur so sprudelten. Leonore ist völlig fertig, als die Kommissarin ihr erzählt, man habe Sabrina tot aufgefunden, Leonore erzählt, was sie weiß – viel ist es nicht. Sie ist aber bereit, mit zu ihren Eltern zu fahren. Angesichts dieser Tragödie ist der Ärger von gestern doch völlig belanglos.

      Mama und Papa weigern sich zuerst, die Nachricht zu glauben, und stressen die Kommissarin und ihren Assistenten mit Erzählungen, wie toll Sabrina war/ist, dass sie heiraten wollte, dass sie beruflich so erfolgreich war und so schön und lieb und erfolgreich...

      Als ihnen schließlich aufgeht, dass ihre geliebte Tochter tot ist, ermordet, schlägt die Mutter hysterisch auf Leonore ein und beschuldigt sie, ihre Schwester ermordet zu haben.

      Gärtner und – äh, hatte der Assi schon einen Namen? Hektisches Geblätter – nichts. Im Laptop? Den wollte ich jetzt aber nicht anwerfen... ich musste schauen, dass ich mit den Akkus auskam, und getippt wurde erst, wenn die Schatten länger wurden. War der Assi nicht ein Ungar? Stimmte ja, Sándor Nagy!

      Also, Gärtner und Nagy schauen Leonore sehr verdächtig an. Ansonsten haben sie bloß noch Jonas, der Sabrina gefunden hat.

      Und ihren Chef muss man noch informieren, vielleicht weiß der noch was? Jedenfalls soll Leonore die Stadt nicht verlassen – das Übliche eben. Sie bleibt nicht bei ihren Eltern, da die Mama ihr kreischend die Tür weist und Papa die Enterbung ankündigt. Also fährt sie heim und denkt nach, aber sie weiß einfach zu wenig über Sabrina.

      Gut, dass ich nicht in Ich-Form geschrieben hatte, so konnte ich doch leichter die Perspektive wechseln und verfolgen, wie Gärtner und Sándor den Chef aufsuchten.

      Der reagiert nicht wie der klassische Italiener (Kunststück, er ist ja auch keiner, aber ich wollte doch wenigstens ein Klischee auslassen), sondern eher erstarrt. Dann erzählt er, dass er und Sabrina heiraten wollten (muss er, weil er nicht weiß, wo Sabrina die Beweisstücke versteckt hat, und wenn er sie heiraten wollte, hatte sie ja wohl keinen Grund, ihn zu erpressen. Natürlich hat er ihre Wohnung durchsucht) und macht überhaupt einen auf am Boden zerstört.

      Sehr glaubhaft. Er baut Sabrinas Anteil am Geschäft etwas aus, aber in Wahrheit war sie mehr Mädchen für alles als wirkliche Assistentin – Termine, Studio fegen, Stoffe abholen...

      Alles sehr stimmig, aber er gefällt Sándor nicht, obwohl er nicht sagen kann, warum. Gärtner tadelt ihn – man arbeitet nach Fakten, nicht nach Intuition.

      Wen gibt es noch bei del Ponte? Gelegenheitsmodels, Näherinnen...

      Verdammt, wer konnte die beiden auf den dealenden Florian hinweisen? Das eine Model wohl nicht, das von ihm seinen Koks bezog. Außerdem war das Studio am ersten Weihnachtstag kaum geöffnet.

      Konnte der arme Jonas etwas von Florian wissen – oder nur so allgemein, dass da noch ein anderer war? Und zwar nicht Massimo? Puh, war das heiß! Aber so hatte ich doch schon ein schönes Stück... und Hunger, wenn ich es recht bedachte. Eigentlich hätte ich jetzt gerne mit einem Krimi und einer Tüte Chips im Schatten gesessen, aber es mangelte mir am Krimi. Chips waren noch da... Ich holte mir eine frische Tüte, zog in den Halbschatten um und überlegte, was ich in meiner wohlverdienten Mittagspause machen sollte.

      Lieber erst noch einmal schwimmen gehen, jetzt schien die Sonne gerade so schön auf den See – und auf dem Steg konnte man sich auch noch eine Zeit-

      lang trocknen und bräunen.

      Das Wasser war womöglich noch herrlicher als am Morgen. Ich schwamm und plantschte fast eine Stunde herum, bis ich die Leiter nur noch hochtaumeln konnte und wunderbar müde auf dem Steg auf mein Handtuch fiel. Sommer wie früher... Wir hatten die Ferien meist auch an irgendeinem See verbracht. Das Holz unter mir roch noch genauso wie früher, und die Pfosten des Stegs, sicher mit irgendwelchen Algen bewachsen, ebenfalls. Sogar der leise Fischgeruch war typisch. Ich räkelte mich auf meinem Handtuch und fühlte mich mit der Welt im Einklang.

      Schließlich wurde es mir aber doch zu heiß, außerdem war ich nun einigermaßen trocken. Zurück an die Arbeit!

      Mein Notizbuch sah mich vorwurfsvoll an, als ich mich setzte und die Chipstüte aufriss. Wo war ich stehen geblieben?

      Genau – wer sollte Gärtner und Nagy auf die Existenz des bösen Florian hinweisen? Vielleicht doch irgendeins der Models – an einem Arbeitstag.

      Aber jetzt ging es ja erst einmal am ersten Weihnachtsfeiertag weiter. Die beiden haben noch keinen Obduktionsbericht und nicht viel mehr als ein bekritzeltes Flipchart.

      Leonore trauert doch um ihre schöne, wenn auch nicht übermäßig schlaue Schwester, die Eltern fühlen sich nun kinderlos (deren Problem!), Jonas kommt bei Leonore vorbei und muss getröstet werden. Leise Annäherung (aber wirklich nur ganz leise!). Abends schaut auch Nagy noch einmal vorbei, mit einer eher dämlichen Frage, nämlich, wie viele Freunde Sabrina eigentlich hatte – woher soll Leonore das wissen? Gut, drei Anrufe, aber das müssen ja nicht alles Lover gewesen sein.

      Das reichte fürs Schreiben heute Abend locker, das waren mindestens zehn Seiten.

      Nagy verdächtigt Jonas, Gärtner verdächtigt Leonore... und der Designer kommt beiden etwas seltsam vor. Außerdem gefallen Gabriele Gärtner seine Entwürfe nicht.

      Schluss jetzt! Lieber ging ich noch einmal schwimmen. Eigentlich war es ganz gut, dass hier ein solches Funkloch herrschte, so konnte Kathrin mich auch nicht anrufen, um zu kontrollieren, ob ich auch brav in die Tasten klapperte. Ich paddelte träge um den Steg herum, beobachtete die winzigen Segelschiffe auf der anderen Seite des Sees und die kleinen schwarzen Föhnwölkchen vor dem türkisblauen Nachmittagshimmel, dehnte und streckte mich und fühlte mich rundherum wohl. Ich sollte Kathrin wirklich freiwillig anbieten, alle meine Machwerke hier zu verbrechen! Na gut, nicht gerade im November, da schwebte mir dann eher eine Dachkammer hoch über Paris vor. Ob ihre Eltern so etwas auch auf Lager hatten? Langsam wurde es kühl im Wasser, die Schatten waren schon ziemlich lang. Ich kletterte wieder auf den Steg, trocknete mich ab und ging ins Haus. In trockener Kleidung kam ich zurück und hängte den gewaschenen Bikini über die Brüstung.

      So, weiter im Text! Sollte ich schon tippen? Na gut, ein Stück vielleicht! Aber erst eine Zigarette...

      Danach schaffte ich tatsächlich etwa vier Seiten Verhöre, Mutmaßungen und sogar die Besuche von Jonas und Sándor bei Leonore, die mittlerweile völlig verwirrt ist. Super! Erst – was, erst fünf? – und ich hatte schon fast die Hälfte der Geschichte getippt! Und meinen Vorrat aufgebraucht! War ich gut!

      Jetzt konnte ich mir eigentlich überlegen, was am zweiten Feiertag passieren sollte.

      Gabriele Gärtner hat Ärger mit ihrem Freund, weil sie an den Feiertagen arbeiten muss. Ich ärgerte mich – das war doch mal wieder typisch: Müsste er arbeiten und sie würde zetern, wäre sie eine Zicke, die keinen Sinn für seine Karriere hat. Blöder Hund! Gerade rechtzeitig fiel mir noch ein, dass ich mir diese Flachpfeife ja selbst ausgedacht hatte. Außerdem wäre wohl jede(r) sauer, wenn er die Feiertage ganz alleine verbringen musste. Gärtner und Nagy sind ratlos. Sie haben den trauernden Verlobten, den treuen Freund, die missgünstige Schwester, die hysterischen Eltern.

      Gärtner wundert sich: trauernder Verlobter und treuer Freund? Und beide hatten einen Schlüssel? Sie nimmt sich Jonas noch einmal vor, der auch sofort zugibt, dass er mit Sabrina geschlafen hat, und über die Tatsache, dass Massimo mit ihr verlobt war, ziemlich staunt. Ich dachte, der ist schwul?

      Oh. Ernsthaft, warum will so einer eine Frau heiraten? In dieser Branche muss er ja nun wirklich kein Outing befürchten!

      Nagy: Mit diesem del Ponte ist was faul. Außerdem haben sie jetzt seine echten Personalien – haha! Aber warum sollte er dieses Märchen von