Schöne Festtage. Elisa Scheer

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Название Schöne Festtage
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737548007



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den Schneehaufen kommen wir nicht mit den Autos. Komm weiter!“

      Bis zur Kreuzung ging alles glatt. Zwar war es mühsam, durch den hohen, unberührten Schnee zu stapfen, und man wusste auch nie sicher, wo man hintrat, vielleicht in ein Loch, aber wenigstens lag nichts mehr im Weg. Von den Bäumen rieselte uns der Schnee auf die Köpfe, aber der Spaziergang tat mir eigentlich recht gut und meine Laune hob sich. Kurz nach der Abzweigung machte die Straße eine Biegung, und als wir ihr folgten, standen wir vor einer hohen Schneewand, höher als wir selbst, gut zweifünfzig, schätzte ich. Abgebrochene Äste und kleinere Bäume steckten auch darin.

      „Teufel noch eins, das muss ja ein Prachtstück gewesen sein!“, murmelte Tarek und versuchte, hinaufzuklettern. Er versank bis zur Taille im Schnee, und ich musste ihm helfen, wieder herauszukommen.

      „Scheiße!“ Er klopfte sich den Schnee ab. Ich schaltete das Handy ein und wartete. Dann kreischte ich schrill auf.

      „Um Gottes Willen, was ist los?“

      „Ich hab ein Netz! Wieso hier und oben nicht? Seltsam...“

      „Ruf die Feuerwehr an, die sollen uns hier rausgraben.“

      Gehorsam tippte ich den Notruf und bekam einen recht unwirschen Herrn an die Strippe. Er notierte sich, wo wir waren, machte uns aber wenig Hoffnungen. Eine Feriensiedlung sei halb verschüttet, das sei dringender... aber morgen würde die Straße hier notdürftig frei geräumt – oder übermorgen...

      „Wir haben kaum noch Holz und fast nichts zu essen, das sollten die mitbringen, die es nicht mehr hierher geschafft haben!“

      „Ich kann Ihnen nichts versprechen. Aber gut, dass wir informiert sind. Finsterbachhütte, zwei Personen. Haben Sie Fahrzeuge?“

      „Ja, mit Ketten und allem. Aber der Schneehaufen ist zu hoch.“

      „Ich sehe, was wir tun können.“

      „Vielen Dank...“

      Ich sah Tarek an. „Morgen oder übermorgen – wir haben nur mindere Priorität. Immerhin sind wir jetzt wieder amtlich existent. Und jetzt wird getobt!“

      Ich holte Silkes Handynummer aus dem Speicher. „Nora! Wo bist du?“

      „Was glaubst du denn, du Idiotin? Auf der Hütte! Na, im Moment vor einer Lawine an der Bergstraße. Hier gibt´s wenigstens ein Netz, oben nicht. Vor übermorgen kommen wir hier nicht weg. Und dann kauf ich sofort einen Baseballschläger und besuche dich!“

      Tarek gestikulierte sehr aussagekräftig – flache Hand vor der Kehle.

      „Was? Ah... Schönen Gruß von Tarek, er hat noch eine Klaviersaite. Und dann kriegt ihr Betonschuhe und landet im Eibsee, der ist schön kalt. So kalt wie das Waschwasser hier. Zu essen haben wir auch nichts Gescheites!“

      „Könnt ihr nicht runterkommen? Wir sitzen in der Post in Hellenbach. Soweit waren wir, als wir vor einer Schneewand standen. Was hätten wir denn tun sollen?“

      „Dafür sorgen, dass wir uns alle in Hellenbach treffen! Dann hätten wir jetzt was Warmes zu essen!“

      „Was hat euch eigentlich gebissen, schon so früh loszufahren? Um halb drei ist die Lawine runtergekommen, und um drei wollten wir uns treffen!“

      „Ach, jetzt ist es unsere Schuld, ja? Na warte!“

      Tarek nahm mir das Handy weg. „Silke, gib mir mal Karen, ja?“

      Er wartete kurz.

      „Karen, wir hängen hier fest und Silke sagt, es ist unsere eigene Schuld. Hau ihr eins rein, ja, wozu bist du die große Schwester! Und schickt einen Heli mit Champagner und Backhendl - “ ich zischte – „und Wiener Schnitzel mit Pommes. Oder wenigstens ein paar BigMäcs oder so. Wir leben von Müsliriegeln und Kartoffelchips und frieren uns hier den Arsch ab. Schämst du dich wenigstens?“

      Er hörte sich aufgeregtes Geplapper an. „Dann ist es ja gut. Aber du solltest noch daran arbeiten, dabei nicht so blöde zu kichern! Ciao.“ Er gab mir das Handy zurück. „Dämliche Weiber. Die teuflischen Schwestern... Die lachen sich tot über uns. Sag bloß, du lachst auch!“

      Ich bemühte mich um eine ernste Miene. „Naja, wenn ich unten in Hellenbach säße... Aber das ist doch mal wieder typisch für mich – kann ich nicht einmal zur ausgemachten Zeit irgendwo erscheinen anstatt eine Stunde zu früh?“

      Tarek seufzte. „Ja, das passiert mir auch immer. Die Schüler sind schon ganz fertig. Wieso kommen Sie jetzt schon? Wir haben ja gar keine Pause zwischendurch! Am ersten Schultag war ich um zwölf in der Schule, und die Konferenz war erst um zwei. Ich dachte, der Weg hierher ist sicher voller Tücken und wollte Spielraum haben...“

      „Und das haben wir jetzt davon. Einen anderen Weg gibt es hier nicht, oder?“

      „Im Auto hab ich eine Wanderkarte von der Gegend.“

      Wir kehrten um. Schnitzel ade!

      Mittags gab es Knäckebrot, und meine Thermojeans begannen zu rutschen. Ich wollte den Gürtel ein Loch enger schnallen, aber es ging nicht, da war kein Loch mehr.

      „Was treibst du da?“, fragte Tarek, der mich interessiert beobachtete.

      „Du hast nicht zufällig eine Ahle dabei?“

      „Der Herr von Welt reist nie ohne. Was bitte ist eine Ahle?“

      „Um Löcher in Leder zu stanzen, damit ich den Gürtel so zumachen kann, dass die Jeans da bleiben, wo sie hingehören.“

      Er reichte mir ein Schweizer Taschenmesser und ich zog den Gürtel aus den Schlaufen und pfriemelte eine Zeitlang daran herum, bis ich ein hässliches, unregelmäßiges Loch hineingebohrt hatte. Ich klappte das Messer wieder zusammen und gab es zurück. Tarek spielte mit dem Gürtel und schätzte die Entfernung zwischen dem Dorn und dem neuen Loch ab.

      „Das sind weniger als sechzig Zentimeter! Bist du so dürr?“

      „Sieht man doch!“, schnauzte ich und fädelte den Gürtel wieder ein. Herrlich, die Hose hielt wieder!

      „Außerdem gibt´s hier ja nichts zu essen. Deine Sachen werden bestimmt auch bald zu weit, wart´s nur ab!“

      „In den paar Tagen nicht. Und so wie du eingepuppt bist, sieht man gar nichts von dir.“

      „Was erwartest du bei der Kälte?“

      Er zuckte mit den Schultern. „Gar nichts. Ist ja auch egal.“

      Ich malte ein bisschen auf meinem Skizzenblock herum, aber mir fielen nur schöne Muster für ganz dicke, warme Pullover ein. Stichpunkte für neue Kolumnen wollten auch nicht so recht kommen. Schließlich hatte ich doch einige vage Ideen, aber plötzlich durchzuckte es mich. „Mensch, bin ich blöde!“

      „Ach ja?“ Tarek ließ sein Buch sinken.

      „Du glaubst, mein Auto bloß ist ein Auto, ja?“

      „Diese Weiberkarre? Was sonst?“

      „Die Weiberkarre will ich überhört haben. Aber das ist kein Auto, sondern eine rollende Müllkippe, Gott sei Dank bin ich so schlampig! Ich hab ja noch gar nicht geschaut, was da noch alles herumliegt. Komm, vielleicht ist das wie Weihnachten – und wenn ich bloß eine alte Zeitung finde, zum Lesen...“

      Seine Augen funkelten. Also war ihm auch langweilig!

      Wir schaufelten meinen Wagen so gierig frei, als müssten wir liebe Freunde aus einer Lawine retten und stürzten dann fast gleichzeitig hinein, ich nach vorne, er nach hinten. Ich riss sofort das Handschuhfach auf. Eine halbe Rolle Pfefferminz, eine angebrochene Tüte Gummibärchen, drei verformte Multivitaminbonbons, ein sehr alter Schokoriegel. Gigantische Ausbeute! Auf dem Boden vor dem Beifahrersitz lag die ungelesene Süddeutsche vom Donnerstag. Wieso hatte ich die ins Auto gelegt? Ich warf alles in den Korb, den ich voller Vorfreude mitgenommen hatte.

      „Tarek? Was hast du?“

      „Eine