Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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willst du mich fahren?“, pickte ich das heraus, was ich am wenigsten verstand.

      „Damit du dort ohne Auto bist. Die Hütte ist nicht in der Nähe einer Ortschaft. Etwa eine Viertelstunde entfernt – wenn man im Laufschritt unterwegs ist – gibt es ein paar Bauernhöfe, die aber wohl nicht mehr alle bewirtschaftet werden. Sonst ist da nichts. Nur ein Feldweg. Für Radio und Fernsehen ist der Empfang zu schlecht, Strom gibt´s nur aus der Propangasflasche.“

      „Telefon?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Und der Inhalt der Bücherregale wird dir nicht gefallen. Ja, ich denke, das ist das Richtige. Pack dir ein paar Reserveakkus für deinen Laptop ein und lade ihn bis zum Anschlag auf. Und nimm dir USB-Sticks oder CD-Rohlinge mit – du hast doch einen Brenner? Was zu essen brauchst du auch.“

      „Kann man da kochen – ohne Strom?“

      „Ich bringe ja eine neue Propangasflasche mit, die reicht locker die paar Tage für Herd, Kühlschrank, Waschmaschine, Duschwasser und die Lampen. Die Hütte ist wirklich schön, nur eben am Arsch der Welt. Aber das ist für dich genau das Richtige.“

      „Na danke!“, murrte ich, „ich weiß ja nicht, ob ich das will. Und gleich bis Sonntag?“

      „Sonst kommst du doch gar nicht richtig rein in die Arbeit. Hab dich nicht so. Stell dir lieber vor – du könntest zum ersten Mal wirklich rechtzeitig fertig sein!“

      „Hm...“ Verlockender Gedanke.

      „Aber so lange – und so einsam! Und was ist, wenn ich krank werde?“

      „Was soll denn sein? Ist dein Blinddarm schon raus?“

      Das musste ich zugeben. Mandeln hatte ich auch keine mehr.

      „Na prima. Pack dir Aspirin ein, dann hältst du das schon aus. Melli, sonst bist du doch auch nicht feige!“

      Also feige war ich ganz bestimmt nicht! Außer natürlich, ich musste Kathrin beichten, dass ich im Verzug war. „Was hat das mit Feigheit zu tun? Du kannst mich doch nicht einfach ins Exil schicken!“

      „Aber dann wärst du wirklich einmal rechtzeitig fertig. Und so lange ist das doch gar nicht. Wenn ich dich morgen rausfahre, dann ist der Dienstag schon halb um... vier ganze Tage und der halbe Sonntag, nicht mehr als ein langes Wochenende. Und es ist wirklich schön da draußen.“

      „Ach ja? Du machst da wohl immer Urlaub?“

      „Selten“, gab sie dann doch zu und grinste flüchtig, „es ist schon verdammt wenig los dort. Aber für dich ist das genau das Richtige, denk an die verfeindeten Schwestern!“ Ich dachte ja schon nach – fieberhaft! Schließlich entschied ich mich. „Na gut. Was muss ich mitnehmen?“

      „Ich schreib es dir auf. Setz dich doch wieder.“ Sie kritzelte eine Zeitlang auf einen Bogen mit dem W&L-Logo, dann reichte sie ihn mir – fast ganz voll geschrieben.

      „Propan bringe ich mit. Wichtig sind vor allem Reserveakkus für den Laptop. Nimm aber für den Notfall auch Block und Stifte mit. Dann hole ich dich morgen um vier ab. Der Falkenstein wird nichts dagegen haben, wenn ich früher gehe, ich tu´s ja für deinen Abgabetermin.“

      Jaja, das Leben mit zickigen Autoren war wohl die reinste Qual? Etwas mürrisch erklärte ich mich einverstanden, sammelte meine Auswahl an schlechten Storys wieder ein und machte mich auf den Weg nach Hause, die Liste studierend. Einen Bikini hatte sie natürlich nicht draufgeschrieben, und Mückenschutz auch nicht – typisch! Ich sollte wohl immerzu im Zimmer bleiben?

      Nicht mit mir!

      Dann sollte ich wohl mal einkaufen gehen und eine große Tasche packen...

      2

      Neugierig sah ich mich um, als Kathrin mich wie versprochen am Dienstagnachmittag zur Hütte fuhr. Der Feldweg, der von einer Staatsstraße vierter Ordnung (gab´s so was überhaupt?) abbog, war mehr als holprig und wohl eher für Traktoren als für Stadtautos geeignet, jedenfalls wurden Kathrins Stoßdämpfer kräftig beansprucht.

      Eulenburg hatte einen ganz netten Eindruck gemacht, und auf dem östlichen Teil des Sees war auch lebhafter Betrieb, Segler und Surfer tummelten sich auf dem funkelnden Wasser. Je weiter wir aber nach Westen fuhren, desto stiller und landwirtschaftlicher wurde es. Äcker, Viehweiden, Wälder, ab und zu ein einsamer Hof – und dann der Feldweg.

      Die Hütte war nicht besonders groß. Kathrin schloss auf und drückte die Tür auf, die knarrend protestierte. Drin war es finster, bis wir die Fensterläden aufgestemmt hatten. Kathrin schloss die neue Propanflasche an, testete Herd, Licht, Kühlschrank und warmes Wasser und zeigte mir, wo alles war.

      Ein anständiges Bad, immerhin. Auch die Küchenzeile - mit Waschmaschine! - war zwar klein, aber alles Notwendige war vorhanden, nur keine Mikrowelle. Na gut, ich hatte vor allem Chips, Brot, Käse und Obst dabei – und für den sicher nötigen Trost einen Stapel Schokoladentafeln.

      Das Zimmer enthielt ein großes Bett, das man erst einmal beziehen musste, einen ebenso großen Tisch unter dem Fenster, auf den ich gleich voller Tugend meinen Laptop stellte, ein kleines Sofa, ein Regal voller Bücher – äh: Fachliteratur über das Angeln, Bergsteigerbildbände und eine Gesamtausgabe Ludwig Ganghofer.

      „Ich hab dir doch gesagt, es wird dir nicht gefallen“, grinste Kathrin, wurde aber sofort wieder ernst. „Außerdem sollst du schreiben, nicht lesen, klar?“

      „Klar“, antwortete ich niedergeschlagen. Hier konnte man ja wirklich nichts tun – außer zu arbeiten. Deprimierender Gedanke.

      „Hast du noch Fragen?“

      „Nein, ich denke, ich komme zurecht“, brummte ich und legte meine Entwürfe und die CDs auf den Tisch. Zwischen Tisch und Küchenzeile gab es eine Tür, die nach draußen führte, aber ich wollte Kathrins Aufmerksamkeit nicht darauf lenken, sonst verbot sie mir nur, schwimmen zu gehen.

      „Ja, gut – wenn alles in Ordnung ist, dann fahre ich jetzt. Und am Sonntag hole ich dich so gegen fünf ab, ist das recht?“

      Ich nickte ergeben. „Und dann muss ich fertig sein?“

      „Nein. Schön wär´s natürlich, aber wenn du gut die Hälfte hast und nicht schon wieder einen writer´s block, bin ich schon zufrieden. An die Arbeit, los!“

      Ergeben setzte ich mich vor den Laptop und klappte ihn auf. Kathrin winkte noch einmal und schloss die Tür hinter sich; kurz darauf hörte ich sie den Feldweg entlang hoppeln.

      In der Wildnis ausgesetzt... Einige Minuten lang tat ich mir genussvoll Leid, dann öffnete ich doch die Terrassentür. Himmlisch – eine Terrasse vor dem Haus, alles Holz, duftend wie der Sommer persönlich, mit Bank und Tisch im Schatten, und mit einer kleinen Metalltreppe, die direkt ins Wasser führte. Mit einem Stapel Krimis und/oder einem fleißigen Lover könnte man es hier richtig gut aushalten... In der Ferne konnte man gerade noch Eulenburg und das Getümmel im Wasser erahnen; der Himmel über dem Wasser und den Bäumen ging gerade vom alltäglichen Knallblau in jenen durchsichtigen, grünlichen Ton über, der am frühen Abend so typisch war. Traumhaft schön!

      Ich holte mir meine Zigaretten und einen Aschenbecher aus der Küche, setzte mich auf die sonnenwarme Holzbank und genoss den Blick. Auf die verfeindeten Schwestern hatte ich wirklich überhaupt keine Lust.

      Außerdem steckte ich in einem Dilemma: Wenn ich brav funktionierte, müsste ich wohl jede Kurzgeschichte, jeden Roman hier draußen schreiben; wenn ich aber nicht funktionierte, würden Winkler&Lange meinen Vertrag aufheben. Ihn wenigstens nicht verlängern! Jetzt hatte ich endlich einen Vertrag und damit mein Auskommen, solange der Kram sich ordentlich verkaufte: Das sollte ich besser nicht aufs Spiel setzen.

      Gut, also an die Arbeit – zum Schwimmen war es mittlerweile ohnehin zu schattig. Westufer... Morgensonne. Auch nett, und wenn ich heute noch etwas schaffte, durfte ich morgen früh schwimmen und mich sonnen. Ich schaltete den Laptop ein und starrte seufzend auf den blinkenden Cursor, der ungeduldig darauf wartete, von