Bangkok Oneway. Andreas Tietjen

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Название Bangkok Oneway
Автор произведения Andreas Tietjen
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770660



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denn das? Du kannst doch alles auf die Zimmerrechnung setzen lassen.«

      Dagmar war gereizt und übermüdet; sie wollte nun endlich zur Ruhe kommen.

      Stunden später wurde Dagmar von dem nervtötenden Läuten eines Telefons aus ihrem tiefen, traumlosen Schlaf gerissen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie begriff, was der Mann am anderen Ende der Leitung mit den Worten »Good morning, Madame Sir, this is your wakeup call!« meinte.

      »Yes, äh, sänk you!«, stammelte sie und versuchte, sich in dem fremden Zimmer zu orientieren.

      »Heinz?«, rief sie in der Annahme, dass ihr Ehemann sich im Bad befand. Diese Szene war das Letzte, woran sie sich vom Vorabend erinnerte. Sie bekam keine Antwort. Dagmar erhob sich steif und ging zu der schmalen Teakholztür hinüber. Eine dunkle Vorahnung überkam sie, ohne dass sie hätte sagen können, warum. Sie war einfach da und sie fühlte sich mit jedem Schritt, den sie sich dem Badezimmer näherte, bedrohlicher an. Sie hatte ihren Gatten vor eineinhalb Jahren zusammengebrochen und nur noch schwach atmend hinter einer Badezimmertür, auf dem Boden liegend, vorgefunden. Ein Erlebnis, das sie seither nicht aus ihrer Erinnerung löschen konnte. Beherzt, doch mit aller gebotenen Vorsicht drückte sie die Tür auf. Das Bad war dunkel, nur der fahle Lichtschein, der von der Bettlampe herüberstrahlte, erhellte Fußboden und Waschtisch. Dagmar schaltete das Licht an, fand den Raum jedoch leer vor.

      »Wo steckt der Kerl denn nur wieder?«, murmelte sie leicht verärgert, aber dennoch beunruhigt. War Heinz überhaupt von seinem angekündigten Barbesuch zurückgekehrt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er zu ihr ins Bett gestiegen war. Alles lag noch so da, wie sie es vor dem Einschlafen zuletzt gesehen hatte.

      Dagmar versuchte, sich rasch anzukleiden. Ihr waren die Anstrengungen der Reisevorbereitungen und des langen Fluges an den müden Augen anzusehen. Ihre Frisur sah fürchterlich aus und sie kämpfte damit, die schulterlangen, naturkrausen Haare mit einer Spange in Façon zu bringen. Sie zog sich einen schlichten Leinenanzug an und eilte nach unten ins Foyer. Hilflos sah sie sich um und suchte nach einem bekannten Gesicht – der Reiseleiterin oder wenigstens einem der Mitreisenden, so sie jemanden von denen wiedererkennen würde. Man hatte sich am Vorabend nach einer fast einstündigen Fahrt vom Flughafen in einem modernen Reisebus und nach einer anschließenden etwa zehnminütigen Einweisung in den Reiseverlauf schon wieder getrennt, um die verschiedenen Zimmer zu beziehen. Dagmar fing ein Paar am Fahrstuhl ab.

      »Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht ...«

      Der Herr bedauerte höflich, nur Englisch und Spanisch zu sprechen.

      Sie suchte weiter, lief schließlich zum Restaurant, in dem das Frühstücksbuffet angerichtet war. Viele Gäste saßen bereits an den Tischen und aßen oder standen in der schier endlosen Schlange an, die sich am Buffet entlangzog. Es gab nur Tischgruppen, an denen vier Personen Platz hatten, keine langen Tafeln für ganze Reisegruppen. Dagmar wandte sich wieder dem Eingang zu und endlich begegnete sie der Reiseleiterin, einer jungen Deutschen, die vielleicht Anfang dreißig war.

      »Ich vermisse meinen Mann!«, schmetterte sie ihr entgegen.

      »Ja, das ist jetzt aber ungünstig, denn wir wollen um neun Uhr pünktlich mit der Stadtbesichtigung beginnen. Dafür ist es wichtig, dass wir uns rechtzeitig am Bus treffen, so wie ich es gestern Abend allen Teilnehmern gesagt hatte.«

      Die Reiseleiterin – ein blaues Plastikschildchen an ihrer Kostümjacke wies sie als Sandra Klöpper aus – schenkte Dagmar einen überheblichen Blick.

      »Nein, nein!«, erwiderte Dagmar. »Sie verstehen mich nicht. Er ist verschwunden! Seit gestern Abend. Er wollte nur kurz an die Hotelbar gehen und ist danach nicht mehr zurückgekehrt. Er war die ganze Nacht über fort.«

      Fräulein Klöpper wirkte gereizt.

      »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen da helfen könnte. Das Tagesprogramm heute ist fakultativ. Wenn Sie nicht daran teilnehmen möchten, dann wird Ihnen auch nichts berechnet.«

      »Ich möchte ja, das ist es ja gar nicht«, brachte Dagmar fast flehend heraus. »Das ist ja nicht das Problem. Ich fürchte, dass meinem Mann etwas zugestoßen ist!«

      »In der Hotelbar?«

      »Nein, ich weiß es nicht! Es ist nur ungewöhnlich; mein Mann würde nie ... ich meine, er weiß doch, dass wir heute früh ...«

      Dagmar wankte; ein aufmerksamer Kellner fing sie auf und half ihr zu einem Stuhl.

      »Warten Sie hier bitte einen Moment«, sagte Fräulein Klöpper und eilte in Richtung Lobby. Der Kellner brachte Dagmar ein Glas Orangensaft und fragte sie besorgt, ob alles okay wäre. Dagmar nickte und gleichzeitig lief ihr eine Träne die Wange herunter. Sie fühlte sich auf einmal so hilflos und alleine gelassen. Wo mochte Heinz nur stecken? Die Zeiten seiner Eskapaden lagen doch schon über zwanzig Jahre zurück. Er war alt geworden, auch wenn er gerne den unbesiegbaren Helden im besten Mannesalter vorgab. Er hatte jede Menge Zipperlein und seine vormals hemmungslosen Alkoholexzesse wurden mittlerweile bereits nach zwei, drei Gläsern Whisky mit einem wehleidigen Verweis auf seine Galle beendet. Hatte er gestern überhaupt seine Medikamente genommen? Na, heute Morgen ja wohl auf jeden Fall nicht.

      Sandra Klöpper kam mit einem unverschämten Hüftschwung herangewackelt, ein Klemmbrett unterm Arm.

      »Sagen Sie mir bitte Ihren Namen«, kommandierte sie, während Dagmar sich langsam erhob.

      »Frau Dagmar Schöller und Herr Heinz Schöller«, las die Reiseleiterin von einer Liste ab. »Dann sind Sie für die große Thailand angemeldet, ja? Und für Bangkok Märkte und Sehenswürdigkeiten hatten Sie sich auch eingetragen. Frau Schöller, was ich im Moment für Sie tun kann, ist, dass ich Sie von unserem Tagesprogramm streiche – alle beide – und dass Sie in der Zwischenzeit versuchen, Ihren Mann zu finden. Ich habe eben in der Bar angerufen, aber dort ist er nicht. Vielleicht gehen Sie selber noch einmal hoch, aber das Personal konnte mir gegenüber keine Angaben über den Verbleib Ihres Gatten machen. Ich würde sagen, wir treffen uns heute Abend um siebzehn Uhr wieder dort drüben an der Lobby und Sie berichten mir, was Sie erreicht haben.«

      Dagmar schluckte.

      »Aber Sie können mich doch nicht hier alleine lassen!«, empörte sie sich. »Ich spreche doch noch nicht einmal die Sprache und mein Englisch ist auch eher so lala. Irgendwer muss mir doch bei der Suche helfen!«

      »Frau Schöller, im Grunde genommen beginnt Ihre Reise erst morgen früh ...«

      »Ich möchte dann aber jetzt bitte sofort Ihren Vorgesetzten sprechen«, protestierte Dagmar.

      »Ich kann Ihnen gerne die Telefonnummer von Frau Conner geben, aber mich müssen Sie freundlicherweise entschuldigen. Ich muss mich jetzt um meine Tagesgruppe kümmern.«

      Die Reiseleiterin drückte Dagmar eine Visitenkarte in die Hand, auf der sie mit ihrem Kugelschreiber eine Telefonnummer unterstrichen hatte. Dann klemmte sie ihr Zettelbrett unter den Arm und ließ die arme Frau einfach stehen.

      Dagmar warf einen müden Blick auf das Buffet. Nach etwas zu essen war ihr im Moment weiß Gott nicht zumute. Sie raffte sich auf und ging zur Rezeption. Der freundliche Bedienstete wählte für sie die Nummer auf dem Telefon und überreichte ihr lächelnd den Hörer. Es dauerte nicht lange, bis sich Frau Conner meldete. Dagmar beschrieb ihr die Situation. Nach dem unerfreulichen Gespräch mit der Reiseleiterin war sie nun vorbereitet und so legte sie die nötige Vehemenz in ihre Stimme. Sie ließ auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie die gesamte Reisegruppe nicht eher zur großen Thailand-Rundreise aufbrechen lassen würde, bis ihr zumindest ein kompetenter Angestellter des Reiseveranstalters für die Suche nach ihrem Mann zur Seite gestellt werden würde. Frau Conner hörte geduldig zu und versprach ohne Umschweife, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Dagmar solle doch bitte in der Zwischenzeit ihr Frühstück einnehmen und anschließend im Foyer auf einen Mitarbeiter des Unternehmens warten.

      Es vergingen gut zwei Stunden, in denen Dagmar versuchte, ein halbes Brötchen mit Marmelade herunterzuwürgen, bis endlich eine Dame mit einer dunkelgrauen Aktentasche an der Hand die Hotellobby betrat. Die Frau war groß gewachsen, schlanke