Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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müssten die Autoren blitzschnell ein Gipsbein ins Drehbuch schmuggeln), sich nicht spontan die Haare färben, in der Öffentlichkeit nur nach Absprache auftreten und auf keinen Fall etwas äußern, was ihrem Serienimage widersprach.

      Scheißjob, dachte ich mir öfters, aber deshalb musste Annika nicht tun, als sei sie Julia Roberts und wir nur irgendwelche Fans!

      „Außerdem haben wir uns gestritten“, klagte Jörg weiter und nahm noch einen tiefen Schluck, „sie sagt, ich behindere ihre künstlerische Entwicklung.“

      „Haha, welche Entwicklung denn? Oder hat sie ein besseres Angebot gekriegt?“

      „Nein, immer noch die edle Tochter auf der Suche. In der Rolle steckt echt nichts.“ In Annika auch nicht, dachte ich respektlos, es kann nur raus, was auch drin ist. „Und wieso behinderst du sie dann? Wenn ich beruflich so auf der Kippe stehen würde, würde ich doch meinen Freund nicht vergrätzen – wer sollte mich trösten, wenn´s knallt?“

      „Ich glaub, da hat sie schon einen im Auge, der arbeitet bei Local One und vielleicht suchen die jemanden für eine neuartige Talkshow, richtig vor Ort, auf der Straße...“

      „Klingt ja berauschend. Gibt´s auch fast noch gar nicht.“

      „Für eigene Ideen hat Local One doch kein Geld“, wandte Jörg ein und lächelte boshaft. „Jedenfalls hält sie den gerade für den absoluten Megatypen, und ich bin abgemeldet. Ach ja, ihre Schuhe durfte ich noch zur Reparatur bringen."

      „Lass dich doch nicht so schikanieren“, sagte ich empört, „hast du das denn notwendig?“

      „Weiß ich doch. Aber wenn ich sie dann wieder sehe – sie ist so entzückend... und sie kann so lieb sein...“

      „Ja, wenn es ihr in den Kram passt“, muffte ich und prüfte, ob der Radi schon genügend geweint hatte. Hatte er, ich riss ein großes Stück ab und verspeiste es. Wenn ich Kathrin morgen anhauchte, würde sie tot umfallen – Mist, und der fiktive Zahnarzt natürlich auch! Na, jetzt war´s zu spät.

      „Du magst sie eben nicht“, stellte Jörg scharfsinnig fest.

      „Ich glaube bloß, du könntest was Besseres haben. Die erinnert sich doch bloß an dich, wenn sie dich braucht, ansonsten jagt sie ihrer Hollywoodkarriere nach." Der Radi war wirklich sehr lecker. Ich aß ihn fast ganz alleine auf.

      „Meinst du nicht, du könntest eine finden, die ein bisschen mehr zu bieten hat?“

      „Ich liebe Annika eben. Dass sie das nicht so ganz erwidert, weiß ich auch, aber wenn sie Trost braucht...“

      „Das ist doch bescheuert!“, ärgerte ich mich.

      „Mag sein. Ich sage nur Fabian...“

      „Du Ratte!“, fuhr ich auf, „An den hättest du mich nicht erinnern müssen!“

      Fabian, der ambitionierte Jungautor, der mich nur angebaggert hatte, weil er Beziehungen zu Winkler & Lange haben wollte. Ich war nur wichtig, wenn Scherer, Falkenstein oder eben Kathrin kein Interesse hatten oder wenn sein Meisterwerk (sehr esoterisch und schwer zu deuten) nicht so recht voranging. Sobald W&L sein epochemachendes Oeuvre, „Raunen im Kopf“, verlegt hatten, war ich abgemeldet - bis die Verkaufszahlen feststanden. Da hatte ich aber keine Lust mehr gehabt, ihn zu trösten. „Jetzt, wo ich keinen Erfolg mehr habe, stößt du mich ab“, hatte er gezetert, „du wolltest nur von meinem Ruhm profitieren!“ Von welchem Ruhm denn? Die Reste waren verramscht worden, und W&L hatten auf die harte Tour gelernt, dass nicht in jedem Zwanzigjährigen ein Bestseller steckte.

      Dass Jörg mit diesem Flop ankam, zeigte mir, dass er sich über meine Kritik an seiner Serienschlunze ärgerte. „Okay“, sagte ich also, „ich nehme alles über Annika zurück. Aber sei nicht zu blauäugig!“

      „Wofür hältst du mich denn? Für einen Naivling?“

      „Naja...“ Ich musste grinsen und Jörg holte mit einem Stück Breze aus. Dann lachte er aber selbst. „Jetzt sind wir schon so alt und gereift, ekelhafte Vierunddreißig – und unser Liebesleben schaut aus wie bei Teenagern. Ist das nicht peinlich?“

      „Wir können natürlich auch behaupten, das zeigt, wie jung wir geblieben sind, trotz der ersten Falten und grauen Haare.“

      „Wo hast du denn graue Haare?“

      „Kommen sicher bald. Du hast ja schon welche!“

      Er wich meiner zupfenden Hand aus, war aber nicht allzu vergrämt. Vielleicht war er ja zufrieden damit, dass wenigstens die Stirn nicht immer höher wurde?

      Mit Mühe und Not schafften wir es, ein Gesprächsthema zu finden, das weder Annika noch meine blöde Kurzgeschichte tangierte: Wir lästerten über ehemalige Mitschüler, das war immer wieder ergiebig, vor allem, als wir auf die unsägliche Gerlinde kamen, von der das Gerücht ging, sie hätte einen Pfarrer geheiratet – gleich nach dem Abitur.

      „Der muss ja stocktaub sein“, behauptete Jörg und grinste mies, „sonst hätte ihn das dumme Gequatsche sofort erledigt.“

      „Der arme Häkelkreis“, entgegnete ich versonnen. „Ich würde sagen wollen, hier sollte man noch eine Luftmasche...“ Dann begann ich haltlos zu kichern und konnte nicht mehr aufhören. Jörg betrachtete mich nachdenklich und verglich den Pegelstand in unseren Maßkrügen.

      „Du hast auch schon mal mehr vertragen, Melli, du wirst alt. Das ist das erste Anzeichen. Komm, ich fahr dich heim.“

      Gackernd stand ich auf, immer noch von dem schönen Bild fasziniert, wie Gerlinde den Häkelkreis zu Tränen langweilte. „Ich bin nicht besoffen. Das ist bloß der Galgenhumor, weil Kathrin mich morgen platt machen wird – und wie... O Scheiße!“

      Ernüchtert folgte ich Jörg zum Auto und ließ mich brav zu Hause absetzen.

      Eigentlich war es noch gar nicht so spät – aber jetzt noch den Laptop ankurbeln? Wieder über diese doofe WG nachdenken? Zwecklos, lieber legte ich mich ins Bett, dachte mir eine richtig schöne Geschichte aus, schlief gut und ging morgen ganz, ganz früh ans Werk - mit dem ultimativen Entwurf. Ein wirklich überzeugender Plan!

      Er klappte auch – beinahe. Ich kam nur eine Stunde später aus dem Bett als geplant und saß brav um neun vor meinem Rechner. Im Schlaf hatte mich die Muse nicht sehr nachdrücklich geküsst, ich hatte zwar etwas Spannendes geträumt, konnte mich aber nur noch nebelhaft daran erinnern. Also gab es zwei Möglichkeiten: Entweder spann ich die WG-Geschichte weiter aus oder mir fiel jetzt sofort und auf der Stelle etwas Besseres ein, eben die ultimative Geschichte, die Kathrin ein entzücktes Quietschen entlocken würde.

      In meinem Kopf fand sich nichts Ultimatives. Gähnende Leere!

      Erstmal einen Kaffee!

      Und eine Zigarette. So, jetzt aber! Jetzt war das Hirn wach. Fürs richtige Schreiben war jetzt keine Zeit mehr, ich musste ein Exposé in die Tasten hacken, das Kathrin vom Stuhl haute.

       * Drei von vier Bewohnern sind zu Hause, alle im Weihnachtsblues und alle sauer auf den Vierten, der ihnen der Inbegriff allen Übels zu sein scheint.

       * Thomas (der vierte) kommt nach Hause, glänzender Laune. Er hat gut gegessen (Gänsebraten), seinen Bruder geärgert, einen fetten Weihnachtsscheck kassiert und seine Freundin Sandra dabei. Die will er zwar bald abstoßen, aber für ein Feiertagsnümmerchen reicht es bestimmt noch.

       * Kichernd verschwinden sie in seinem Zimmer, wo alsbald die Bettfedern quietschen. Die anderen hören das und ärgern sich aus verschiedensten Gründen (auch, weil sie selbst zurzeit gar keinen Sex haben)

       * Schließlich treffen sich alle in der Küche, es ist schon wieder Abend. Nach der ersten Runde Glühwein kommt es zum Streit, wegen Ausnutzen von Frauen, Essens von Fleisch, machohaften Gehabes und im Gegenzug wegen dummem Emanzengequatsche, der Theorie, dass Veganer an Mangelerscheinungen eingehen, und Sexualneid. Thomas, ziemlich angetrunken, renommiert mit seinen Erfolgen bei Frauen,