Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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sehen konnte als in der Stadt, wirkten heute matt und verschleiert.

      Vielleicht schlug ja das Wetter um und ich war deshalb so unruhig? Ich schlich wieder ins Bett zurück, sobald ich müde wurde, schlief kurz und wachte dann wieder auf, weil das Kissen warm und feucht war, schweißgetränkt und unangenehm auf der Haut. Überall spürte ich den dünnen Feuchtigkeitsfilm, der nicht verdunsten konnte. Sollte ich schwimmen gehen? Nein, nicht im Dunklen, dazu war ich zu feige: Was, wenn ich die Treppe nicht mehr fand? Natürlich hätte ich eine Kerze suchen können... Es genügte vielleicht auch, auf dem Steg zu sitzen und die Füße in das kühle Seewasser zu hängen. Da ich mir aber bald einbildete, mich könnte etwas im Wasser beißen (Der weiße Hai ließ von ferne grüßen), zog ich die nassen Füße wieder an und starrte auf die verschleierten Lichter.

      Zurück ins Bett... verdammt! Zurück auf den Steg... Wie spät? Halb vier... Nein, um halb vier musste man nicht aufstehen. Ich würde es noch einmal probieren, ohne Bettdecke. Der gute Vorsatz klappte, bis Viertel nach vier. Dann war es endgültig aus, und ich gab auf, duschte kalt, trocknete mich gründlich ab, schlüpfte wieder in den Bikini und knotete den Pareo um die Taille.

      Im Osten verfärbte sich allmählich der Himmel, und sobald der See in ein mildes graublaues Licht getaucht war, ließ ich mich erleichtert ins Wasser fallen. Herrlich, vor allem im Vergleich zu dieser schwülwarmen Luft!

      Hinterher gab es Kaffee, eine Zigarette, die letzten beiden Pfirsiche und den Rest der Schwestern-Geschichte. Es fehlten ja ohnehin nur noch der Showdown in Leonores Wohnung, Jonas´ Lügenversuche, vielleicht ein Spotlight auf Sabrinas Begräbnis – ach nein, das trug zur Auflösung nun auch nichts mehr bei, und ich war schon auf Seite 25 – in der Mitte. Der Platz reichte gerade noch für die Auflösung und den Kuss zwischen Sándor und Leonore.

      Ich schloss den Drucker an – für zweihundert Seiten musste der Akku reichen – druckte alles aus, schaltete den Drucker wieder aus und setzte mich mit dem Text und einem Rotstift nach draußen. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen, aber sie schien ausgefranst und farblos durch die Dunstschleier. Ihrer Hitzewirkung tat das allerdings gar keinen Abbruch, es hatte schon wieder mindestens fünfunddreißig Grad in der Sonne – dabei war es kaum acht Uhr!

      Ich schwitzte still vor mich hin, korrigierte Tippfehler, formulierte einen Dialog um, strich einige auchs, mit denen ich gerne zu großzügig umging, und markierte, wo das Skalpell-Trennmesser schon erwähnt werden sollte – natürlich ganz nebenbei, um den Leser nicht unnötig aufmerksam zu machen.

      Drinnen war es fast angenehmer als draußen, wenn man die Fenster öffnete, so dass es leichten Durchzug gab. Ich hängte den Drucker wieder an, druckte die verbesserte Fassung aus, zog den Text auf CD und packte alles in eine gepflegte Klemmmappe. So, Kathrin, da wirst du aber staunen!

      Der Drucker landete wieder in der Ecke, obwohl ich nicht glaubte, dass ich den Rest vom Akku noch für die Geschichte mit den vertauschten Geschenken aufheben musste – die druckte ich dann wohl besser zu Hause aus.

      Sollte ich damit gleich weiter machen?

      Nein, für heute reichte es eigentlich, und bei diesen unangenehmen Witterungsverhältnissen sollte man sich ja auch nicht überanstrengen! Lieber ging ich wieder schwimmen; mittlerweile war es wirklich nur im Wasser gut auszuhalten.

      Keine echte Wolke am Himmel, nur dieser dampfige Schleier. Er schien auch die Geräusche zu dämpfen, jedenfalls klangen die Zänkereien der Enten und Schwäne heute leiser und die Rufe der Segler mitten auf dem See auch, die das Wasser sonst kilometerweit zu tragen schien.

      Ich plantschte träge herum, schwamm ein paar Stöße, ließ mich auf dem Rücken treiben, schwamm wieder, tauchte unter, versuchte, nur im Schatten zu schwimmen, was aber um diese Zeit schwer zu bewerkstelligen war, und schwitzte an allen Stellen, die nicht unter Wasser waren. Außerdem tauchten nun jede Menge Mücken und Bremsen auf. Untergetaucht war ich in Sicherheit, aber feuchte Haut schien die Mistviecher geradezu magisch anzuziehen. Entnervt stieg ich wieder aus dem Wasser, rubbelte mich gründlich ab und sprühte mich großzügig mit Mückenschutz ein, in der Hoffnung, das würde auch die Bremsen abschrecken.

      Ganz klappte das nicht – und man bemerkte die blöden Viecher immer erst, wenn sie schon gestochen hatten. Schließlich hatte ich drei heftig juckende Quaddeln, auf dem linken Arm, dem rechten Oberschenkel und auf der Schulter. Ich verteilte großzügig Spucke darauf und nebelte mich dann in Zigarettenrauch ein – das schien tatsächlich zu helfen. Gut, die Sache mit den vertauschten Geschenken. Er traut sich nicht, jemanden einzuweihen, weil das Ganze strikt geheim bleiben muss und er Ärger kriegt, wenn herauskommt, wie dämlich er war.

      Also versucht er, sich an Julia heranzumachen und das Geschenk zu klauen. Viel Zeit hat er nicht mehr, in einer Woche ist Weihnachten!

      Julia will ihn aber so schnell nicht in die Wohnung lassen. Er forciert das alles so, dass sie ihn für einen dummen Macho hält. Außerdem hat sie schon einen.

      Das kann ihm egal sein – nein, eigentlich nicht, sie gefällt ihm. Aber er braucht sein Geschenk zurück, um dem großen Boss klarzumachen, wie knapp der dem Skandal entgangen ist. Er sollte die Anmerkung auf dem Foto lieber doch nicht mit seinen Initialen signieren, fiel mir ein. Oder war das nur ein Deckname?

      Diese Überlegung überforderte mich schon wieder, wie ich da saß, gegen die Bremsen anrauchte und still vor mich hin schwitzte.

      Alles egal, vorläufig. Jedenfalls bricht er in ihre Wohnung ein, findet das Geschenk aber nicht (alle sehen gleich aus!) und wird prompt von Julia erwischt. Er gibt das Ganze schnell als große Leidenschaft aus, aber sie ist sich nicht ganz sicher, ob sie ihn nicht doch anzeigen sollte. Er küsst sie und fängt eine gewaltige Watsch´n dafür – aber sie zeigt ihn nicht an. Und jetzt hängt die Geschichte fest, überlegte ich missmutig. Was sollte er denn jetzt noch machen? Julia war auf der Hut, noch mal einbrechen ging also wohl nicht, die Wahrheit durfte er ihr nicht sagen... Der verdeckte Ermittler saß ganz schön tief in der Scheiße. Irgendwer muss ihm helfen!

      Aber wer... eine Kollegin? Die könnte auch gleich Julia eifersüchtig machen, denn Gideon gefällt ihr eigentlich schon ganz gut, wenn er auch ein unverschämter Lümmel ist und immer frech grinst. Kurz überlegte ich mir, alles umzudrehen: Er ist doch ein Verbrecher, und sie verliebt sich in ihn... Nein, das gefiel mir dann doch nicht.

      Eine Kollegin, tja... Er konnte aber doch keinem sagen, dass er die Sache dermaßen verbockt hatte! Sie müsste das melden. Oder tut sie es nicht, weil sie auch in ihn verliebt ist? Also, so schön soll er nun auch wieder nicht sein!

      Ich erschlug wieder eine Bremse und überlegte, was ich essen sollte. Eine Banane... ein Stück Knäckebrot... eine Fünfminutenterrine? Nein, um Himmels willen nichts Warmes! Ein Eis wäre jetzt toll, aber daran war leider gar nicht zu denken. Wenn wenigstens das Handy ginge, dann könnte man via Auskunft einen Lieferchinesen in Eulenburg (wenn die so was überhaupt hatten) anrufen...

      Kathrin hatte diese Einöde wirklich perfekt gewählt!

      Nein, diese Kollegin ließ ich lieber aus dem Spiel. Ein Kammerspiel... nur zwei Personen, nur Gideon und Julia – aus unerfindlichen Gründen erzählt sie auch niemandem davon. Schön und gut, aber was macht er jetzt, wo es mit dem Einbruch nicht geklappt hat? Soll er sich als Kerl vom Paketservice verkleiden? Wer sagt denn, dass sie die Päckchen verschicken will?

      Soll er das Buch unter einem Vorwand zurückverlangen? Gott, war das bescheuert! Die Verwechslung reichte doch wohl aus, wozu denn noch ein Vorwand? Das wäre alles noch klar, wenn sein Buch irgendwie vergiftet wäre und er verhindern will, dass entweder Julia oder die Freundin, der sie es schenken will, es aufschlägt und tot umfällt. Gab´s da nicht mal einen Edgar-Wallace-Film? Der unheimliche Mönch mit der Peitsche – oder so ähnlich. Gut, aber dann müsste Gideon ein Bösewicht sein, Auftragskiller oder so. Hm... vielleicht war das doch die bessere Alternative?

      Egal, es war viel zu heiß für so schwierige Probleme! Noch heißer, wenn das möglich war. Lieber noch eine Runde schwimmen! Und dann wieder dick Mückenspray. Ich saß auf der Bank im Schatten, durch den nassen Bikini auch nicht richtig erfrischt, wedelte mir mit einem Angeltippheftchen Kühlung zu und starrte missmutig abwechselnd