Vergessene Zeit. Elisa Scheer

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Название Vergessene Zeit
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737558815



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      „Weniger Personen?“

      Ich erzählte ihm meinen Entwurf. Jörg brummte faul, aber ich wusste, dass er zuhörte. Guter Kumpel – schon seit der Kollegstufe! Sicher, zwischendurch waren wir auch mal mehr als Kumpels gewesen, ganz kurz, aber das hatte sich, so nett es gewesen war, nicht wirklich bewährt. Ich liebte andere, er liebte andere, und wir blieben die besten Freunde. Vielleicht war es aber ganz gut, dass die Neugierde aufeinander weg war. So konnten wir uns trösten, wenn einer von uns festhing oder wenn einer von uns (meistens er) Liebeskummer hatte, und miteinander ins Kino gehen, Ludwigskron und den Kunstbau unsicher machen, uns im Herzoglichen Theater über avantgardistische Inszenierungen wundern und die Eiskarten rauf und runter futtern.

      „Ich finde, das hört sich nicht schlecht an“, fasste er dann zusammen, „und wer soll jetzt von wem umgenietet werden?“

      „Das weiß ich eben noch nicht so recht. Ich dachte zuerst, dieser Thomas, da haben alle ein Motiv, nur diese Sandra zunächst nicht.“

      „Dann war die es“, stellte er fest und räkelte sich in der Sonne.

      „Ja, zum Teufel. Das ist zu einfach, was?“

      „Schon. Kannst du nicht so anfangen und dann abbiegen? Dass es doch einer von den Verdächtigen war, aber aus einem anderen Grund?“

      „Hm...“ Die Hitze machte müde. Nein, jetzt gab es nicht schon wieder ein Schläfchen! Ich rappelte mich auf, trabte zum Ufer und stakste über die spitzen Kieselsteine in die lauwarme Brühe, bis ich mich platschend fallen lassen konnte. Mäßig erfrischend, aber besser als nichts. Und weiter draußen wurde das Wasser auch kälter.

      Mit fielen beim Schwimmen die irrsten Geschichten ein, man konnte jemandem, der immer auf einer Luftmatratze im Wasser zu treiben pflegte, ein ganz kleines Loch... und dann der Atlantik bei einsetzender Ebbe... es zöge ihn sofort hinaus, ablandige Strömung...

      Oder salmonelleninfiziertes Eis – naja, nicht so toll. Oder die Sache mit dem Salzblock am Bein – das musste dann sofort die Spuren in Richtung lokale Mafia lenken, wenn die Unfalltheorie erstmal vom Tisch war... Scheißweihnachten, wieso konnte ich nicht für einen Urlaubssampler schreiben!

      Hatte ich ja, im November. Und ich hatte damals genauso herumgezetert und fünf Minuten vor Schluss schließlich abgegeben. Die Story war allerdings nicht übel, das fand ich heute noch.

      Etwas abgekühlt, aber absolut nicht inspiriert suchte ich mir meinen Weg aus dem Wasser heraus, behindert durch die spitzen, teils mit glitschigen Algen bewachsenen Steine, kreischende Kleinkinder mit Schwimmflügelchen, Gummitieren und Schwimmreifen und durch ältere Damen in rüschenbesetzten Bademützen und figurschmeichelnden Badeanzügen mit Schößchen, die entweder ausgerechnet hier ratschen mussten oder – nein, wer bis zum halben Oberschenkel im Wasser stand und darüber trocken war, hatte einfach Angst vor dem kalten Gefühl am Bauch. Als Detektivin war ich also gar nicht so schlecht!

      Vielleicht sollte ich überhaupt eine Privatdetektivin ins Spiel bringen, sie konnte parallel zu Gabi Gärtner ermitteln, sich mit ihr zoffen und schließlich Freundschaft schließen... Verdammt, so wurde das Personal immer zahlreicher, diese blöden, blöden fünfundzwanzig Seiten. Aber wenn ich die Detektivin ins Spiel brachte, konnte ich sie im nächsten Roman richtig ausbauen.

      Aufgeregt fiel ich auf mein Handtuch zurück.

      „Jörg, was hältst du von einer Privatdetektivin?“

      „Nicht schlecht. Ist die Gärtner eigentlich lesbisch?“

      „Nein. Au ja, später mal könnten sie sich in den gleichen Kerl vergucken und beide selbst verdächtig werden."

      „Wieso später mal?“, murmelte Jörg schläfrig, „Wäre das jetzt nichts?“

      „Beide verlieben sich in den Nikolaus? Ich weiß nicht...“

      „Wenn Sie ihn beide kennen, in Zivil, meine ich?“

      „Hm... bedenkenswert.“ Ich kramte nach meinem Notizbuch und schrieb das auf. Ich wusste zwar nicht recht, wie ich das aufbauen sollte, aber die Idee war gar nicht so dumm.

      Jörg wechselte träge das Thema, schließlich hatte er mir ja versprochen, mich etwas abzulenken. Kathrin würde toben, wenn sie wüsste, dass ich gar nicht an meinen Laptop gekettet zu Hause saß!

      Mist, bis morgen Mittag brauchte ich einen richtig guten Entwurf! Und wenn ich doch bei der WG-Geschichte blieb? Alle hassen Thomas, aber tot in der Küche liegt dann – Leonard? Der arme Hund, er hatte echt kein Glück in seinem kurzen Leben. Und wer sollte das gewesen sein?

      Oder Johanna als Opfer, und Sandra entpuppte sich als Kürschnerstochter? Johanna hatte mal die Kundinnen des eleganten Pelzsalons mit Farbbeuteln beworfen und fast den Betrieb ruiniert... Nicht schlecht...

      „Ich denke, ich soll dich auf andere Gedanken bringen?“, maulte Jörg.

      „Ja, sorry. Du, pass auf“, fing ich aufgeregt an, „wie findest du das?“

      Ich erzählte ihm die Kürschnergeschichte.

      „Ja... das würde immerhin dauern, bis die Gärtner da draufkommt. Aber wer hätte noch einen Grund?“

      „Ja, Mensch. Weiß ich doch. Den Thomas könnte sie zwar tierisch genervt haben, aber das ist doch kein Mordmotiv...“

      Frustriert starrte ich vor mich hin. Jörg sprang auf. „Komm, du brauchst ein Bier! Wenn wir gleich fahren, kriegen wir in Herzhofen noch einen Platz. Hoch mit dir!" Prima Idee, außerdem hatte ich schon wieder Hunger. Emmentaler, Radi, Fleischpflanzerl... und eine Riesenbreze, das wär´s jetzt.

      Tatsächlich warfen wir uns im Herzhofener Biergarten gerade noch über den letzten freien Tisch; erst ging Jörg Bier holen, dann reihte ich mich in die Schlange am Brotzeitstand ein, Wurstsalat, Emmentaler, Radi, Breze... und schleppte alles wieder zurück.

      „So, und jetzt reden wir wirklich von etwas anderem“, beschloss ich, als wir alles zwischen uns aufgebaut und schon mal einen großen Schluck Bier genommen hatten. „Was macht denn Annika?“

      Jörg seufzte. „Sie hat Angst, dass man sie rausschreibt. Die Storyline ist ausgereizt, heißt es.“

      „Oh.“

      Annika, die ich im Stillen immer als Serienschlunze bezeichnete, gab in Spielball des Lebens die junge Rothaarige (den Namen konnte ich mir nie merken), die auf der Suche nach ihrem unehelichen Vater war und dabei den Haupthelden über seine Witwerschaft hinwegtröstete.

      Ich fand die Serie bescheuert und guckte sie nie – fast nie. Bügeln konnte man aber ganz gut dabei, zugegeben. Aber das nahm ich Annika nicht weiter übel, solche Weltliteratur waren meine Krimis nun auch wieder nicht, und nicht bei jeder Schauspielerin reichte es für die Julia.

      Was ich an Annika nicht mochte, war diese Art, sich aufzuführen, als habe Hollywood schon nach ihr gerufen. Sie war eine von tausenden Seriendarstellerinnen; Schauspielerin war sie genau genommen keine, sie hatte keine Ausbildung und vorher nur einmal im Freitagskrimi die Leiche dargestellt. Gut, eine sehr schöne und sehr erotische Leiche, aber so viel zu spielen hatte es da nicht gegeben.

      Trotzdem benahm sie sich, als jette sie nur zwischen Talkshows, Filmbällen und aufregenden Sets hin und her, und abgesehen von ihren Branchenkenntnissen war sie meiner Ansicht nach dumm wie die Nacht finster. Sie hatte ja nicht mal Abitur! Gut, dass war arrogant von mir, aber was sie alles nicht wusste, war manchmal schon ziemlich peinlich.

      Was Jörg an ihr fand, war mir ein Rätsel. Vielleicht war sie ja fantastisch im Bett (Dumm fickt gut?), aber so oft kam er bei ihr auch nicht zum Zuge, denn sie behandelte ihn, als sei er ein Relikt aus ihrer wenig glamourösen Vergangenheit – als ob ihre Gegenwart so glamourös wäre!

      Jörg hatte mir mal erzählt, wie es da zuging, und ich hatte höllisch aufgepasst, man wusste schließlich nie, wann man so etwas brauchen konnte. Fünf Tage die Woche schufteten die Armen da wie im Akkord, jede Szene musste möglichst beim ersten Take sitzen, denn man drehte jeden Tag etwas