Bangkok Oneway. Andreas Tietjen

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Название Bangkok Oneway
Автор произведения Andreas Tietjen
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770660



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      Dagmar schluckte. Sie stellte sich vor, wie sie wochenlang durch eine völlig fremde Großstadt irrte und versuchte, ohne Sprachkenntnisse Ärzte und Krankenschwestern zu befragen. Ihr Ohnmachtsgefühl wuchs ins Unermessliche.

      »Und wenn ich das Moped zu der Familie des Verunglückten bringen würde?«

      »Nur zu! Die würden Sie sicherlich mit offenen Armen empfangen.«

      »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, bot sie dem Mediziner unsicher an. »Ich kümmere mich um das Motorrad und Sie versuchen, so viele Krankenhäuser wie möglich nach meinem Mann abzusuchen.«

      »Ich werde mich gerne für Sie umtun. Das würde ich zwar auch ohne Gegenleistung machen, aber darüber, dass die Familie auf diese Weise wenigstens die wenigen Habseligkeiten des Verstorbenen erhält, freue ich mich natürlich.«

      *

      »Hast du Lust auf etwas Nachtleben?«, fragte Ute durchs Mobiltelefon.

      »Ich habe Lust zu allem, was mich irgendwie aus dieser deprimierenden Situation herausholt«, erwiderte Dagmar.

      So schlenderten Dagmar, Ute und Rainer Holl zunächst durch die Soi Patpong, drei Nebenstraßen der Thanon Silom, die eine Mischung aus Touristen-Nepp-Trödelmarkt und heruntergekommenem Puff- und Anmachbar-Viertel darstellten.

      »Musst du mal gesehen haben«, hatte Rainer Dagmar gegenüber behauptet, die er gleich von Anfang an geduzt hatte. »Nicht unbedingt ein weiteres Mal, aber einmal solltest du schon hier gewesen sein.«

      Das Gedränge in den engen Gassen war dermaßen unangenehm, dass sich das Trio entschloss, schnellstmöglich weiterzuziehen. Sogar Kinderwagen wurden von käsigen Touristen in fadenscheiniger Schlabberkleidung quer durch die Menge geschoben. Die drei kämpfte sich ihren Weg durch die Menschenmassen, um dann fluchtartig in das nächstverfügbare Taxi zu steigen. Anschließend ging es in eine Diskothek, die sich im vierundzwanzigsten Stockwerk eines Hotels befand. Dagmar war vom Ambiente des 24NightFly völlig begeistert, sie tanzte für ihr Leben gerne. Während Ute und Rainer in einer mit weißem Leder bezogenen Sitzecke saßen und Cocktails tranken, bewegte sich Dagmar ausgelassen zu moderner Popmusik. Nach einer Weile ging sie an die Bar und bestellte sich ein Bier. Dann kehrte sie zu den anderen beiden zurück.

      »Das macht total Spaß, warum tanzt ihr nicht?«, fragte sie außer Atem.

      »Ich habe noch nie getanzt«, antwortete Ute barsch. »Ich bin damals auch ohne dieses Fruchtbarkeitsritual schwanger geworden.

      »Was ist das für eine tolle Musik?«, wandte sich Dagmar an Rainer.

      »Das nennt sich, glaube ich, Techno. Das wird wohl von Maschinen gemacht und nicht von Menschen.«

      »Techno ist Marschmusik für Kinder!«, spottete Ute.

      »Na hör mal, zwischen Marschieren und Tanzen ist ja wohl noch ein himmelweiter Unterschied! Außerdem: Mir gefällt´s und ich bin schließlich kein Kind mehr!«

      Ute rollte mit den Augen.

      »Was hörst denn du für Musik?«, fragte Dagmar.

      »Ich höre gar keine Musik – höchstens mal ganz leise.«

      »Ich finde, dieses Techno hat etwas Hymnisches«, fuhr Dagmar fort.

      »Etwas Hymnisches, ja?!«

      »Na ja, man kann gut danach tanzen«, bemerkte Rainer abschätzend. »Und man kann gut Mädchen abschleppen ... oh! Ist mir so rausgerutscht!«

      Schuldbewusst sah er Ute an, die nur den Kopf schüttelte.

      »Rainer ist Junggeselle aus Leidenschaft, musst du wissen!«

      Sie leerte ihr Glas und hielt es Rainer entgegen. Ohne eine Frage zu stellen, ging der damit in Richtung Bar, um Nachschub zu holen. Dagmar wippte mit dem ganzen Körper zur Musik.

      »Diese fette Kick zu den Sythie-Flächen haut wirklich rein!«, schwärmte sie Ute vor.

      »Fette Kick? Sythie-Flächen? Wovon redest du um Himmels willen?!«

      Ute sah ihre Begleitung fassungslos an.

      »Ja, ich bin musikalisch vorgebildet. Meine Tochter ist mit einem Musiker verheiratet.«

      »Deine Tochter?«

      »Ja ich habe eine Tochter. Eine Tochter und zwei Enkelsöhne, Benjamin und Ole. Und einen Schwiegersohn, der der Leadsänger der berühmten Los Spaccos ist.«

      Ute, die ihre lederne Umhängetasche soeben nach einem Labello durchsucht hatte, sah Dagmar fassungslos an.

      »Los Spaccos? Verarscht du mich jetzt gerade ein bisschen?«

      »Nein, ich verarsche dich ganz und gar nicht!«

      Dagmar machte eine pathetische Handbewegung.

      »Die europaweit bekannte und erfolgreiche Band Los Spaccos hatte zwei richtige Hits: Es gibt so viel Scheiße auf der Welt – und alles kostet Geld – und alles kostet Geld und Du bist aus der Welt – Du bist nicht mal hier da. Zwei Hits, unendlich viele Flops und ein Groupie mit Namen Sarah – das ist meine Tochter. Und diesem Groupie hat der untalentierte, hässliche und eingebildete Leadsänger Dennis Vieregge – genannt Hupe – die Unschuld, die Jugend, das gesamte Sparvermögen und seiner Mutter den Verstand geraubt.«

      Dagmar nahm einen großen Schluck Singha-Bier.

      »Ach ja, Spaßpunk nennen die ihre Musik. Spaßpunk! Als sie ihn dann endlich zusammen mit einem anderen Groupie im Bett erwischt hatte, haben Heinz und ich eine Flasche Champagner geköpft. Wir haben so laut gejubelt, dass die Nachbarn die Polizei wegen Ruhestörung gerufen haben. Nachdem wir denen die Situation erläutert hatten, hat das ganze Stadtviertel ein Fest gefeiert, mit Kapelle und Feuerwerk. Tja, zu früh gefreut! Meine schlaue Tochter war schwanger und verzieh diesem Vollidioten.«

      »Und jetzt haben sie zwei Kinder«, vervollständigte Ute.

      »Die Jungs sind wirklich süß. Die kommen voll nach der Oma – mütterlicherseits.«

      »Und ist jetzt alles in Ordnung? Ich meine jetzt, wo deine Tochter und der – na, der Musiker – eine Familie sind, ist euer Verhältnis besser geworden?«

      Dagmar wiegte ihren Kopf.

      »Zu Sarah ja. Das ist deutlich entspannter als vorher. Aber dieser Punk ist jetzt auch noch spießig geworden. Das ist nicht zum Aushalten. Ein klapperdürres Pickelgesicht mit durch Flüssigbaustahl gefestigtem Irokesenschnitt, der mit einer Obi-Heckenschere die Buchsbaumeinfriedung seines Parkplatzes trimmt. Er wischt sich seine Popel an den speckigen Leopardenleggins ab und ich muss mir Filzpantoffeln anziehen, damit ich sein geöltes Eichenparkett nicht zerkratze. Ja sag mal, spinn ich?!«

      Rainer kam mit zwei Gläsern und einer Bierflasche zurück.

      »Ich hab mein Bier doch noch gar nicht alle«, protestierte Dagmar.

      »Mach hin. Das Zeug muss weg. Bier hält sich nicht so lange.«

      Rainer fingerte eine violettsilbrig glänzende CD aus seiner Gesäßtasche hervor und hielt sie Dagmar hin.

      »Hier. Das war kein Techno, sondern Lounge-Musik. Lounge-Sensation 2015, habe ich dir eben mal vom DJ brennen lassen. Was die jetzt gerade spielen, könnte aber Techno sein.«

      »Du kennst hier wohl jeden, was?«

      Dagmar nahm die CD erfreut entgegen und steckte sie in ihre Handtasche.

      »Zumindest in den Rotlichtvierteln ist er bekannt wie ein bunter Hund«, knurrte Ute.

      »Hey, was bist du denn so gereizt?«

      Rainer setzte sich und wischte sich ein paar Tropfen verschütteter Cola mit Mekong von seinen Hosenbeinen.

      »Wenn du wieder mal Stress mit Stäffenny hast, musst du ihn bitteschön nicht an uns auslassen.«

      »Ich habe keinen Stress mehr mit Stäffenny!